Die Schwundgeld-Macher von der EZB

Mario Draghi
Mario Draghi(c) APA/EPA/SERGIO GARCIA / EUROPEAN
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Die „schweren Geschütze“, die die Euro-Notenbank kommende Woche auffahren will, werden die Wirtschaft nicht nennenswert stimulieren, der privaten Vorsorge aber einen weiteren Schlag versetzen.

Kommende Woche beginnt, wie es aussieht, ein spannendes Großexperiment, bei dem wir Bürger der Eurozone sozusagen die Laborratten sind: Die EZB wird den Leitzinssatz nahe null setzen und wahrscheinlich auch Negativzinsen für Einlagen der Banken bei der Euro-Notenbank einführen. Eine Art Schwundgeld also: Wer Geld bunkert, bekommt keine Zinsen, sondern muss dafür bezahlen. Je länger das Geld liegt, desto mehr verliert es an Substanz.

Ersteres, nämlich Nullverzinsung, gibt es anderswo auch. Zweiteres, die Negativ-Einlagenverzinsung, ist in diesem Ausmaß ein Novum: Zwar hat es schon vereinzelt „Strafzinsen“ gegeben (etwa in den Siebzigerjahren in der Schweiz für ausländische Franken-Guthaben oder kurzzeitig in Dänemark und Schweden), aber noch nie ist das in einer so großen Wirtschafts- und Währungszone probiert worden.

Grundsätzlich ist das einmal das Eingestehen des Scheiterns: Die EZB, die seit Ausbruch der Krise an die 1000 Mrd. Euro an Liquidität in das System gebuttert hat, ohne den gewünschten Effekt (normales Wirtschaftswachstum) generieren zu können, muss nun ganz tief in die Kiste greifen. Wirkt auch das nicht, dann droht der japanische Weg: Jahrelange, vielleicht sogar jahrzehntelange Stagnation.

Und es wird wahrscheinlich nicht wirken, wie die Beispiele Schweden und Dänemark in kleinerem Rahmen gezeigt haben. Die Grundidee ist ja bestechend: Wenn die Banken für bei der EZB gebunkerte Milliarden bezahlen müssen, werden sie das Geld nicht mehr unproduktiv herumliegen lassen, sondern versuchen, es via Kreditvergabe in die Wirtschaft zu pumpen. Immerhin geht es dabei europaweit um dreistellige Milliardenbeträge. Die Folge: ein Wirtschaftsaufschwung.

So ähnlich stellen sich das zumindest Lieschen Müller und ein paar EZB-Strategen vor. Die Dänen und Schweden haben andere Erfahrungen gemacht: Dort haben die Banken ungerührt Strafzinsen bezahlt – und die Kosten dafür ihren bestehenden Kreditkunden umgehängt. Die Folge war also nicht eine wirtschaftsstimulierende Kreditschwemme, sondern eine Verteuerung bestehender Kredite. Womit der Unterschied zwischen „gut gemeint“ und „gut“ ziemlich plastisch umschrieben ist.

Aber warten wir ab. Vielleicht gelingt es der EZB, die Kreditvergabe zu stimulieren. Dann ist das für uns noch immer eine begrenzt frohe Botschaft. Die ersten Marktreaktionen zeigen ja schon, wohin die Reise geht: Nach Bekanntwerden der EZB-Pläne ist der Eurokurs gegenüber dem Dollar etwas gefallen. Das ist gut für die Exportwirtschaft. Und die Renditen der Euro-Staatsanleihen haben nachgegeben. Das ist gut für die schwer verschuldeten Eurostaaten.

Was uns noch bevorsteht: Natürlich wird das auch zu einer weiteren Senkung der mit freiem Auge ohnehin kaum noch wahrnehmbaren Sparzinsen führen. Dabei haben Sparer und Zeichner risikoarmer Staatsanleihen schon jetzt eine Art Schwundgeld auf dem Konto: Bei der österreichischen Inflationsrate benötigt man vor Kest mindestens (derzeit völlig unrealistische) 2,3 Prozent Zinsen, um sein Kapital real auch nur zu halten. Von echter realer Verzinsung ist da noch nichts zu merken.

Und damit sind wir schon bei den Negativeffekten der EZB-Politik: Wer sein Geld auf Sparkonten oder in deutschen oder österreichischen Staatsanleihen hält, erleidet Jahr für Jahr einen Wertverlust. Dieser Verlust wird ab kommender Woche noch ein Stück größer sein.

Mit anderen Worten: Die in den vergangenen Jahren so wortreich beworbene private Pensionsvorsorge per Lebensversicherung oder sicheren Anleihen kann man sich getrost an den Hut stecken. Wer sein Geld bei real deutlich negativer Verzinsung 30 oder 40 Jahre liegen lässt, kann es gleich zu Papierflugzeugen falten und aus dem Fenster werfen. Lebensversicherungen können ihre ursprünglich gemachten Renditeversprechen ja ohnehin schon lange nicht mehr einhalten, sie werden künftig noch größere Probleme bekommen.

Denn die Eurostaaten werden versuchen, dieses Umfeld möglichst lange aufrechtzuerhalten. Sie haben keine andere Wahl: Bei Staatsschuldenquoten jenseits von 80 Prozent ist jede Zinserhöhung ein Schritt in Richtung Staatspleite.


Der größte „Vorteil“ für die Regierenden: Je länger das Niedrigzins-Umfeld besteht, desto länger können sie sich um notwendige Reformen drücken. Weitere Staatsschulden kosten ja so gut wie nichts. Und ums Zurückzahlen müssen sich erst künftige Generationen kümmern. Dass die Rechnung dieser finanziellen Repression die Bewohner der wirtschaftlich erfolgreicheren Länder (also dort, wo die Inflationsraten relativ hoch, die Zinsen aber schon sehr niedrig sind) besonders trifft, ist auch kein ganz unerwünschter Effekt: Entspricht es doch einem weiteren versteckten Transfer in die Krisenstaaten.

Für die Regierenden in der Eurozone ist das also ein klarer Fall von Win-win-Situation. Leute, die für die Zukunft vorsorgen wollen, bleiben dagegen als Loser übrig. Besonders dann, wenn, wie zu erwarten, auch die „schweren Geschütze“ der EZB nicht so wirken, wie das geplant ist. Darauf müssen wir uns leider einstellen.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2014)

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