Staatsbilanz: Kleine Niederlage für die Bremser

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Finanzminister Schelling gelingt mit der einheitlichen Rechnungslegung für Bund, Länder und Gemeinden ein Riesensprung – aber er lässt sich das leider föderalistisch verwässern.

Österreich sei „erstarrt, verrostet, verkrustet“, hat Hannes Androsch am Mittwoch bei einer Buchpräsentation konstatiert. Am selben Tag hat Finanzminister Hans Jörg Schelling seine Verordnung für eine einheitliche Rechnungslegung von Bund, Ländern und Gemeinden zur Begutachtung ausgesendet. Verknüpft man diese beiden Ereignisse, dann wird der Grant des 77-jährigen Industriellen verständlich: Androsch weiß, wovon er spricht.

Das Thema ist nämlich nicht ganz neu. Androsch selbst hatte, damals als Finanzminister, 1974 den Fehler begangen, die einheitliche Rechnungslegung nicht, wie ihm gesetzlich zugestanden wäre, im Einvernehmen mit dem Rechnungshof-Präsidenten einfach von oben herab zu verordnen. Sondern eine aus Vertretern des Bundes, der Länder, der Gemeinden und deren Interessenorganisationen gebildete Kommission zu gründen, die das ausarbeiten sollte.

Das Ergebnis war gelebter österreichischer Föderalismus: Die aufgrund der Heiligenbluter Vereinbarung gebildete Kommission trat zwar 41 Jahre lang brav regelmäßig zusammen. Ohne allerdings auch nur einen Millimeter weiterzukommen. Wollte ja auch keiner: Einheitliches Rechnungswesen nach modernen Buchhaltungsmethoden bedeutet Transparenz in den Staatsfinanzen, und das können Länder und Gemeinden aber schon gar nicht brauchen.

Das Ergebnis ist, dass nicht einmal der von der Regierung eingesetzte Fiskalrat einen echten Überblick über die Staatsfinanzen hat. Vom Rechnungshof, der das übrigens seit vielen Jahren heftig kritisiert, ganz zu schweigen.

Auch die Landes- und Gemeindoberhäupter haben mit dieser Methode keinen wirklichen Überblick. Denn die derzeit überwiegend verwendete Kameralistik, eine Buchhaltungsmethode aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, zeichnet zwar schön Einnahmen und Ausgaben auf, blendet aber Vermögen völlig aus. Sie reicht damit durchaus zur Verwaltung von fürstlichen Schatzkammern des 18.Jahrhunderts, ist aber für ein modernes Staatswesen völlig ungeeignet.

Deshalb wurde die „Bilanzierung“ von Gebietskörperschaften europaweit in den letzten Jahrzehnten sukzessive auf die in der Unternehmensbilanzierung übliche „Doppik“ umgestellt. Auch der Bund hat diese Umstellung vollzogen, einige Länder und Gemeinden sind gerade dabei. Was oft durchaus für Überraschung sorgt: Die „Eröffnungsbilanz“ des Bundes ergab nämlich bei 89 Mrd. Euro Vermögen und 230 Mrd. Euro Schulden eine ziemlich heftige Überschuldung. Privatunternehmen hätten in diesem Fall schon ein mittleres Problem mit dem Bilanztestat.

Beim Bund heißt das, dass mit der massiven Verschuldung Werte nicht geschaffen, sondern vernichtet wurden. Eine zu Korrekturmaßnahmen anregende Diagnose, die mit der einfachen Geldflussrechnung der kameralistischen Buchhaltung nicht so einfach möglich gewesen wäre.

Allein das zeigt schon, wie wichtig ein zeitgemäßes Rechnungswesen als Steuerungsinstrument ist. Und es muss natürlich vereinheitlicht sein, um Übersicht und Transparenz zu schaffen. Sonst kommt so etwas heraus wie bei der Bilanzierung der Länderhaftungen in den Landesrechnungsabschlüssen: Da setzt jedes Land im Rahmen der „Schuldenbremse“ Risikogewichtungen nach eigenem Gutdünken ein. Was dazu führt, dass die echten Haftungen der Bundesländer viel höher sind als die ausgewiesenen – in Vorarlberg und Kärnten sogar um ein Vielfaches. Damit führt sich jede Bilanzierung ad absurdum.

Dem Finanzminister ist mit der jetzigen VRV-Verordnung ein Riesensprung gelungen: Er hat ein vierzigjähriges Patt beendet. Dafür gebührt ihm donnernder Beifall.

Aber er macht gerade den gleichen Fehler wie vor 41 Jahren Androsch: Er verordnet nicht, sondern verhandelt. Womit die Sache jetzt schon verwässert ist. So spreizt sich Wien zum Beispiel dagegen, Unternehmensbeteiligungen in die „Bilanz“ zu nehmen. Womit diese weiterhin eine nichtssagende Sammlung von Hausnummern sein wird.

Und die Gemeindevertreter haben durchgesetzt, dass die Mehrheit der Kommunen, nämlich jene unter 10.000 Einwohnern, weiter wie im 18.Jahrhundert bilanzieren dürfen. Mit völlig absurden Argumenten: zu kompliziert, zu teuer.

Wenn eine Gemeinde nicht schafft, was jedem Dorftischlermeister zugemutet wird, dann möge man sie auflösen und einer größeren zuschlagen. Und dass der Gemeindebund-Chef Mödlhammer, einer der Bremser aus der Heiligenblut-Partie, da überhaupt noch ernst genommen und gefragt wird, zeigt: Von einem modernen Staatswesen sind wir doch noch ein wenig entfernt.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2015)

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