Die Zahlentrickser von der Himmelpforte

(c) Clemens Fabry
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Statt Reformen wenigstens anzugehen, versucht der Finanzminister, das Budget mit Uralttricks schönzurechnen. Die Rechnung für das Reformversagen bezahlen die Lohnsteuerzahler mit aberwitzigen Steuererhöhungen.

Welchen Sinn ergibt es, wenn der Bund seinen 51-Prozent-Anteil am Stromkonzern Verbund – wie offenbar ernsthaft überlegt – an seine 100-Prozent-Beteiligung ÖIAG, also quasi an sich selbst, verkauft? Wirtschaftlich gesehen keinen. Absolut keinen.

Auch als versteckte Schuldenaufnahme geht das nicht mehr durch, seit die EU diesen früher von Bund und Ländern gern genutzten Schlaucherltrick nicht mehr akzeptiert und solche Konstruktionen voll in die Maastricht-Staatschuld einrechnet.

Ein Motiv gibt es freilich: Die Einnahmen aus einem derartigen, wohl kreditfinanzierten Pseudoverkauf verringern als Einmaleffekt das Budgetdefizit nach Maastricht. Und da hört man plötzlich die Nachtigallen trapsen: Die Hypo Alpe Adria wird dieses Defizit heuer ernsthaft aus den Fugen geraten lassen. Mit hoher Sicherheit werden die mindestens vier Milliarden Euro, die uns die Kärntner Katastrophenbank allein dieses Jahr kostet, das Defizit über die Maastricht-Grenze von drei Prozent des BIPs hochschnellen lassen.

Da ist es natürlich praktisch, wenn man dieses Defizit mit drei Milliarden aus einem „Verkauf“ wieder in die Gegend von zwei Prozent oder darunter drücken kann. Dafür nimmt man gern eine Erhöhung der Staatsschuld um drei Mrd. Euro (die ÖIAG muss das ja kreditfinanzieren) in Kauf. In einem Jahr, in dem die Staatsschuld wegen der Hypo und der verpflichtenden Einrechnung weiterer ÖBB-, BIG- und sonstiger Schulden um mehr als 30 Milliarden Euro hochschnellen wird, fällt das ja ohnehin keinem groß auf.

Hauptsache, die Regierung kann sich wieder hinstellen und ein „überraschend niedriges“ Defizit verkünden. So wie in dieser Woche, als Finanzminister Spindelegger das von den Statistikern ermittelte 2013er-Defizit von 1,6 Prozent „erfreulich“ nannte.

Sorry: Für uns Steuerzahler war es das nicht. Das Defizit hielt sich nämlich nicht in Grenzen, weil die Regierung endlich ihr Ausgabenproblem in den Griff bekommt, sondern weil sie bei den Steuern abenteuerlich zulangt. Besonders bei den Lohn- und Einkommensteuern.

Wie dramatisch es hier zugeht, zeigt die Zeitreihe: Seit 2010 sind die nominellen Bruttolöhne pro Kopf nach den Zahlen des Wifo um rund 7,4 Prozent gestiegen. Die Lohnsteuereinnahmen des Bundes haben laut Statistik Austria gleichzeitig aber um 18,9 Prozent zugenommen. Das heißt, die Lohnsteuereinnahmen steigen zweieinhalbmal so stark wie die Löhne. Kein Wunder, dass die realen Pro-Kopf-Nettolöhne (brutto abzüglich Inflation und Steuern) in diesem Zeitraum laut Wifo um 4,3 Prozent gesunken sind.

Kurzum: Der Staat greift über kalte Progression über Gebühr in die Taschen seiner Steuerbürger und sorgt so für real sinkende Kaufkraft. Wer ernsthaft glaubt, so die Wirtschaft „entfesseln“ zu können, sollte sich einmal ganz schnell das Standardwerk „Wirtschaft für Dummies“ (gibt es im gut sortierten Buchhandel ab 25,70 Euro) besorgen und zumindest einmal die Einführungskapitel durcharbeiten.

Wir sind hier deshalb ein wenig sarkastisch, weil Regierungsmitglieder aller Couleurs bei Sonntagsreden nicht mehr ohne den Passus, man müsse „Arbeit steuerlich entlasten“ auskommen – und in der Praxis dann das genaue Gegenteil tun.

Die aufgezeigte Fehlentwicklung – 18,9 Prozent Lohnsteuersteigerung bei gleichzeitigem Netto-Reallohnverlust von 4,3 Prozent in vier Jahren – lässt sich durch das, was hierzulande „Steuerreform“ genannt wird – nämlich eine kleine Abmilderung der kalten Progression – nicht mehr in den Griff bekommen. Schließlich haben wir trotz rückläufiger Realeinkommen im Vorjahr schon um 6,5 Mrd. Euro mehr Lohnsteuer bezahlt als 2010.

Da braucht es, wie schon hundertmal festgestellt, eine umfassende Staatsreform. Dass die notwendig ist, erkennt man schon daran, dass jetzt bereits der Fiskalrat – ein aus „Embedded Economists“ bestehendes Quasi-Regierungsorgan, dem man wirklich keine revolutionären Tendenzen nachsagen kann – unruhig wird.

Immerhin hat der Präsident des Fiskalrats (der übrigens seit Langem, wenn auch ungehört, für umfassende Reformen eintritt) in dieser Woche verlangt, geldvernichtenden Bundesländern Zügel anzulegen, also zur Abwechslung einmal etwas auf der Ausgabenseite zu tun. Derzeit sieht die „Budgetsanierung“ ja so aus: Man erhöht und erfindet Steuern (der letzte Steuerschub ist erst einen Monat her), man lässt die kalte Progression galoppieren – und wenn das noch immer nicht reicht, dann versucht man eben Uralttricks aus der Mottenkiste, wie etwa den „Verkauf“ einer Beteiligung an sich selbst.

Auf diese Weise wird man nicht einmal mit dem von allen wirklichen Belastungen befreiten strukturellen Defizit in die Gegend von null kommen. Geschweige denn mit dem echten. Nach dem langjährigen Hypo-Gemurkse hätte die Regierung einen echten Reformbefreiungsschlag auch wahltechnisch bitter nötig. Aber so wird das wohl nichts.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2014)

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