Steuern: Vom Tarnen und Täuschen

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Das System von Bruttolöhnen und Lohnnebenkosten verschleiert die wahre Steuerbelastung und hilft dem Staat, seinen Aufwand für Beamte kleinzurechnen.

Beim Militär und in der Natur gehört „Tarnen und Täuschen“ zu den überlebensnotwendigen Grundfertigkeiten. In der Politik, so sie etwas zu verstecken hat, offenbar auch. Da wird zwar viel von der notwendigen Transparenz geredet, gelebt wird aber, aus gutem Grund, das genaue Gegenteil.

Man sieht das sehr schön in der laufenden Steuer- und Pensionsdebatte: Jeder redet von der aberwitzig hohen Steuerbelastung der Arbeitseinkommen, aber keiner kann exakt beziffern, wie hoch diese wirklich ist. Und jeder redet von notwendigen Pensionsreformen und davon, dass innerhalb der Systeme weitgehende Beitragsdeckung angestrebt werden soll. Aber kaum jemand kennt die dahintersteckenden Daten.

Für die Regierenden ist das sehr komfortabel: Sie können in diesem intransparenten System beispielsweise ein Zehntel (!) ihres Personalaufwandes für Beamte in anderen Budgetposten verstecken, was den Druck auf Verwaltungsreformen doch deutlich mildert. Und sie können die wahre Steuer- und Abgabenbelastung „unsichtbar“ machen.

Als Hebel dafür dient das Bruttolohnsystem samt der Aufteilung der Abgaben auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile. Wollte man wirklich als Grundlage für Reformen Transparenz schaffen, dann müsste man zuallererst dieses Verschleierungssystem abschaffen.

Es macht sich ja kaum jemand Gedanken darüber, was der Bruttolohn, der auf einem Gehaltszettel steht, eigentlich ist. Das, was der Arbeitgeber für Arbeit zu zahlen hat, wie viele meinen? Das jedenfalls sicher nicht: Die Arbeitskosten sind natürlich höher.

Am Beispiel eines ASVG-versicherten Angestellten, der 2000 Euro netto im Monat verdient: Bei dem stehen 3203,33 Euro brutto auf dem Lohnzettel. Sein Arbeitgeber zahlt aber (wegen der sogenannten Lohnnebenkosten) stolze 4203, 38 Euro.

Brutto ist also ein ziemlich willkürlich gewählter fiktiver Wert zwischen dem, was der Arbeitgeber zahlt, und dem, was der Arbeitnehmer bekommt. Er lässt sich durch willkürliche Zuordnungen zu Haupt- und Nebenkosten beliebig manipulieren, ohne dass sich an den Eckpunkten irgendetwas verändert.

Das ist sehr praktisch: Ein Blick auf den Lohnzettel würde unseren ASVGler beispielsweise zur Ansicht bringen, dass er rund 37,5 Prozent seines Einkommens an Steuern und Abgaben abliefert. Würde er die Lohnnebenkosten, die ja keine „Nebenkosten“, sondern ein ganz normaler Anteil seines echten Gehalts sind, berücksichtigen, sähe die Sache schon anders aus: Dann würde sein Abzug nämlich 52 Prozent des „wahren Brutto“ ausmachen. Eine derartige Belastung für ein nicht gerade überdurchschnittliches Angestellteneinkommen könnte ihn vielleicht auf dumme politische Gedanken bringen. Da verschweigt man es ihm lieber.

Bei einem Ausweis der Nebenkosten, die, wie gesagt, ja keine sind, würde er noch eine erstaunliche Entdeckung machen: dass es nämlich kein Zufall ist, dass die ASVG-Pension die mit Abstand höchste Beitragsdeckung hat: Er zahlt nämlich nicht, wie er meint, 10,25 Prozent des Bruttoeinkommens Pensionsbeitrag, sondern 22,80 Prozent. Deutlich mehr also als etwa Eisenbahner oder Beamte, deren Gewerkschaften immer wieder behaupten, sie würden höhere Beiträge abführen.

Deren Argumentation wiederum geht nur durch, weil nur Arbeitnehmeranteile verglichen werden. Die öffentliche Hand „erspart“ sich ja die Arbeigeberanteile, wie es heißt. Sie erspart sich natürlich gar nichts, weil die solcherart „eingesparten“ Dienstgeberanteile später als höhere Pensionszuschüsse aus dem allgemeinen Budget wieder auftauchen. Aber sie hat damit, sehr praktisch, einen nicht ganz unbeträchtlichen Teil der Personalkosten für ihre Beamten verschleiert und heimlich ins allgemeine Budget transferiert.

Damit muss jetzt einmal Schluss sein: Es gibt keine Lohnhaupt- und Lohnnebenkosten. Es gibt Lohnkosten, die der Arbeitgeber trägt und es gibt den Nettolohn, der dem Arbeitnehmer verbleibt. Was dazwischen liegt ist, wie immer es aufgeteilt wird, der Teil, den sich der Staat einverleibt. Und der, wie schon erwähnt, viel größer ist, als man derzeit vom Lohnzettel ablesen kann.


Wie absurd dieses Konzept mit fiktiven Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteilen ist, hat schon vor vielen Jahren Kollege Jens Tschebull mit der Erfindung der beitragsfreien Pensionsversicherung vorexerziert. Die geht so: Man vermindert das Bruttogehalt um den Arbeitnehmeranteil an der Pensionsversicherung und transferiert diesen zu den Arbeitgeberabgaben. Effekt: Arbeitgeber zahlen gleich viel wie vorher, Arbeitnehmer bekommen gleich viel netto wie vorher – aber es gibt auf dem Lohnzettel keinen Abzug für den Pensionsbeitrag mehr. Zahlt alles der Arbeitgeber. Praktisch, nicht? Dass diese Idee noch von keinem Populisten aufgegriffen worden ist!

Noch einmal: Dieser Unsinn muss weg. Es gibt keinen Grund, Arbeitnehmern ihr wahres Einkommen und ihre wahre Abgabenbelastung zu verschweigen. Außer natürlich den, dass man sich für Belastungen von deutlich über 50 Prozent schon für sehr durchschnittliche Einkommen geniert und (nicht ganz zu Unrecht) unerwünschte politische Reaktionen befürchtet, wenn das wahre Ausmaß des Steuer- und Abgabendrucks aufkommt.

Am Beginn der neuen Transparenz stehen also Lohnzettel, auf denen das wahre Einkommen und die wahre Belastung ersichtlich sind. Oder, besser, eine Umstellung des Steuersystems auf Selbstveranlagung: Mit dem Arbeitgeber wird ein Arbeitsentgelt vereinbart, von diesem „Brutto-brutto“- Einkommen sind dann die Steuern und Abgaben selbst abzuführen. Und dann reden wir weiter, ob wir mit einer Steuer- und Abgabenreform wirklich noch so lange warten können, bis sich der Staat endlich zu mehr Effizienz bequemt.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2014)

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