Blindflug durch den Schuldennebel

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Keiner weiß mehr, wie hoch die Republik wirklich verschuldet ist. Höchste Zeit, den Finanzföderalismus und das kameralistische Rechnungswesen zu kippen.

Im nächsten Jahr wird die österreichische Staatsschuldenquote auf einen bisher noch nie gesehenen Höchststand klettern und dann langsam wieder absinken. Glaubt zumindest der Staatsschuldenausschuss. Die 75,4 Prozent des BIPs, die dieses Gremium als voraussichtlichen Rekordstand genannt hat, sind freilich ohne jede Relevanz. Man kann sie gleich wieder vergessen.

Es handelt sich dabei ja nicht um den Betrag, mit dem die Republik und ihre Verwaltungseinheiten in der Kreide stehen. Sondern um die offizielle Staatsschuld, die nach der Pleitiers-Methode („Wenn ich den Kredit für die Villa, den Ferrari und die Jacht herausrechne, stehe ich finanziell eigentlich hochweiß da!“) ermittelt wird.

Zu diesen 75,4Prozent kommen nämlich noch die Schulden, die Bund, Länder und Gemeinden in ausgegliederten Unternehmen verstecken. Seriös gerechnet dürfte die Staatsschuldenquote also wohl eher irgendwo in der Gegend von 90Prozent des BIPs liegen. Von den bereits fix für die Zukunft verplanten, aber noch nicht aufgenommenen Schulden im dreistelligen Milliardenbereich (etwa für künftige Pensionsverpflichtungen und bereits fixierte, aber noch nicht finanzierte Eisenbahninvestitionen) beziehungsweise von den irgendwo bei 170 Mrd. Euro liegenden Haftungen von Bund, Ländern und Gemeinden reden wir da noch gar nicht.

„Irgendwo bei 90Prozent des BIPs“ steht hier deshalb, weil wir die exakte Zahl ganz schlicht und ergreifend nicht kennen. Ich kenne sie nicht, der Staatsschuldenausschuss kennt sie nicht, und die Finanzministerin tappt, wenn sie ehrlich ist, auch im Dunkeln.

Und zwar deshalb, weil es niemanden, schon gar nicht den Bund, etwas angeht, was Länder und Gemeinden finanziell so treiben, wenn der Tag lang ist. Einen Überblick gibt es nicht. Der Bund finanziert zwar einen Gutteil der Länderbudgets (und einen nicht unbeträchtlichen Teil vom Rest leihen sich die Länder bei der Bundesfinanzierungsagentur aus). Aber so richtig nachfragen, was mit dem Geld geschieht, darf er nicht. Das wäre ja ein Einbruch in das unantastbare heilige Landesfürstentum.

Mit anderen Worten: Die Republik ist im dichten Schuldennebel im Blindflug unterwegs. Freilich, ohne die dafür notwendigen Instrumente zu besitzen. Eine brandgefährliche Situation.

Wie krass das ist, hat man soeben in Salzburg gesehen: Das Land steht allein bei der Bundesfinanzierungsagentur mit 1,7 Mrd. Euro in der Kreide, obwohl es in seinem Budget nur 700 Mio. Euro Schulden ausweist. Der Rest sollte im Wohnbaufonds liegen. Tut er aber nicht: An die 435 Millionen sind dort nicht angekommen.

Und jetzt sitzen die Salzburger Finanzleuchten vom zuständigen Landesrat abwärts mit langen Gesichtern da und rätseln, wo die Kohle hingekommen sein könnte.

Darf das wahr sein? 435 Millionen, das sind – nur einmal so als Beispiel – annähernd die gesamtösterreichischen Studiengebühren von drei Jahren. Die sind einfach so verlegt, und man findet die Lade nicht mehr?

Möglich macht das ein Rechnungswesen, das schon einmal bessere Zeiten gesehen hat: Die Kameralistik, ein schon leicht verstaubtes, für die fürstliche Kammerverwaltung im 16.Jahrhundert erfundenes, aber bis heute bei der öffentlichen Hand in Verwendung stehendes Bilanzierungssystem. Eines, das nur Geldströme misst, aber keinen Ressourcenverbrauch.

Und eines, das wunderliche Resultate zeitigt. Die Methode erlaubt es Gemeindevertretern etwa, wie im Vorjahr geschehen, ohne rot zu werden zu behaupten, die Kommunen würden eine ausgeglichene Gebarung aufweisen. Das Geheimnis: Kreditaufnahmen sind in dieser Darstellung Geldzuflüsse, also Einnahmen. Kommt ja Geld in die Kassa, nicht wahr?

Und es erlaubt spekulierenden Landesfinanzreferenten und Bürgermeistern, ein perfektes Potemkinsches Dorf aufzubauen. Bei reiner Geldflussrechnung werden ja, um ein Beispiel zu nennen, offene Derivatpositionen mit dem Anschaffungspreis ausgewiesen. Das Land kann mit seinen Spekulationen also schon bis Oberkante Unterlippe unter Wasser stehen – während das Rechenwerk noch trockene Füße vorgaukelt.

Das ist nicht nur unzeitgemäß, sondern kriminell fahrlässig. Was wir brauchen, ist also nicht ein generelles (und in der diskutierten Form ziemlich schwachsinniges) „Spekulationsverbot“, sondern ein modernes Reporting- und Bilanzierungssystem für die öffentliche Hand, das rechtzeitig Alarm schlägt, wenn die Dinge aus dem Lot geraten.

Und natürlich eine Neugestaltung des für die Republik langsam existenzgefährdenden Finanzföderalismus: Die Länder sollen entweder ihre Steuern selbst einheben – und für deren Verwendung dann auch voll verantwortlich sein. Oder über jeden Cent, den sie vom Bund und seiner Finanzierungsagentur erhalten, strenge Rechnung legen. Dass der eine Geld einnimmt und der andere dieses (ohne genaue Abrechnung) ausgibt – das hat noch nie und nirgends funktioniert.


E-Mails:
josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2012)

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