Kommt Bewegung in die Stillstandsrepublik?

Austrian Finance Minister Schelling delivers a speech during the annual regulatory conference of Austrian markets watchdog FMA in Vienna
Austrian Finance Minister Schelling delivers a speech during the annual regulatory conference of Austrian markets watchdog FMA in Vienna(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Wenn es der Finanzminister schafft, nach 40 Jahren Palaverns die einheitliche Bilanzierung im Gesamtstaat durchzusetzen, können wir wieder hoffen. Bei diesem Staatsschuldenstand können Reformen nicht länger warten.

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat neulich angekündigt, er wolle eine transparente, einheitliche Rechnungslegung aller Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) bis zum Jahresende durchsetzen. Wenn ihm das wirklich gelingt, dann hat er sehr schnell sein Meisterstück abgeliefert. Und wir können langsam zu hoffen beginnen, dass sich in dieser Stillstandsrepublik doch noch etwas zu bewegen beginnt.

Die einheitliche Bilanzierung der Länder und Gemeinden mag jetzt nicht so spannend klingen, deren Zustand ist aber ein geradezu aufreizendes Symbol für den reformerischen Stillstand und die politische Feigheit in diesem Land: Sie wird seit ziemlich exakt 40 Jahren durch schlichtes Nichtstun einer nach der reinen Lehre des österreichischen Föderalismus zusammengesetzten Kommission zu Tode administriert.

Blenden wir kurz zurück: Am 28. Juni 1974 hat der damalige Finanzminister Hannes Androsch im Rahmen der sogenannten „Heiligenbluter Vereinbarung“ zwischen Bund, Ländern und Gemeinden eine Kommission zwecks Modernisierung und Vereinheitlichung des Rechnungswesens ins Leben gerufen. Alle dafür relevanten Gebietskörperschaften und Organisationen sind dort vertreten: der Bund, die Länder, der Städtebund, der Gemeindebund, ein paar weitere in diesem Umfeld tätige Organisationen.

Die Herrschaften treffen einander seit 40 Jahren regelmäßig – und haben bis heute kein brauchbares Ergebnis zustande gebracht. Aber anstatt die ganze Partie wegen erwiesener Unfähigkeit zum Teufel zu jagen, lässt man sie weiter das große Wort führen. Der jeweils amtierende Finanzminister hätte zwar, wie wir seit Langem wissen, in Abstimmung mit dem Rechnungshofpräsidenten die rechtliche Möglichkeit, ein einheitliches Rechnungswesen einfach zu verordnen. Angesichts der wahren Machtverhältnisse im Land hat sich aber bisher keiner getraut, über die einander blockierenden Landesfürsten und Gemeindekaiser einfach drüberzufahren.

Und so macht weiterhin jeder, was er will. Die einen (etwa der Bund oder das Land Vorarlberg), haben von sich aus moderne Rechnungssysteme eingeführt, andere wiederum bilanzieren wie zu Zeiten Maria Theresias. Die einen weisen Haftungen aus, die anderen nicht. Und so weiter und so weiter.

Fazit: Niemand hat einen rechten Überblick über die Finanzen der Länder und Gemeinden. Und damit über die Staatsfinanzen. Das ist freilich alles andere als eine akademische Diskussion für angehende Wirtschaftstreuhänder: Immerhin hätten mittels einer transparenten, vergleichbaren Gebarung Finanzpleiten wie etwa jene in Kärnten oder Salzburg rechtzeitig entdeckt und abgefangen werden können und auch die Niederösterreicher hätten uns ihr Märchen von der so erfolgreichen „Veranlagung“ ihrer Wohnbaumittel nicht so dreist erzählen können.

Wir halten dem Finanzminister also die Daumen, dass er dieses Paradebeispiel für Reformverweigerung nach vier Jahrzehnten jetzt wirklich in den Griff bekommt. Auch wenn es einige Länder ernsthaft als „Aktionismus“ empfinden, wenn nach 40Jahren Stillstand über dessen Beendigung gesprochen wird.

Das wäre immerhin ein Signal dafür, dass Reformen in diesem Land doch auch ohne vorhergehenden Totalcrash und ohne EU-Troika oder IWF möglich sein können. Ein solches Signal werden wir brauchen.

Der Druck zu handeln ist in den vergangenen Tagen, auch wenn die Regierung das zumindest offiziell noch nicht so sieht, nämlich enorm gestiegen. Wie berichtet, zeigt ja die in dieser Woche veröffentlichte Neuberechnung der Staatsschuldenquote (nicht ganz unerwartet), dass die offiziellen Schuldenstatistiken bisher, nun ja, ein wenig geschönt waren.

Unsere Staatsverschuldung liegt nicht, wie bisher offiziell verkündet, bei 74,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sondern deutlich jenseits von 80. Heuer werden es 86 bis 87 Prozent des BIPs sein. Vielleicht auch ein bisschen mehr. Einen wirklich exakten Überblick hat man angesichts intransparenter Länder- und Gemeindefinanzen ja nicht. Nur so zum Nachdenken: Der Unterschied zwischen 74,4 und 86 Prozent des BIPs sind schlappe 40 Milliarden. Jetzt kann man natürlich darüber diskutieren, ob die am BIP bemessene Schuldenquote ein brauchbarer Indikator für die Bonität eines Landes ist. Immerhin genießt Japan mit einer Schuldenquote von weit über 200Prozent einen erstklassigen Ruf als Schuldner, während Griechenland mit viel weniger Schulden in die De-facto-Pleite geschlittert ist.

Aber wir haben die Schuldenquote nun einmal im Maastricht-Vertrag stehen. Und ab 2017 wird die Sache haarig: Ab da haben sich die Euroländer verpflichtet, eine Schuldenquote von 60 Prozent des BIPs einzuhalten. Wer darüber liegt, muss so lange jährlich fünf Prozent des über der 60-Prozent-Quote liegenden Schuldenstands zusätzlich einsparen, bis die 60Prozent erreicht sind. Da macht es natürlich einen kleinen Unterschied, ob der Schuldenstand mit 240 oder 280 Mrd. Euro ausgewiesen wird und ob die Quote von 74,5 oder von fast 90 Prozent auf 60Prozent zurückgefahren werden muss.

Im Falle Österreichs wären das aus heutiger Sicht an die vier Mrd. Euro, die ab 2017 zusätzlich eingespart werden müssten. Und zwar pro Jahr. Der Hoffnung, dass man aus dieser Misere einfach durch starke BIP-Steigerungen „herauswachsen“ kann, sollte man sich nicht hingeben. Mit Steuererhöhungen oder neuen Steuern wird das auch nicht gehen, zumal ja vorher eine große Lohn- und Einkommensteuerreform ansteht. Man wird also wohl beginnen müssen, ernsthaft die vorliegenden Vorschläge für die Staatsreform umzusetzen. Und zwar rasch.

Dafür braucht es Durchsetzungsfähigkeit vonseiten des Bundes. Wenn der Finanzminister mit der einheitlichen Rechnungslegung auch gegen den Willen einiger Länder und Gemeinden ein Zeichen setzt, können wir noch hoffen. Wenn nicht, dann müssen wir wirklich auf einen Neustart nach dem dann wohl unvermeidlichen Crash warten.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2014)

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