Pensionen: Ein System fährt rasend schnell an die Wand

System Pensionen.
System Pensionen. (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die staatlichen Ausgaben für Pensionen steigen in atemberaubendem Tempo, ohne dass die Pensionisten selbst davon allzu viel merken. Ohne umfassende Eingriffe ist, allen Wahlkampflügen zum Trotz, der Absturz unvermeidlich.

Die Lebenserwartung ist seit Einführung des ASVG um 20 Jahre gestiegen, aber das effektive Pensionsantrittsalter ist von 61 Jahren Mitte der Siebzigerjahre auf 58 Jahre zurückgegangen. Mit freiem Auge ist erkennbar, dass sich da „eine Lücke auftut, die nicht finanzierbar ist“: Kürzer und prägnanter, als das der Industrielle und Ex-Finanzminister Hannes Androsch in seinem kürzlich erschienenen, jüngsten Buch („Das Ende der Bequemlichkeit – 7 Thesen zur Zukunft Österreichs“) macht, kann man das Dilemma des heimischen Pensionssystems eigentlich nicht beschreiben.

Und kürzer und prägnanter kann man auch den Wahlkampfschmäh, mit dem Androschs Parteifreunde Faymann, Hundstorfer und Blecha in den vergangenen Monaten durch die Lande getourt sind, nicht widerlegen: Die Pensionen seien ohne größere Eingriffe ins System „sicher“, hatten die Herrschaften konsequent und wider besseren Wissen beharrlich behauptet.

Wider besseres Wissen deshalb, weil anzunehmen ist, dass den Regierungsmitgliedern die Zahlen des Bundesrechnungsabschlusses 2012, den der Rechnungshof (Zufälle gibts!) genau einen Tag nach der Nationalratswahl veröffentlichte, schon bekannt waren. Die lassen einem, wenn man sie näher ansieht, nämlich durchaus die Grausbirnen aufsteigen.

Im Wesentlichen ist die Situation die:
• Obwohl die Pensionen seit Jahren nur um die derzeit niedrige Inflationsrate (vielfach sogar darunter) erhöht wurden, nahm der staatliche Zuschuss zu den ASVG-Pensionen von 2008 auf 2012 um 31 Prozent zu.
• In Teilen des Öffentlichen Dienstes war der Zuwachs noch wesentlich stärker. Die Ausgaben für Pensionen der Landeslehrer beispielsweise waren mit einem Plus von 38,6 Prozent Spitzenreiter. Zum Vergleich: Die Verbraucherpreise stiegen im selben Zeitraum um 8,3 Prozent.
• Allein von 2011 auf 2012 stiegen die Bundesausgaben für Pensionen zwischen 8,4Prozent (ASVG) und satten 15,7 Prozent (Landeslehrer).

Man muss kein Nobelpreisträger in angewandter Mathematik sein, um auf einen Blick festzustellen, dass ein solches System allen Wahlkampflügen zum Trotz nicht „sicher“ und schon gar nicht „nachhaltig“ ist, sondern gerade mit hoher Geschwindigkeit an die Wand fährt. Man muss aber auch keinen Intelligenzquotienten wie Einstein besitzen, um auf einen Blick zu erkennen, dass diese außer Kontrolle geratene Situation nicht, wie ein paar unterbelichtete politische Geisterfahrer gern suggerieren wollen, mit schlichten Pensionskürzungen im ASVG (Durchschnittspension knapp unter 1000 Euro brutto im Monat) in den Griff zu bekommen ist. Sondern nur mit tiefen Eingriffen ins System.

Der wichtigste: das vom gesetzlichen Pensionsalter noch ziemlich weit entfernte effektive Pensionsantrittsalter endlich dem gesetzlichen anpassen. Und zwar schnell, nicht erst als Absichtserklärung für anno Schnee, wie das derzeit gern praktiziert wird. Man traut sich das gar nicht mehr zu sagen, denn diese Uraltplatte hat vom vielen Abgespieltwerden schon einen gewaltigen Sprung. Es tanzt nur keiner zu der Melodie: Hier haben alle Regierungen der vergangenen Jahrzehnte grauenhaft versagt.

Auch Schwarz-Blau übrigens, trotz der 2003 mit großem Pomp verkündeten „Pensionssicherungsreform“, die aber gleich wieder durch „betriebsbedingte Pensionierungen“ (wie das der damalige Verkehrsstaatssekretär Kuckacka einmal so entwaffnend ehrlich ausdrückte) im Staatsbereich konterkariert wurde. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter stagnierte in den letzten zehn Jahren nämlich de facto.


Mit anderen Worten: Das Arbeitslose-Verstecken hatte und hat Vorrang vor der Zukunftssicherung der Pensionen. Politisch ist der Systemumbau ja auch nicht ganz einfach: Er verprellt ältere Wähler (also die Kernschichten der mutmaßlichen künftigen Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP) und er macht sichtbar, dass die österreichische Arbeitslosenrate schwerstens getürkt und die Alpenrepublik arbeitsmarktmäßig nicht so toll ist, wie die offizielle Arbeitsmarktstatistik suggeriert, sondern eher europäischer Durchschnitt.

Allerdings: Könnte die hierzulande in Wahrheit sehr hohe Altersarbeitslosigkeit nicht in Frühpensionen versteckt werden, dann hätten wir zwar mehr Kostenwahrheit, aber auch ein ernstes soziales Problem. Denn die notwendigen Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer gibt es hierzulande nicht. Zumindest nicht in ausreichender Zahl.

Dafür sind, von den Lohnkurven bis zu unflexiblen Karriereverläufen und mangelnden Umstiegsmöglichkeiten innerhalb der Unternehmen, eine Reihe von Gründen maßgeblich, die allesamt eines gemeinsam haben: Ihre Beseitigung liegt im Einflussbereich der Sozialpartner, die sich als mächtige Institutionen zwar sogar (ganz nebenbei: ein besonders unsinniger Anachronismus) in die Verfassung reklamiert haben, sonst in weiten Teilen aber eher zur Besitzstandswahrungsgemeinschaft „abgesandelt“ sind. Hier könnten sie nach Langem wieder einmal ihre zu Recht umstrittene Existenzberechtigung unter Beweis stellen. Vereinzelte Ansätze in diese Richtung (etwa im Bereich der Bauarbeiter, in dem Altersbeschäftigung schon aus gesundheitlichen Überlegungen ein besonderes Problem ist) sind zwar schon zu sehen – aber entschieden zu wenig.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2013)

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