Krise: Die Schulden und der Hausverstand

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Unter Europaparlamentariern gelten Budgetdefizite von zehn Prozent und mehr neuerdings als „besessenes Kaputtsparen“. So wird das nichts mit der Euro-Rettung.

Zwei bemerkenswerte Meldungen aus den vergangenen Tagen hätten es sich verdient, ein bisschen mehr beachtet zu werden. Könnten sie einen, wenn man darüber nachdenkt, doch glatt zur Ansicht bringen, dass es vielleicht doch besser wäre, Goldstücke im Garten zu vergraben, als darauf zu hoffen, dass die Politik die Finanzkrise jemals wieder in den Griff bekommt.

Die erste: Kollegen des US-Nobelpreisträgers Kenneth Rogoff haben diesem einen Rechenfehler bei einer Studie nachgewiesen, in der er den Nachweis zu führen versuchte, dass Staatsschulden von mehr als 90 Prozent des BIPs einen drastischen Abfall der Wirtschaftsleistung nach sich ziehen. Fazit der Rogoff-Kritiker: Der angebliche Sparkurs in der Eurozone beruhe auf falschen Grundlagen, man könne also beim Ausgeben ruhig aufs Gas steigen.

Die zweite: In der EU ist danach ernsthaft eine Debatte über die Sinnhaftigkeit dieses „Sparkurses“ ausgebrochen.
Kommissionspräsident José Manuel Barroso, als ehemaliger Regierungschef von Portugal ja bereits pleitegestählt, meinte, das „an sich richtige“ Sparen beim Budget habe nun aber wirklich „seine Grenzen erreicht“. Was den zu Recht weithin unbekannten deutschen SPD-Europaabgeordneten Udo Bullmann zur Bemerkung veranlasste, es werde Zeit, den „besessenen Sparkurs“ zu Grabe zu tragen.

Zum Glück hat das Statistikamt Eurostat gleichzeitig bekannt gegeben, wie „besessen“ 2012 gespart wurde: Der Budgetsaldo war im Schnitt der Eurozone mit 3,7 Prozent negativ. Die Defizite reichten von 0,3 Prozent in Estland bis 10,6 Prozent in Spanien. Nur ein Land, Deutschland, hat geringfügig mehr eingenommen als ausgegeben.

Die „wie besessen sparenden“ Euroländer haben also immer noch deutlich mehr ausgegeben als eingenommen. Und zwar viel mehr, als die 3,7 Prozent vermuten lassen. Praktischerweise für die Schuldenmacher wird das Budgetdefizit international ja nicht an den Einnahmen bemessen, sondern am viel voluminöseren Bruttoinlandsprodukt, also der gesamten Wirtschaftsleistung.

Das ist, wie an dieser Stelle schon mehrmals zu lesen war, ziemlicher Schwachsinn, weil für den Schuldendienst ja nicht die Wirtschaftsleistung, sondern nur die Staatseinnahmen zur Verfügung stehen. Bei einer Staatsquote von annähernd 50 Prozent, wie wir sie beispielsweise in Österreich haben, ist das wahre Defizit (also der Überschuss der Ausgaben über die Einnahmen) ebenso wie die wahre Staatsschuldenquote demnach annähernd doppelt so hoch wie offiziell ausgewiesen.

Nachdem die Staatsquoten fast überall in der Eurozone zwischen 40 und knapp über 50 Prozent liegen, kann man also davon ausgehen, dass die Eurostaaten 2012 um mehr als sieben Prozent mehr ausgegeben als eingenommen haben. So hat man sich „besessenes Kaputtsparen“ immer vorgestellt.

In Österreich haben wir nach dieser Rechnung im Vorjahr also ein gesamtstaatliches Defizit von fünf Prozent (statt der offiziellen 2,5 Prozent) gemacht. Im Bund übersteigen die Ausgaben die Einnahmen sogar locker um zehn Prozent. Und die Staatsschuldenquote liegt (gemessen an den Einnahmen, inkl. Ausgliederungen) bei 175 Prozent und nicht, wie die offizielle, am BIP orientierte Quote suggeriert, bei 73 Prozent.

Wer testen will, welche der beiden Berechnungsvarianten seriöser ist, der muss beim nächsten Kreditantrag nur Bruttoeinkommen und Lohnnebenkosten addieren, das seiner Bank dann als für die Kreditgewährung relevantes „Einkommen“ nennen – und dann die Reaktion seines Kreditreferenten beobachten.

In der Realität ist das aber Haarspalterei. Um festzustellen, dass der Schuldenstand nominell permanent steigt, wenn man jährlich Defizite anhäuft und dass die damit steigende Zinsenlast den finanziellen Spielraum des Staates dadurch wirtschaftsschädigend immer weiter einengt, muss man kein nobelpreisverdächtiger Harvardprofessor sein. Da reichen zehn Deka Hausverstand vom Billa. Das darf man aber nicht laut sagen, weil die hier durchschimmernde Logik der schwäbischen Hausfrau, die einfach nicht begreifen will, dass man Schulden am besten mit noch mehr Schulden bekämpft, unter Ökonomen ja als grenzdebil gilt.

In einem haben die Gegner des „Kaputtsparens“ freilich recht: Ohne „Anschubprogramme“ für ihre Sorgenkinder kommt die Eurozone nie aus der Krise. Allerdings: Die traditionellen „Konjunkturpakete“ – ein paar gepumpte Milliarden in Bauprojekte gesteckt – bringen gar nichts. Wenn der Euro gerettet werden soll, dann muss in den Problemländern eine Umgebung (regulatorisch, steuerlich etc.) geschaffen werden, die wieder sinnvolle Investitionen (also nicht solche in fragwürdige Tunnellöcher und Geisterflughäfen) anzieht. Das dauert und muss finanziell irgendwie überbrückt werden.

Womit wir bei den Banken sind, in die seit Ausbruch der Krise mehr als 670 Mrd. (gepumpte) Euro an verlorenen Hilfsgeldern geflossen sind. Unter anderem deshalb, weil Europa immer noch keine ordentlichen Spielregeln für die Abwicklung von Pleitebanken hat.

Hier Gelder für die Reindustrialisierung von Griechenland, Spanien etc. freizuspielen wäre ein Erfolgsrezept. Einfach nur neue Schulden zu machen und das alte Spiel weiterzuspielen – das ist hingegen der sichere Weg in den Euro-Crash.

 Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2013)

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