Warum Europas Industrie schlechte Karten hat

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Hätte Bill Gates als Willi Türl aus Wien seinen Weltkonzern hochziehen können? Wahrscheinlich nicht. Er wäre an der Finanzierung und am bürokratischen Umfeld gescheitert. Ein Biotop, das unsere Zukunft gefährdet.

Spät, aber doch scheint die heimische Politik das Schlagwort Industrie 4.0 zu entdecken: Bei den Technologiegesprächen in Alpbach war diesmal viel die Rede von der digital vernetzten Produktion der Zukunft, die die Industrie, wie wir sie heute kennen, völlig auf den Kopf stellen wird. Und davon, wie dieser Megatrend hierzulande gefördert werden könnte. Da gibt es ja einige Initiativen.

Ein vom Infrastrukturministerium angekündigtes 250-Millionen-Euro-Unterstützungsprogramm etwa oder eine Zwei-Millionen-Förderung für eine „Pilotfabrik“ an der Wiener TU, in der digitalisierte Produktionsprozesse ohne die Störung „echter“ Produktion getestet werden können.

Das ist alles sehr lobenswert und schön, greift aber doch ein wenig sehr zu kurz. Eine Art politisches Placebo, um nachher sagen zu können, „wir haben es eh versucht“. Österreich ist ja, trotz aller Abwanderungstendenzen, keine industrielle Wüste. Wir haben Unternehmen mit hervorragendem internationalem Ruf. Auch im Hochtechnologiesektor. Nicht wenige von ihnen sind in ihrer Branche Weltmarktführer oder zumindest ganz vorn dabei.

Und die meisten davon werden es auch künftig sein. Sie implementieren neue Produktionsprozesse natürlich laufend (sonst wären sie ja längst weg vom Fenster) und sind in Sachen Industrie 4.0 somit auf dem globalen Stand der Technik. Über eine „Pilotfabrik“ für etwas, das sie längst im Echtbetrieb einsetzen, werden sie wahrscheinlich milde lächeln.

Das Problem, das nicht nur Österreich, sondern ganz Europa in zunehmendem Maße hat, ist aber nicht die Anwendung neuer Verfahren, sondern deren Entwicklung. Etwas plakativ gesprochen: In China produzierte Maschinen mithilfe amerikanischer Software zu vernetzen wird kein Problem sein. Es wird aber nicht reichen, um die Industrie in der Weltregion mit den höchsten Arbeitskosten zu halten.

Ein zu guter Letzt entindustrialisiertes Europa wird aber seinen Lebensstandard nicht halten können. Denn das gut gepflegte Märchen von der wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft, die die „schmutzige“ Produktion in andere Weltgegenden auslagert und diesen nur noch gegen fettes Honorar zeigt, wo es langgeht, ist unterdessen als solches entlarvt: In Forschung und Entwicklung holen Asiaten rasant auf, und produzieren können sie ohnehin günstiger.

Wenn Europa in diesem Szenario mithalten will, wird man sich nicht nur mit der Anwendung, sondern auch mit der Entwicklung der neuen Technologien intensiver befassen müssen. Und da sieht es leider düster aus.

Der renommierte Unternehmensberater Roland Berger hat neulich in einem Kommentar für das „Handelsblatt“ beklagt, dass von den 100 wichtigsten Hightech-Unternehmen des Globus nur noch acht ihre Zentrale in Europa haben, dass es nach dem Nokia-Verkauf keinen einzigen europäischen Mobiltelefonhersteller von Rang mehr gibt, dass das PC- und Smartphone-Geschäft von Apple (USA) und Samsung (Südkorea) dominiert wird, dass es mit SAP nur noch einen einzigen europäischen Global Player in der Informations- und Kommunikationstechnologie gibt, dass Software (Microsoft, Oracle), „Big Data“ (Google, Facebook) und Netzbetreiber (AT&T, China Mobile) global dominant in amerikanischen und (zunehmend) chinesischen Händen sind.


Warum ist das eigentlich so? Um die Antwort auf diese Frage zu finden, eignet sich am besten ein kleines Gedankenspiel: Hätten die Herren Bill Gates (Microsoft), Steve Jobs (Apple) und Mark Zuckerberg (Facebook) – allesamt Studienabbrecher mit genialen Ideen, hoher Überzeugungskraft, aber ohne die notwendigen Millionen in der Kasse – als Wiener Vorstadtgenies ihre Weltkonzerne aufziehen können?

Wie immer man an die Sache herangeht: Die Antwort lautet ganz klar Nein. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Die Herrschaften wären beispielsweise an der Finanzierung und an nicht zu knappen bürokratischen Hürden gescheitert und letztendlich wohl als Programmierer bei Siemens gelandet. Und falls sie es durch ein Wunder (und viel ausländisches Wagniskapital) doch geschafft hätten, ohne auszuwandern, würden sie heute zur Gruppe jener Volksschädlinge gehören, denen der Bundeskanzler täglich ausrichten lässt, dass sie endlich mit einer „Millionärssteuer“ zur Räson gebracht werden müssen.

Andersherum: Das Biotop passt hier nicht. Da ist mit Einzelmaßnahmen und ein paar Förderungen nichts zu machen. Da muss sich das gesamte gesellschaftliche Klima ändern.

Wo fangen wir an? Am besten beim Bildungssystem, das vor lauter Angst vor Leistungsdenken massenhaft Abgänger produziert, die (wie erst gestern wieder in der „Presse“ zu lesen war) nicht einmal mehr die elementarsten Voraussetzungen für den Antritt einer Lehrstelle mitbringen. Auf dieses baut dann ein tertiäres Bildungssystem auf, das (noch immer dem 68er-Trend folgend) technik- und praxisfeindlich strukturiert ist. Was man nicht nur am (im Vergleich etwa zu den USA oder China) sehr geringen Anteil der Technikstudenten an der Gesamtzahl der Studierenden ablesen kann. Solange Genderwissenschaften als cool und technische Chemie oder Quantenphysik als sterbenslangweilig gelten, läuft halt einiges schief.

Dann kommen wir zur Finanzierung der genialen Idee: Die Bank kann das ohne Sicherheiten nicht (auch nicht in den USA) – und echte Wagnisfinanzierung gibt es zwar, aber nicht in ausreichendem Ausmaß. Unser Genie müsste sich auch noch durch die Hürden der Unternehmensgründung wühlen – und wäre dann belächelter Kleinunternehmer. Die Geldgeber („Venture-Kapitalisten“) müssten sich noch dazu das Image des üblen Spekulanten umhängen lassen, in einem Land, in dem ja schon der Besitz einer OMV-Aktie in weiten Kreisen der größeren Regierungspartei als neoliberales Teufelszeug gilt.


So wird das nichts. Ein Biotop, in dem Zukunft gedeiht, kann man sich beispielsweise im amerikanischen Silicon Valley anschauen: offene, innovationsfreudige Atmosphäre, enge Zusammenarbeit mit Eliteuniversitäten ohne Elfenbeinturm, Belohnung von unternehmerischer Initiative, effiziente Instrumente für Wagniskapitalfinanzierung. Das ist das Umfeld, in dem Innovation zum Blühen kommt.

Das sollten sich unsere zuständigen Minister einmal für längere Zeit live geben. Und dann reden wir weiter, ob für die vierte industrielle Revolution wirklich ein paar Fördermillionen ausreichen.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2014)

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