Reform: Die Dinos und ihr föderaler Jurassic Park

(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
  • Drucken

Der jüngste Wirtschaftsbericht ist ein Dokument des Stillstands. Daran wird sich auch nichts ändern, solang Machtpolitik vor Reformen geht.

Interessant am jährlichen Wirtschaftsbericht der Regierung sind weniger die darin enthaltenen (zum Veröffentlichungszeitpunkt längst bekannten) Daten, als viel mehr die darin getroffenen Einschätzungen. Da lagen die Regierung („kleiner Durchhänger, aber wir sind noch immer supertoll“) und die Wirtschaftsforscher („Hilfe, wir haben den Anschluss an die EU-Wachstumslokomotiven verloren!“) noch selten so weit auseinander.

Wie kommt es, dass die Regierung meint, sie sei reformmäßig ohnehin ziemlich gut unterwegs, während selbst die regierungsnahen Ökonomen von „Reformstau“ reden und beklagen, dass die Gründe, warum Österreich in allen relevanten Daten – vom Wachstum bis zur Arbeitslosigkeit – in so atemberaubendem Tempo zurückfällt, noch nicht einmal ernsthaft diskutiert werden? „Von den daraus zu ziehenden wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen ganz zu schweigen“, wie „Staatsschuldenpapst“ Bernhard Felderer moniert.

Man soll nicht ungerecht sein: Es sind tatsächlich ein paar Reformen auf dem Weg. Da die Zusammenlegung von ein paar Gerichten, dort eine kleine bürokratische Erleichterung, hier eine kleine Verbesserung für das Forschungsumfeld, da eine Steuerreform, die trotz aller Probleme um die Gegenfinanzierung doch die Kaufkraft stärken wird. Aber es ist halt entschieden zu wenig für das, was sich im Land aufgestaut hat. Es ist ein bisschen so, als würde der Kapitän der Titanic auf die Meldung „Eisberg voraus“ mit „keine Panik, wir schmieren ohnehin gerade die Schraubenwelle und sind ja noch immer gut unterwegs“ reagieren – statt mit einem „hart Steuerbord“ den rettenden Kurswechsel einzuleiten.

Wieso dieser Kurswechsel in den bestehenden Strukturen nicht möglich ist, haben uns dankenswerterweise schon am Tag der Präsentation des Wirtschaftsberichts, bei der viel davon die Rede war, dass Bildung der wichtigste Schlüssel zur Zukunft ist, die Herren Erwin Pröll und Hans Niessl mit ihrem Ausstieg aus der Bildungsreform-Arbeitsgruppe demonstriert. Man muss sich die Begründung, die der burgenländische Landeschef dabei geliefert hat, auf der Zunge zergehen lassen: Der Bund weigere sich, in der Reform „die Beschlüsse der Landeshauptleutekonferenz von Frauenkirchen“ umzusetzen. Diese sehen eine Verlagerung der Schulkompetenzen vom Bund zu den Ländern vor.

Beschlüsse der Landeshauptleutekonferenz? Diese ist, rein rechtlich gesehen, ein privater Plauder-Stammtisch ohne Relevanz. In der Eigensicht der Akteure (und in der realen Politik) aber wohl die Oberregierung mit Richtlinienkompetenz gegenüber dem Bund.

Damit sind einmal zwei grundlegende Zukunftsbremsen in diesem Land benannt: Bei Reformdiskussionen geht es nie um die Sache, sondern immer um Machtfragen. Im Fall der Bildungsreform also beispielsweise um die Lufthoheit über die Lehrer-Parteibuchwirtschaft. Und in dieser Republik wedelt der Schwanz mit dem Hund.

Beides kann man sich leisten, solang die Wirtschaft so gut wie von selbst läuft. Das tut sie aber schon lange nicht mehr. Im Gegenteil: Wir balgen uns in Sachen Wachstum im EU-Ranking schon mit den Schlusslichtern, bei der Arbeitslosenrate sind wir innerhalb von fünf Monaten von Platz zwei auf Platz sechs abgestürzt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sackt ab, dafür liegen wir bei der Inflationsrate im Spitzenfeld, weil bei öffentlichen Leistungen nicht die Produktivität, sondern die Gebühren erhöht werden. Wir seien auf die „Kriechspur“ gewechselt, formuliert das der Ökonom Christian Helmenstein, und müssten nun, so Wifo-Chef Karl Aiginger mit einer „Auflösung des Reformstaus“ Gas geben.

Das geht aber, wie wir gerade am Beispiel Bildungsdiskussion plastisch sehen, in den herrschenden Strukturen nicht. Weiterdilletieren bis die Troika kommt kann allerdings auch keine Alternative sein. Wenn man den Reformstau auflösen will, wird man also für frischen politischen Wind sorgen müssen. Dazu müsste man erst einmal den von Polit-Dinos dominierten föderalen Jurassic Park entlüften. Etwa mit einer strikten zeitlichen Begrenzung aller politischen Führungsfunktionen auf zwei Legislaturperioden. So etwas ist in gefestigten Demokratien nicht unüblich und hat sich auch sehr bewährt. Und dass eine Verjüngung durchaus frische Ideen und Bewegung bringt, hat ja beispielsweise der Vorarlberger Landeschef, Markus Wallner, gerade in der Bildungsfrage schon bewiesen.

Vielleicht könnte ein Generationswechsel in den Ländern auch die dringende Neuordnung des heimischen Föderalismus einschließlich der Entwirrung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern in Schwung bringen. Das ist nämlich eine Grundvoraussetzung für eine Verwaltungsreform, die diesen Namen wirklich verdient. Und vielleicht wäre das Land dann auch wieder ordentlich regierbar. Das ist wiederum eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir den verlorenen wirtschaftlichen Anschluss an die EU-Spitze wiederfinden.

Dafür wäre allerdings auch ein bisschen mehr Ambition an der Regierungsspitze notwendig. Bis vor Kurzem war in deren Wirtschaftsbericht jedenfalls immer das Ziel eines „ausgeglichenen Budgets über den Konjunkturzyklus“ formuliert. Im vorgestern präsentierten finden sich in der Bugetvorschau dagegen bis 2019 nur noch Defizite. Dabei wären, so tatsächlich ein Aufschwung vor der Tür steht, nach dem ursprünglich Konjunkturzyklus-Ziel ja eigentlich Überschüsse fällig.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.