Herr Keynes am Schwarzenbergplatz

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Der milliardenschwere Bahnausbau ist angelaufen, ein schlüssiges Gesamtkonzept auf Basis realistischer Prognosen fehlt aber noch immer. Ein Vabanque-Spiel für das Budget.

Zu Wochenbeginn hat die Industriellenvereinigung eine Studie über den „ökonomischen Fußabdruck der Bahn“ präsentiert, der abseits des Themas einen interessanten Nebenaspekt hat: John Maynard Keynes, wirtschaftspolitischer Gottseibeiuns aller Konservativen, ist ganz offensichtlich ins noble Haus der Industrie am Wiener Schwarzenbergplatz eingezogen. Beziehungsweise dessen Geist, der am Montag sichtbar durch die Gänge wehte.

Die bei der Präsentation anwesende SP-Infrastrukturministerin konnte jedenfalls mit wachsender Begeisterung anhören, wie die Industriellen die umstrittenen Bahninvestitionen, die künftige Generationen in den nächsten 50 Jahren mit mehr als 60 Mrd. Euro belasten werden, als volkswirtschaftlichen Meilenstein hinstellten und Fragen nach der damit zusammenhängenden Staatsverschuldung nonchalant mit der Bemerkung vom Tisch wischten, man könne ja anderswo sparen. Löcher mit zweifelhaftem Nutzen auf Pump zu graben – puristisch keynesianischer geht es ja wohl nicht mehr.

Gut, die IV darf das. Sie ist eine Interessenvereinigung, zu deren größeren Mitgliedern die ÖBB und Eisenbahn-Industrie gehören. Wer zahlt, schafft an.

Wir erfahren also, dass das „System Bahn“ (einschließlich Industrie) für 8,7 Mrd. Euro Jahresumsatz sorgt. Was wir nicht erfahren, ist, dass das „System Bahn“ zur Generierung dieses Umsatzes jährlich an die sieben Mrd. Euro aus Steuermitteln für Subventionen, Pensionszuschüsse, Sozialtarif- und Freifahrtstützungen, nicht zurückverdienbare Investitionen etc. benötigt. Das macht das Geschäft volkswirtschaftlich vielleicht ein bisschen weniger glorios.

Das ist aber nicht der Punkt: Selbstverständlich ist das „System Bahn“ für ein entwickeltes Industrieland wichtig. Als Teil eines sinnvoll verknüpften, integrierten Gesamtverkehrssystems. In ein solches Gesamtverkehrssystem kann, ja muss man sogar selbstverständlich ordentlich investieren.

Nur: Das haben wir nicht. Und zwar deshalb nicht, weil unrealistische Wünsche und nicht die Realität Basis der Verkehrspolitik sind. Zum Beispiel das seit Jahrzehnten verkündete Dogma von der Verlagerung der Gütertransporte auf die Schiene. Obwohl seit Langem viel mehr in die Schiene als in die Straße investiert wird, gehen die Güterströme seit Jahrzehnten den genau umgekehrten Weg.

Das mag damit zusammenhängen, dass die Investitionen in die Schieneninfrastruktur ein wenig, nun, sagen wir, erratisch erfolgen. Dem Bahnausbau fehlt die Linie, die Investitionen sind ein Länder-Wunschkonzert. Das Ergebnis ist ein Infrastruktur-Fleckerlteppich, von dem es in einem legendären Rechnungshofbericht einmal geheißen hat, es seien schon wieder so und so viel Milliarden ohne sichtbaren Erfolg investiert worden.

Das gilt übrigens auch für die viel diskutierte Koralmbahn, in die ein Großteil der kommenden Bahninvestitionen fließen wird. Selbst der frühere Bahn-Infrastrukturchef hat im „Presse“-Gespräch einmal zugegeben, dass die viel gerühmte „Baltisch-Adriatische-Verkehrsachse“ in Wirklichkeit lediglich eine Donau-Wörthersee-Achse ist. In Klagenfurt ist nämlich auch nach der Fertigstellung Schluss mit leistungsfähiger Bahn.

Um mehrstellige Milliardenbeträge für solche Luftschlösser zu verteidigen, werden im Verkehrsministerium abenteuerliche Verkehrsprognosen gebastelt. So soll etwa der Bahn-Güterverkehr im Transitland Österreich dramatisch steigen, während er rundum bestenfalls stagniert und die ÖBB selbst begonnen haben, Verladeterminals zu schließen und Verkehr auf die unternehmenseigenen LKW zu verlagern.

Wie sehr da Wunsch und Realität auseinanderklaffen, kann jeder anhand des so genannten „Gesamtverkehrsplans“ sehen, der auf der Website des Infrastrukturministeriums (bmvit.gv.at) abrufbar ist.

Aus dieser Mischung aus Traumbüchel und Gemeinplatzsammlung stammen die beiden obigen Grafiken – die einander diametral widersprechen. In der einen Prognose bleiben die Anteile von Schiene und Straße am Güterverkehr bis 2025 praktisch unverändert. In der anderen steigt der Anteil der Bahn (wie von der Infrastrukturministerin gewünscht) von derzeit 33 auf 40 Prozent.

Also was jetzt? Kann es sein, dass man es richtet, wie man es braucht, dass der eine Experte nicht weiß, was der andere ein paar Seiten vorher prophezeit hat, dass „eh wurscht“ ist, was in so einem offiziellen Papier steht?

Übrigens: Auf Basis solcher Pläne verbraten wir in den nächsten fünf Jahrzehnten 60 Mrd. Euro an Steuergeld. Gute Nacht! Hauptsache, der „ökonomische Fußabdruck“ stimmt, nicht wahr.


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2013)

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