Die heile Welt der Realitätsverweigerer

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Ohne Strukturreformen führt der Budgetpfad nicht zum Nulldefizit, sondern ins Nirgendwo. Derzeit dominieren in Regierung und Sozialpartnerschaft aber nicht die Reformer, sondern die Realitätsverweigerer.

Die Wirren um die Hypo Alpe Adria verdecken zurzeit in der Öffentlichkeit ein wenig, dass dieses Land noch andere, viel gravierendere Probleme hat. Zum Beispiel die hartnäckige Verweigerung der schon lange anstehenden Strukturreformen, ohne die aber das angepeilte strukturelle Nulldefizit nicht erreicht werden kann. Zumindest nicht ohne weitere drastische Steuererhöhungen. Denn ein strukturelles Ausgabenproblem, und ein solches hat die Republik, lässt sich durch Aussitzen und Steuernerhöhen allein nicht lösen.

Ist der Regierung dieser Reformbedarf wenigstens bewusst? Man wäre geneigt, die Frage freundlicherweise mit Ja zu beantworten. Wären da nicht immer wieder Aussagen, die auf ein doch erschreckendes Ausmaß an Realitätsverweigerung hindeuten.

Die seit ein paar Monaten amtierende Finanz-Staatssekretärin Sonja Steßl (SP) beispielsweise hat im „Presse“-Chat (wie andere Regierungsvertreter schon vor ihr) zum Stand der Verwaltungsreform gemeint, die viel zitierten 599 Reformvorschläge des Rechnungshofs seien „bereits großteils umgesetzt“.

Echt jetzt? Blättern wir einmal ein wenig bei den großen Brocken im entsprechenden Vorschlagskatalog des Rechnungshofs nach:
•Die „Zusammenführung von Finanzierungs-, Aufgaben- und Ausgabenverantwortung, z.B. bei den Landeslehrern“: Umgesetzt?
•Die „Reform der Finanzverfassung und des Finanzausgleichs, z.B. Reduzierung der vielfältigen und intransparenten Transferströme“: Umgesetzt?
•Die „Harmonisierung der Pensionsrechte von Bund, Ländern, Gemeinden und öffentlichen Unternehmen“: Umgesetzt?
•Die „effizientere Gestaltung des Förderungswesens, z.B. Festlegung quantifizierbarer Förderungsziele, Vermeidung von überschneidenden Förderungsbereichen und von Mehrfachförderungen, Schaffung einer österreichweiten Förderungsdatenbank“: Umgesetzt?
•Die „Modernisierung des Haushaltsrechts der Gebietskörperschaften mit einer verstärkten Ziel– und Wirkungsorientierung der öffentlichen Verwaltung“: Umgesetzt?

Wenn man unter „Umsetzung“ die Einrichtung von Beamtenkommissionen mit dem Ziel der Problemverschleppung bis St. Nimmerlein versteht, könnte das natürlich hinkommen. Wenn man „Umsetzung“ aber, nun ja, eben als Umsetzung definiert, dann ist wohl die Frage erlaubt, auf welchem Planeten sich eigentlich das Finanz-Staatssekretariat befindet. Sollte diese Form von Realitätssinn den Mainstream in der Regierung widerspiegeln – dann gute Nacht.

Ganz nebenbei: Der Einsparungseffekt der 599 Rechnungshof-Vorschläge wird von Experten auf bis zu 15 Mrd. Euro beziffert. Damit könnte man die Kärntner Hypo eineinhalbmal abwickeln. Jedes Jahr. Oder die abenteuerlich hohe Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent und damit in die Gegend des EU-Schnitts senken. Oder man könnte das Budget nachhaltig sanieren und nicht nur das kreativ zusammengerechnete strukturelle, sondern auch das echte Defizit zum Verschwinden bringen.

Wäre doch was, oder? Aber am Beginn der Problembeseitigung steht eben die Problemerkennung – und um die ist es offenbar schlecht bestellt.

Übrigens nicht nur in der „richtigen“, sondern auch in der „Nebenregierung“: In einer wichtigen Sozialpartnerinstitution, nämlich der Landwirtschaftskammer, hat es neulich einen Präsidentenwechsel gegeben. Das ist insofern interessant, als der Agrarbereich (nicht nur in Österreich) ja die Branche mit dem wohl höchsten Reformbedarf (zugleich aber auch die mit Abstand reformresistenteste) ist. Eine Reihe von regulatorischen und fiskalischen Eingriffen auf allen Ebenen sorgt hier dafür, dass eine wichtige Branche für sich allein nicht lebensfähig ist: Gut fünfzig Prozent der Einkommen der Landwirtschaftsbetriebe stammen aus Subventionen (mehr als die Hälfte davon über den Umweg EU).

Das liegt überwiegend daran, dass das praktizierte Agrarsystem (wie gesagt, nicht nur in Österreich) extrem strukturversteinernd wirkt. Wir haben also, das streiten nicht einmal mehr Hardcore-Landwirtschaftskämmerer ab, das Problem aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht lebensfähiger, zu wenig produktiver Kleinbetriebsstrukturen.

Das kann man beispielsweise lösen, indem man den Unternehmern unter den Bauern das Unternehmen ermöglicht, statt es zu erschweren. Etwa durch Umstellung der Subventionen auf sinnvolle Investitionsförderung mit dem Ziel, überlebensfähige Betriebsgrößen zu schaffen. Da es noch nie in der Geschichte fachlich so gut ausgebildete Jungbauern gegeben hat, wäre diese „Entfesselung“ des Sektors wohl ziemlich vielversprechend.

Sinken würde freilich (wiederum nicht nur in Österreich) der Einfluss der diversen förderungsverteilenden Salon-Agrarier. Denn erfolgreiche Unternehmer lassen sich weniger leicht gängeln als Bittsteller, die sich bei der Agrarbürokratie mit Förderungsansuchen anstellen.

Kein Wunder also, dass die ersten öffentlichen Aussagen des neuen Landwirtschaftskammer-Chefs ungefähr so innovativ und zukunftsweisend waren wie Statements des Herrn Neugebauer vor Verhandlungen über das Beamtenpensionsrecht: Agrarsubventionen sind gar keine Subventionen, sondern kommen nur den Konsumenten und dem Tourismus zugute, einfachste Buchhaltung ist den Landwirten nicht zuzumuten – und überhaupt soll am besten alles bleiben, wie es ist.

Übrigens: In den Agrarsektor buttern wir, um plakativ zu bleiben, alle drei Jahre eine Hypo-Abwicklung. Also auch keine Kleinigkeit. Dass auch hier nichts weitergeht, zeigt: Dieses Land braucht noch viele Jahre und weitere Wohlstandsverluste, bevor eine echte Modernisierung angedacht wird.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2014)

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