Agrarmarkt: Die letzten Zuckungen der heimischen Milch-Opec

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Wenn die Bauern ihre strukturkonservative Erbhof-Ideologie weiterpflegen, werden sie das Schicksal der Greißler erleiden.

Zwei Meldungen aus dem wundersamen Reich des europäischen Agrarsystems, Abteilung Österreich: Handelsketten haben ihre Milchpreise teilweise gesenkt, was die Agrarbürokratie auf die Palme bringt. Die Landwirtschaftskammer-Präsidenten höchstselbst wollen deshalb eine Art „Marktbeobachtungsgruppe“ bilden, die sofort mit Anzeigen zuschlägt, wenn der Verdacht besteht, irgendjemand könnte Milch unter dem Einstandspreis verschleudern. Und: Die heimischen Milchbauern werden heuer bis zu 60 Mio. Euro an Strafzahlungen leisten müssen, weil sie mehr Milch liefern, als ihnen durch ihre Milchquoten zusteht.

Ein durchschnittlich wirtschaftlich gebildeter mitteleuropäischer Nichtagrarier würde auf die beiden Meldungen ungefähr so reagieren: Aha, wir haben ein Überangebot. Das drückt naturgemäß die Preise. Die Lösung lautet: Angebot der Nachfrage anpassen, wenn man diese nicht steigern kann.

Der durchschnittliche mitteleuropäische Agrarier aber denkt nicht in Kategorien von Angebot und Nachfrage, sondern in jenen von Quoten, Interventionspreisen, Ausgleichszahlungen etc. Und so sieht das Ganze dann auch aus.

Die Herren Landwirtschaftskammer-Präsidenten sagen ihren Schäflein deshalb auch nicht das Naheliegende: „Produziert marktkonform, dann werdet ihr bessere Preise bekommen!“ Sie zeigen vielmehr mit dem Finger auf die bösen Handelsketten, verlangen Mindestpreise und fordern (in einer Branche, die jetzt schon die Hälfte ihrer Einkommen direkt in Form von diversen Subventionen vom Steuerzahler überwiesen bekommt) zusätzlich Steuergeld für die Erschließung neuer Exportmärkte.

Letzteres (die Erschließung neuer Exportmärkte) ist tatsächlich keine schlechte Idee, denn einer ist der Milchwirtschaft ja weggebrochen: Russland ist als Abnehmer ausgefallen, was, ganz nebenbei, schon lange vor Verhängung der EU-Sanktionen wegen der Ukraine-Krise begonnen hat. Das ist allerdings nicht der Grund für die Milchpreismalaise, sondern hat diese nur ein wenig verschärft. Der Grund ist, wie gesagt, schlicht und ergreifend Überproduktion.

Die sollte zwar durch das Milchquotensystem, einer Art europäischer Milch-Opec, verhindert werden. Die Milchbauern machen aber gerade wieder einmal eine Erfahrung, die auch der richtigen Opec nicht erspart geblieben ist: Ein Mengenkartell zur Preisstützung funktioniert nur dann, wenn man es eigentlich nicht braucht. Dann also, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt und man nach Belieben an der Preisschraube drehen kann. Wenn es freilich darum geht, die Produktion zur Preisstützung zurückzufahren, dann ist jedem Produzenten das eigene Produktionshemd bedeutend näher als der Kartellrock.

In der Milchwirtschaft heißt das „Überlieferung“. Und die war zuletzt beträchtlich: Rechnet man die mögliche Strafzahlung von 60 Mio. Euro zum Strafsatz (28 Cent/Kilogramm) um, dann haben die Bauern ihre Quoten so um die 214.000 Tonnen überzogen. Nicht schlecht bei einer Gesamtanlieferung von knapp drei Mio. Tonnen. Das hätte auch ganz ohne Putin grässlichen Preisdruck erzeugt.
Das Beste daran: Die Milchüberproduktion wurde bewusst so stark hochgefahren. Denn schon in fünf Monaten fällt das EU-Milchquotensystem, die Milch-Opec ist dann Geschichte. Und vorher wollte man eben noch schnell Märkte besetzen. An sich keine unlogische Vorgangsweise. Die Spekulation ist aber wohl nicht aufgegangen, denn die Sache mit den Russland-Sanktionen hat den Preisdruck ein paar Monate zu früh zu stark werden lassen. Und jetzt haben wir den Salat. Allerdings: Wieso etwa Steuerzahler für diese klassische betriebswirtschaftliche Fehlspekulation büßen sollen, ist wohl nicht ganz einsehbar.

Zumal betriebswirtschaftlich ja auch noch andere Dinge im Argen liegen: Die österreichischen Milchbauern weisen eine extrem niedrige Arbeitsproduktivität auf. Nur die Schweiz liegt da noch schlechter. Neuseeländische Milchbauern sind, um ein Beispiel vom anderen Ende der Skala zu bringen, bis zu siebenmal so produktiv. Die müssen aber auch ohne Agrarsubventionen auskommen.

Das führt, wenig überraschend, dazu, dass Milch in Österreich unter extrem hohen Produktionskosten erzeugt wird. Auch in diesem Punkt liegt nur die Schweiz schlechter, andere EU-Länder produzieren deutlich günstiger. Von Ländern ohne Subventionen wie etwa Argentinien oder Neuseeland einmal ganz zu schweigen.

Schuld daran ist (ebenso wie im Fall der Schweiz) natürlich überwiegend die kleinbetriebliche Struktur im Land, die offenbar konkurrenzfähiges Wirtschaften ausschließt. Diese Struktur ist durchaus gewollt, und man versucht, sie mit einem kleinen Teil der Agrarförderungen (der größere Teil der Förderungen geht ja an Großbetriebe und agrarfremde Unternehmen) am Leben zu erhalten.

Das ist aber schwierig, denn das fette Fördersystem wird auf Dauer nicht zu halten sein, und der Trend geht, wie am Beispiel der vor dem Ende stehenden Milchquote schön zu sehen ist, langsam, aber doch in Richtung Markt.
Und da kann man sich jetzt wirklich nicht mit überkommenen Erbhof-Ideologien aufhalten: Wenn Österreich mehr produziert, als im Inland verbraucht wird, muss man sich auf Dauer noch stärker als schon jetzt auf Exportmärkten behaupten. Dort ist es aber ziemlich egal, ob der Bauer jede Kuh mit Vornamen kennt. Da müssen Qualität und Preis stimmen. Und dort trifft man auch auf Konkurrenten, die ihre betriebswirtschaftlichen Hausaufgaben schon gemacht haben und ohne Steuerzahlerhilfe auskommen.

Besser, als den Handel (der, ganz nebenbei, Vertragspartner der Molkereien und nicht der Bauern ist) zu drangsalieren, wäre es also wohl, Überlegungen anzustellen, wie man (vielleicht unter Aufrechterhaltung der durchaus gewollten Hofstruktur) zu konkurrenzfähigen Betriebsgrößen kommt. Da gibt es ja durchaus Möglichkeiten, Produktionen in Unternehmen zu poolen, ohne dass deshalb gleich ganze Landstriche veröden.

Sich aber bloß einer Entwicklung entgegenzustemmen, die man ohnehin nicht aufhalten kann (Österreich hat ja auch bis zuletzt gegen die Aufhebung des Milchquotensystems opponiert), ist keine Option. Da werden die Bauern das Schicksal der Greißler erleiden.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2014)

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