Wer investiert schon im Reformstau?

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FlüchtlingeAPA/ERWIN SCHERIAU
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Was haben die Flüchtlingswelle und die schnell sinkende Wettbewerbsfähigkeit gemein? Die Regierung unternimmt zu wenig, um die Phänomene in den Griff zu bekommen. Ein Weckruf.

Wer die Bilder aus dem steirischen Grenzgebiet sieht und sich dabei fragt, was die Regierung unternimmt, um das Staatsgebiet vor vollkommen unkontrollierter (und damit illegaler) Zuwanderung zu schützen, kommt wohl schnell zur Antwort: Nichts. Außer Stillhalten, ein paar belanglose Sprechblasen absondern und im Übrigen hoffen, dass sich schon alles irgendwie von selbst einrenkt.

Wer die Wirtschaftspolitik dieses Landes schon länger verfolgt, ist da freilich nicht überrascht: Er kennt dieses Muster. In Sachen Flüchtlingskrise wird man das Ergebnis dieses Vorgehens (oder besser: Nichtvorgehens) erst in einigen Jahren sehen. Wenn das Sozialsystem zu krachen beginnt. In Sachen Wirtschaft haben wir das schon jetzt. Es nennt sich Reformstau.

Und dieser wird langsam zum existenzbedrohenden Hemmnis. Wir registrieren ja schon seit einiger Zeit, dass Großunternehmen schleichend abwandern, dass Osteuropa-Konzernzentralen in Richtung Prag und Budapest verschwinden, dass keine großen Auslandsinvestitionen mehr ins Land kommen, dass wir in internationalen Wirtschaftsrankings langsam, aber sicher in Richtung Tal rutschen.

Wie dramatisch es wirklich ist, hat jetzt die Wiener WU-Professorin Eva Pichler in einer diese Woche präsentierten Studie vorgeführt: Die Unternehmen haben den Glauben an eine bessere Zukunft offenbar verloren und investieren nicht mehr ausreichend. Und wenn, dann überwiegend in Ersatzanschaffungen. Seit 2011 stagnieren die Investitionen in Maschinen, im Vorjahr sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung zum Stehen gekommen. Eine sehr gefährliche Entwicklung für ein Hochlohnland, das sich nur im technologischen Spitzenfeld auf Dauer behaupten kann und mit einer sehr stark exportorientierten Industrie mitten im internationalen Konkurrenzkampf steht.

Das Ganze mündet in einer Art Todesspirale: Schlechte Standortqualität führt zu schwachen Investitionen, die Investitionszurückhaltung vermindert wiederum die Wettbewerbsfähigkeit, das lässt die Gewinne sinken, was wiederum zu Investitionskürzungen führt. Das Ergebnis kann man dann an stark steigenden Arbeitslosenraten festmachen, während die Arbeitslosigkeit rundum wieder zu sinken beginnt.

Die Studie enthält eine besonders alarmierende Ziffer: Die Lohnstückkosten (vereinfacht gesagt die Arbeitskosten pro Produktionseinheit) sind hierzulande besonders stark gestiegen. Seit 2008 um 15,8 Prozent. Im EU-Schnitt betrug die Steigerung nur 10,2 Prozent, in der Schweiz 4,5 Prozent.

Klingt ein wenig abstrakt, heißt aber, dass sich unsere Wettbewerbsfähigkeit international ziemlich dramatisch verschlechtert hat. Anders gesagt: In den vergangenen Jahren sind die Löhne viel stärker gestiegen als die Arbeitsproduktivität.

Arbeitnehmer werden das jetzt schwer glauben können. Ihnen bescheinigen die Wirtschaftsforscher über die vergangenen fünf Jahre nämlich permanente Reallohneinbußen. Aus dieser Warte hätten die Lohnstückkosten eigentlich sinken müssen.

Das schwarze Loch, in dem die Differenz zwischen deutlich sinkenden Reallöhnen und überdurchschnittlich steigenden Lohnstückkosten verschwindet, ist freilich schnell ausgemacht: Es nennt sich Steuern und Abgaben. Der Staat hat mit seinem massiven Zugriff auf die Arbeitseinkommen (wir liegen mit der Steuer- und Abgabenquote ja im internationalen Spitzenfeld) die Wettbewerbsposition der heimischen Unternehmen stark geschwächt. Zusätzlich zu den übrigen nicht ausgeräumten Wirtschaftshemmnissen wie etwa überbordender (durch missverstandenen Föderalismus noch potenzierter) Bürokratie, politisch niedergedrücktem Kapitalmarkt und so weiter.

Nicht, dass das in der Regierung unbekannt wäre: Der Finanzminister, der nach 41 Jahren Stillstand jetzt sogar eine einheitliche Gebietskörperschaftenrechnungslegung zustande bringt, hat in den vergangenen Tagen einige sehr vernünftige Reformvorschläge, die bisher in den diversen Ministeriumsschreibtischladen vergammelt sind, angesprochen. Aber ein Schelling macht halt noch keinen Konjunktursommer.

Es wird also wirklich Zeit, dass die Kollegen des Herrn Schelling schnell aufwachen. Denn die Probleme werden sich bald potenzieren: Wenn ein weiterer scharfer Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit auf hohe Zusatzbelastungen für Arbeitsmarkt und Sozialsystem durch die derzeitige unregulierte Zuwanderungswelle trifft, dann könnte die Insel der Seligen sehr schnell in Überflutungsgefahr geraten. Mit alten Rezepten wie bloßen Steuererhöhungen allein wird da nichts mehr zu machen sein.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2015)

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