Die „schreiende Stille“ der Wirtschaftspolitik

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Während die Konjunktur europaweit langsam Fahrt aufnimmt, steht Österreich vor dem wirtschaftlichen Absturz. Das hat auch damit zu tun, dass die miese, reformfeindliche Stimmung die Unternehmen vom Investieren abhält.

Gerade erst haben die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognose für das heurige Wirtschaftswachstum von 1,7 auf 1,4 Prozent gesenkt – schont scheint das wieder obsolet zu sein: „Es würde mich nicht wundern, wenn heuer eine Null vor dem Komma stünde“, sagte neulich ein heimischer Topbanker zur „Presse“. Was ihn zu diesem Pessimismus treibt? „Die Kreditnachfrage ist am Boden, niemand will mehr investieren.“ Das gelte sowohl für die Industrie als auch für das Rückgrat der heimischen Wirtschaft, die Klein- und Mittelbetriebe.

Viele der Wirtschaftsdaten, die jetzt nach und nach an die Öffentlichkeit sickern, untermauern dieses Stimmungsbild. Die Arbeitslosenrate etwa, die zuletzt geradezu dramatisch nach oben geschnellt ist.

Was aber besonders auffallend ist: Auf dem Weg in Richtung Rezession sind wir ziemlich allein unterwegs. Während sich die Wirtschaftsdaten hierzulande in geradezu atemberaubendem Tempo verschlechtern, melden Wirtschaftslokomotiven wie die USA oder Deutschland nämlich gerade ein Anziehen der Konjunktur und rückläufige Arbeitslosigkeit. Selbst in Euro-Problemländern wie Spanien beginnt sich die Stimmung zu drehen. Und auch dort beginnt die Arbeitslosigkeit zu sinken.

Mit anderen Worten: Wir sind gerade dabei, in Europa, das ja selbst nicht gerade das Prosperitätszentrum der Welt ist, konjunkturell abgehängt zu werden. Und was wird dagegen unternommen, außer gebetsmühlenartig zu betonen, dass wir noch immer eines der reichsten Länder der Gemeinschaft sind und (noch) die niedrigste Arbeitslosenrate haben?

Der prägnanteste Befund zu den wirtschaftspolitischen Aktivitäten der amtierenden Regierung kommt wohl vom SP-nahen Industriellen und Ex-Finanzminister Hannes Androsch: Es herrsche „schreiende Stille“, sagte er zur „Presse“.

So empfinden es wohl auch jene Unternehmer, die sich seit einiger Zeit dafür entscheiden, Investitionen entweder gar nicht erst anzugehen oder dort zu tätigen, wo sie Zukunft versprechen. Also jedenfalls nicht im Land. Diese resignative Stimmung ist viel gefährlicher als jede von außen hereinkommende Rezessionsgefahr. Weil sie das Land, das wirtschaftlich ja nur noch von der Vergangenheit lebt, dauerhaft lähmt.

Aber sie hat einen guten Grund: Den reformatorischen Stillstand, der dieses Land immer stärker bremst. Der ist keine Erfindung der jetzt amtierenden Regierung. Die notwendigen Strukturreformen, über die wir jetzt reden, werden seit gut 20 Jahren diskutiert. Der Befund, dass die Steuern im Allgemeinen und die auf Arbeit im Besonderen wirtschaftsschädigend hoch sind, ist nicht neu. Auch die Erkenntnis, dass die Verwaltung fett angesetzt hat und deshalb zu teuer ist, dass das Pensionssystem Korrekturen braucht, dass der hierzulande praktizierte Föderalismus zu tiefe Löcher in die Staatskasse reißt und so weiter und so weiter – auch darüber reden wir seit Jahrzehnten.

An von Experten (Rechnungshof, Wifo, IHS etc.) fertig ausgearbeiteten Lösungsansätzen mangelt es ebenfalls nicht. Es mangelt an Mut (oder Können oder vielleicht auch beidem) zur Umsetzung. Wahrscheinlich ist wohl der Leidensdruck, dem das Wahlvolk ausgesetzt ist, noch nicht groß genug.

Gut, die Steuerprogressions- und Gebührenorgie, die diese Regierung gewähren lässt, sorgt dafür, dass die Reallöhne seit fünf Jahren sinken. Und die höchste Arbeitslosenrate seit 60 Jahren bei weiterhin stark steigender Tendenz wird langsam unangenehm. Aber solange das Niedrigzinsumfeld noch erlaubt, relativ undifferenziert Sozialleistungen und Förderungen auf Pump unters Wahlvolk zu schütten, kann die Party ja weitergehen.

Lange wird das aber nicht mehr funktionieren. Und je länger die Herrschaften am Ballhausplatz und in der Johannesgasse zuwarten, desto größer wird am Ende der Katzenjammer werden.

Was dieses Land jetzt am dringendsten benötigt, ist eine wirtschaftspolitische Perspektive. Die könnte so aussehen: Zuerst eine leichte Abmilderung der untragbar gewordenen Steuerlast durch eine Steuerreform, die nicht durch neue Abgaben, sondern durch eine radikale Durchforstung des völlig aus der Fasson geratenen Fördersystems gegenfinanziert wird. Und dann zumindest der Start der auf dem Tische liegenden Reformpläne für den Staat, die Verwaltung, die Pensionen, die Bildung.

Bis die monetäre Wirkung zeigen, dauert es eine Zeitlang. Aber allein das Gefühl, dass es nach Langem wieder in die richtige Richtung geht, wird ja wohl auch jene grassierende Investitionslähmung lösen, die derzeit die jeder Perspektive beraubte Privatwirtschaft einbremst.

Wenn wir allerdings weiter darüber diskutieren, wie wir „Millionäre“ per Strafsteuer aus dem Land ekeln, statt darüber, wie wir Anreize bieten können, dass der kritisierte Reichtum beispielsweise in Start-up-Finanzierungen umgeleitet werden kann, und wenn wir weiter mehr Geld in überkommene, ineffiziente Strukturen in Staat, Verwaltung und Landwirtschaft buttern als in Spitzenuniversitäten, dann werden wir uns mittelfristig wirklich aus dem Klub der wohlhabenden Staaten verabschieden.

Es wartet viel Reformarbeit. Die ist natürlich nicht ganz einfach. Denn das Land ist weiterhin in der Hand der Besitzstandswahrer aller Couleurs.

Und es werden, statt dass man in „ersessene“ und „wohlerworbene“ Rechte eingreift, neue Besitzstände geschaffen. Etwa mit den seltsamen Ökostrom-Fördersystemen, die nicht nur Budgets und Leitungsnetze aus dem Gleichgewicht bringen, ohne wirkliche Umwelteffekte zu erzielen, sondern auch einer neuen Kaste von Auskennern praktisch pragmatisierte Renditen verschaffen.

Da gibt es noch viel zu tun. Die Regierung soll jetzt endlich ihre unerträgliche Arbeitsverweigerung beenden – oder Leuten Platz machen, die das können.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2014)

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