ÖBB: Über die Gestaltbarkeit von Bilanzen

Es fährt ein Zug nach nirgendwo
Es fährt ein Zug nach nirgendwo(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Die Gewinnbilanz der ÖBB sagt wenig über den wahren Zustand der Bahn und viel über die Gestaltbarkeit von Bilanzen aus. Betriebswirtschaftliche Ansätze sind da, aber der politische Sanierungswille fehlt.

Beginnen wir mit der guten Nachricht: Verglichen mit seinen Vorgängern macht ÖBB-Chef Christian Kern seine Sache nicht so schlecht. Er hat hervorragende Drähte in die Politik, er hat es verstanden, sich mit der eigenwilligen Eisenbahnergewerkschaft halbwegs zu arrangieren, er nimmt verdammt oft das Wort „Betriebswirtschaft“ in den Mund, ohne dafür ständig als neoliberaler Eisenbahnerschreck verunglimpft zu werden. Er benutzt das Wort „Betriebswirtschaft“ auch nicht nur als leere Hülse, wie er bei der Schließung defizitärer Holzverladeterminals bewiesen hat. Und dass es, etwa auf der Westbahn, deutliche Verbesserungen in der Qualität des Personenverkehrsangebots gegeben hat, wird ja wohl auch keiner bestreiten, der zumindest gelegentlich mit der Bahn fährt.

Kurz und gut: Wären die ÖBB ein normales Unternehmen, dann würde Kern durchaus als Sanierer durchgehen. Die Bahn ist aber kein normales Unternehmen. Sondern immer noch ein gewerkschaftsdominierter Konzern, bei dem auch das Infrastrukturministerium (no na, ist ja der „Eigentümer“) und die Länder mitpfuschen. Also unführbar und in dieser Form nicht wirklich sanierbar.

Dieses Unternehmen hat wieder einmal Bilanz gelegt und dabei offengelegt, dass die Holding und alle drei Teilkonzerne (Personenverkehr, Rail Cargo, Infrastruktur) schöne Gewinne erwirtschaften. Erwirtschaften ist vielleicht nicht das passende Wort, sagen wir: ausweisen.

Erstaunlich, nicht? Heißt das etwa, dass damit das Ende der Milliardenzuschüsse gekommen ist, die ein hoch profitabler Konzern ja wohl nicht mehr braucht? Tja...

Sagen wir es so: Im Geschäftsbericht ist viel von Kennzahlen wie EBT (Earnings Before Taxes) die Rede. Zyniker vermuten freilich eher, dass es sich dabei eher um die berühmten Kennzahlen EBC (Earnings Before Costs) beziehungsweise EBE (Earnings Before Everything) handeln könnte.

Wir wollen hier natürlich nicht die Akkuratesse der ÖBB-Bilanz anzweifeln. Die ist von Ernst & Young geprüft und rechtlich mit Sicherheit wasserdicht. Möglicherweise sagt sie aber weniger über die Lage der ÖBB aus als mehr über die Gestaltbarkeit von Bilanzen. Um das festzustellen, greifen wir zwei markante Daten heraus: Der auf dem Markt erzielte Umsatz wird mit 2,66 Mrd. Euro angegeben. Die Personalkosten mit 2,36 Mrd. Euro. Ein kapitalintensives Unternehmen, in dem die Personalkosten 89 Prozent des echten Umsatzes auffressen, macht Gewinn? Wem kann man denn so etwas erzählen?

Der Sache näher kommen wir, wenn wir, wie das in der Bilanz geschieht, die staatlichen Zuwendungen zum Umsatz zählen. Das sind dann 5,24 Mrd. Euro. Und wenn wir das Ganze noch genauer aufschlüsseln, sehen wir, dass der Marktumsatz im Vorjahr um drei Prozent gesunken ist, die Zahlungen der öffentlichen Hand aber gestiegen sind, sodass der Anteil der auf dem Markt erzielten Umsätze von 53 auf 51 Prozent zurückgegangen ist.

Anders gesagt: Der Holding-Gewinn ist um 94 Mio. Euro gestiegen, die Zuwendungen von Bund und Ländern dagegen um 149 Millionen. Für den „Gewinn“ hat somit die öffentliche Hand gesorgt. Auch bei den Teilkonzernen wurde getrickst: Der Gewinn der Rail Cargo kam etwa durch den Verkauf von Waggons an eine eigene Tochtergesellschaft und von Verschublokomotiven an die „Schwester“ Infrastruktur zustande. Letzteres könnte man auch als Verschiebung von Subventionen aus der gut subventionierten Infrastruktur in die weniger gut subventionierte Rail Cargo sehen.

Natürlich sind die öffentlichen Zuwendungen nicht nur Subventionen, sondern vielfach „bestellte Verkehrsleistungen“, wie etwa jene rund 350 Mio. Euro, die Bundesländer dafür bezahlen, dass die ÖBB weiter vom Publikum gemiedene und deshalb unrentable Nebenlinien betreiben. Ganz nebenbei ein ökologisches Desaster: Hier werden vielfach Steuermillionen dafür ausgegeben, dass Dieselmotoren hundert und mehr Tonnen Stahl bewegen, um vier, fünf Passagiere von A nach B zu befördern. Das ist natürlich auch eine Subvention, aber eine, die man den ÖBB und Herrn Kern nicht anlasten kann. Die wollten die unrentablen Linien ja zusperren. Aber so läuft das eben.

Kurz und gut: Das „System Bahn“ wird in Österreich mit jährlich insgesamt annähernd sechs Milliarden Euro an öffentlichem Geld am Leben erhalten, wovon rund eineinhalb Milliarden als direkte Subventionen und die restlichen Euronen für dies und jenes fließen. Dazu hat sie noch einen Schuldenrucksack umgehängt, der bald 30 Milliarden ausmachen und vom Unternehmen nie auch nur ansatzweise bedienbar sein wird.

So ein Konglomerat lässt sich weder führen noch sanieren. Vernünftig wäre ja eine Dreiteilung: Die Infrastruktur gehört mitsamt ihren Schulden zum Staat. Der hat, wie bei der Straße, für deren erstklassigen Zustand zu sorgen. Und darauf können sich dann zwei erschlankte, von öffentlichen Zwängen befreite Bahnen (eine für Güter, eine für Personenverkehr) mit der bald auftretenden privaten Konkurrenz messen. Das gilt hierzulande aber als „neoliberal“ und ist deshalb auf lange Zeit unrealistisch. Die Bahn wird ihre Erfolge also weiter weitgehend aus Kreativbilanzierung beziehen müssen.

Herrn Kern werden politische Ambitionen nachgesagt. Angesichts solcher Aussichten wäre es wohl besser, diese zu realisieren. Denn bei der Bahn fehlt es am politischen Willen zur Sanierung. Und ohne diesen wird das nichts.


E-Mails : josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2013)

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