Flüchtlingskrise: Droht eine Flucht in noch mehr Schulden?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Regierung deutet an, man könnte zur Finanzierung der Migrationswelle den Stabilitätspakt aufschnüren. Nehmt euch lieber ein Beispiel an den Deutschen.

Bundeskanzler Werner Faymann hat vor ein paar Tagen in der Vorschau auf den heutigen Regierungsgipfel eine ziemlich gefährliche Drohung getätigt, die aber ein wenig untergegangen ist: Man überlege, die Ausgaben für Flüchtlingsbetreuung angesichts der herrschenden Migrationskrise aus dem Stabilitätspakt auszunehmen, zumal eine solche Diskussion auch auf EU-Ebene geführt werde.

Mit anderen Worten: Man hat sich von den drei Möglichkeiten – Einsparungen bzw. interne Umschichtungen, Steuererhöhungen, Schuldenaufnahme – für Letztere entschieden. Dass damit weder die angestrebten Budget- noch die Stabilitätspaktziele erreichbar sind, ist wohl klar.

Tatsächlich sieht der EU-Stabilitätspakt (und wohl auch der innerösterreichische) die Möglichkeit von temporären Ausnahmen vor. Für die Bewältigung unerwarteter, vorübergehender Ereignisse, beispielsweise Naturkatastrophen, dürfen die Neuverschuldungsgrenzen „gerissen“ werden.

Was wir jetzt auf der Migrationsroute von Kos bis Göteborg sehen, ist aber kein unerwartetes Ereignis, sondern war lang absehbar. Überraschend war nur die Intensität, deren Ursache hauptsächlich in der sichtbar gewordenen völligen Hilf- und Konzeptlosigkeit mitteleuropäischer Regierungen (auch der österreichischen) liegt.

Und es ist auch – anders als eine Naturkatastrophe – kein temporäres Ereignis. Denn mit den relativ geringen Kosten für die eigentliche Flüchtlingsbetreuung ist es ja nicht getan. Ein sehr großer Teil jener, die jetzt ins Land kommen und hier bleiben, wird nämlich nach Abschluss des Asylverfahrens direkt in die bedarfsorientierte Mindestsicherung wandern. Und dort für viele Jahre bleiben.

Die bisherigen praktischen Erfahrungen zeigen nämlich, dass die G'schichterln über die hoch qualifizierten Zuwanderer, die ganz problemlos in den Arbeitsmarkt integriert werden können, lediglich ideologisches Geschwurbel sind. In Österreich werden Gesamtdaten zwar konsequent verschleiert. Anderswo sieht man aber doch die ganze Misere. In der Schweiz beispielsweise, die eine ähnliche Zuwandererstruktur hat (wenn auch in geringerem absolutem Ausmaß) veröffentlicht die Statistikbehörde detaillierte – und sehr ernüchternde Gesamtzahlen.

Beispielsweise die Sozialhilfequote, die den Anteil der Sozialhilfeempfänger an den Zuwanderern, die sich schon bis zu fünf Jahre in der Schweiz aufhalten, misst. Bei Afghanen betrug diese Quote zuletzt 83,8 Prozent, bei Somaliern 81,3, bei Eriträern 85,8 Prozent.

Und wie steht es mit den so hoch qualifizierten Syrern, auf die unsere Unternehmen angeblich schon hart gewartet haben? Schlecht: In der Schweiz leben in den ersten fünf Jahren nach der Asylgewährung 84 von 100 Syrern von der Sozialhilfe. Dabei haben die Eidgenossen einen deutlich liberaleren Zugang zum Arbeitsmarkt: Dort dürfen Asylwerber schon während des laufenden Verfahrens (drei Monate nach Antragstellung) um Arbeitserlaubnis ansuchen.

Die erschreckenden Zahlen resultieren natürlich nicht nur aus fehlenden Qualifikationen. Es gibt Sprachbarrieren, es gibt Probleme bei der Anerkennung von Qualifikationen, es gibt auch Vorbehalte bei einstellenden Unternehmen. Und bei uns kommt, im Gegensatz zur Schweiz, noch eine recht hohe hausgemachte Arbeitslosigkeit hinzu (innerhalb derer Drittstaatsangehörige schon jetzt weit überproportional vertreten sind).

Das sind die harten Fakten. Wer also glaubt, dass man in diesem Umfeld einfach so 70.000 Zugewanderte problemlos kurzfristig im Arbeitsmarkt unterbringt, outet sich als ziemlich weltfremder Träumer. Natürlich soll man es versuchen, aber der Erfolg wird wohl überschaubar sein.

So, und jetzt stellen wir unter diesen Aspekten einmal eine budgetäre Milchmädchenrechnung an: Von den 80.000 bis 100.000 Schutzsuchenden, die heuer ins Land kommen, werden realistischerweise (auch abgelehnte Asylwerber verlassen ja nur zu einem sehr geringen Anteil das Land) mindestens drei Viertel für längere Zeit im Sozialsystem landen. Die Mindestsicherung macht 10.000 Euro pro Jahr und Person aus. Das macht (alle bekommen ja nicht die volle Summe) rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Nur für die, die heuer kommen.

Das ist zwar Ländersache, sprengt aber zusammen mit der bestehenden Grundsicherung mit Sicherheit den zwischen Bund und Ländern vereinbarten „Deckel“. Und die vielen, die noch kommen werden, fallen dann (entweder via neuen Finanzausgleich oder direkt) ins Bundesbudget.

An diesen Ausgaben führt kein Weg mehr vorbei, denn die Menschen sind ja schon da, und man kann sie nicht einfach auf die Straße setzen. Wenn man aber für die Flüchtlingsbetreuung und die Folgekosten (etwa jahrelange Mindestsicherung) den Stabilitätspakt aufschnürt, dann glättet man nicht eine vorübergehende Welle, sondern macht eine neue Dauer-Schuldenquelle auf. Das kann bei einer Staatsschuldenquote von mehr als 80 Prozent, die bei einer absehbaren Anhebung der Zinsen schnell erdrückend werden kann, wohl nicht ernst gemeint sein.

Bleiben also Steuererhöhungen (wie sie beispielsweise das wenig betroffene Finnland zur Finanzierung der Asylkrise überlegt) oder Umschichtungen in den bestehenden Budgets. Da haben es übrigens die Deutschen leichter: Die können ihre steigenden Ausgaben für die Flüchtlingskrise vorerst zur Gänze aus den erwirtschafteten Budgetüberschüssen finanzieren.

Ein schönes Beispiel dafür, dass Budgetdisziplin Früchte trägt. Man könnte ja beispielsweise den überraschenden Geldbedarf zum Anlass nehmen, endlich über Einsparungen in der aufgeblähten Verwaltung oder bei den Subventionen nachzudenken. Alle Mehrausgaben automatisch über höhere Schulden finanzieren zu wollen, ist uns ehrlich gesagt eindeutig zu fantasielos.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2015)

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