Eurokrise: Der heiße Glaubenskrieg der Ökonomen

(c) REUTERS (YANNIS BEHRAKIS)
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Die Regierung in Athen weist die größte Dichte an Ökonomen auf. Und beweist, dass Wirtschaftsexpertise nicht vor Kopfbrettern schützt.

Die Älteren unter uns werden sich vielleicht noch erinnern: 1994 wurde der Hedgefonds Long Term Capital Management gegründet. Als Direktoren mit an Bord: Die beiden Wirtschaftsnobelpreisträger Myron S. Scholes und Robert C. Merton. Der Versuch, ihr nobelpreisgekröntes (und ansonsten bis heute durchaus funktionierendes) Modell zur Bewertung von Finanzoptionen in der Praxis zu erproben, endete nach nur vier Jahren. Und zwar in der bis dahin größten Pleite der Finanzgeschichte.

Das ist deshalb interessant, weil wir derzeit eine ausgesprochene Zusammenballung formaler wirtschaftswissenschaftlicher Expertise in Athen beobachten: Jedes zweite Mitglied der Regierung Tsipras verfügt über einen Uni-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften. Teils von so renommierten Unis wie der in Oxford. Der Wirtschaftsmathematiker Yanis Varoufakis ist da schon herausgerechnet.

Formal betrachtet ist hier also die wirtschaftlich wahrscheinlich kompetenteste Regierung der Eurozone am Werk. Erstaunlich, dass es gerade diese Ansammlung von Kapazundern geschafft hat, den vorher schon reichlich verfahrenen griechischen Karren binnen weniger Monate völlig an die Wand zu knallen. Und zwar unter kräftigen Anfeuerungsrufen nobelpreisgekrönter amerikanischer Ökonomen.

Offenbar schützt das Diplom einer Elite-Uni also nicht vor ideologisch gezimmerten Brettern vor dem Kopf. Und solche sind reichlich in Umlauf: Die eskalierende Griechenland-Krise hat nämlich einen ausgeprägten Glaubenskrieg unter Ökonomen vom Zaun gebrochen: Neoliberale „Austerität“ versus Keynes. „Kaputtsparen“ versus „aus der Krise herausinvestieren“. Und wie in jedem Krieg bleibt auch hier als Erstes die Wahrheit auf der Strecke.

Würde man objektiv an die Sache herangehen, könnte man beispielsweise Folgendes sehen:


► Es gibt in der Eurozone praktisch keine „Austerität“, wenn man dieses aus dem Altgriechischen kommende Wort mit „Sparsamkeit“ übersetzt. Auch heuer werden alle Euroländer mehr ausgeben als einnehmen. Mit einer Ausnahme: Das Land der „schwäbischen Hausfrau“, in dem ein kleiner Einnahmenüberschuss erwartet wird. Dort übersetzt man „Austerität“ aber eher mit der anderen Bedeutung: „Disziplin“.

► Wenn unter „Austerität“ also das verstanden wird, was die Euro-Gruppe von Griechenland verlangt, nämlich Defizitreduktion bei gleichzeitigen Strukturreformen, um die Einnahmen-Ausgaben-Relation wieder einigermaßen auf die Reihe zu bekommen, dann wird die These vom „Kaputtsparen“ in der Eurozone gerade eindrucksvoll widerlegt. Dort weisen nämlich ausgerechnet die Länder, denen man „Kaputtsparen“ unterstellt (etwa Deutschland) oder die ihre Struktur-Hausaufgaben beherzt begonnen haben (etwa Irland) die eindeutig besseren Konjunkturdaten auf als Länder, die reformresistent sind (wie etwa Österreich) oder die auf Budgetdisziplin pfeifen (wie etwa Griechenland, das zuletzt in vier von sechs Jahren prozentuell zweistellige Defizite hingelegt hat).

Wobei in Griechenland tatsächlich einiges dramatisch schiefgelaufen ist: Dort hat der Versuch, die Ausgaben wieder in die Nähe der Einnahmen zu bringen, zu einer dramatischen sozialen Schieflage geführt. Was aber weniger mit „Austerität“, als vielmehr mit einem nicht funktionierenden Staat zu tun hat. Die Unfähigkeit, Steuern einzutreiben, die Privilegien der Oligarchen, der orthodoxen Kirche, der politischen Kaste, die schreckliche Vetternwirtschaft (die unter Syriza munter weitergeht) machen das Problem leider unlösbar. Da ist auch mit viel Geld nichts zu machen.

Wie sehr die offenen und versteckten Milliardenhilfen missbraucht und in die falschen Kanäle geleitet werden, hat man ja an den sogenannten ELA-Notkrediten (bisher schon 90 Mrd. Euro) gesehen, mit denen die Banken am Leben erhalten werden. Mit denen hat die EZB überwiegend die Kapitalflucht begüterter Griechen finanziert – und damit das Land noch einmal geschwächt.

Griechenland braucht jetzt eine Art Quadratur des Kreises: Es muss seine Staatsfinanzen sanieren (was vorerst auch ohne formellen Schuldenschnitt geht, wenn die Kredite nur lang genug gestreckt und die Zinsen niedrig gehalten werden) und gleichzeitig investieren. Ein derartiges Programm hat freilich nur Chancen, wenn vorher erst einmal ein funktionsfähiger Staat sichergestellt und die Korruption beseitigt wird.

Sollte das geschehen, sind die Griechen allerdings in guter Gesellschaft. Denn dieses Modell – investieren und gleichzeitig Budgets in Ordnung bringen – hat der IWF neulich der ganzen EU empfohlen.

Das geht aber nur, wenn man die ideologisierenden Ökonomen samt ihrem Glaubenskrieg in die Elfenbeintürme zurückdrängt. Denn Einsparung ist nicht Einsparung und Investition nicht Investition. Man kann intelligent Geld ausgeben und intelligent investieren. Aber auch auf Schulden Frührentner subventionieren und sinnlose Löcher in Berge graben.

Kurzum: Es müssen in der Wirtschaftspolitik die Ideologen durch Pragmatiker ersetzt werden. Dass die katastrophale Syriza-Politik in Griechenland gerade linke wie rechte Brachialpopulisten – von der deutschen Linken über die spanische Podemos bis zum französischen Front National – so begeistert, zeigt ja, wohin die Dominanz der Ideologien führt.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2015)

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