Das baltisch-adriatische Luftschloss

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THEMENBILD(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Hohe Infrastrukturinvestitionen in die Bahn bringen wenig, solange europäische Kleinstaaterei einen auch grenzüberschreitend effizienten europäischen Bahnverkehr verhindert.

Die Regierung hat neulich den ÖBB-Rahmenplan 2016–2019 auf Schiene gebracht. Der sieht eine Steigerung der Infrastrukturinvestitionen von durchschnittlich 2,1 auf durchschnittlich 2,3 Mrd. Euro im Jahr vor. Nur so zum Vergleich: Das zehnmal so große Deutschland mit einem sieben Mal so langen Schienennetz gibt dafür gleichzeitig 5,6 Mrd. Euro jährlich aus.

Durchgesetzt hat sich damit die heimische Tunnellobby. Verworfen wurden dagegen die Vorschläge eines im Vorjahr von Finanzminister Schelling eingesetzten elfköpfigen Weisenrats, dessen hochkarätige Experten diese Investitionen als „stark überdimensioniert“ bezeichnet hatten.

Das aber nur nebenbei. Das Schmankerl dazu lieferte Infrastrukturminister Stöger mit der Bemerkung, man werde damit die „weitere Verlagerung von Straßentransporten auf die Schiene“ vorantreiben. Weitere Verlagerung? Der Mann lässt sich seine Reden wohl von der Abteilung seines Hauses schreiben, die ihm auch die Verkehrsprognosen erstellt. Tatsache ist, dass sich der Güterverkehr – leider – seit Jahrzehnten in die umgekehrte Richtung verlagert. Auch im Vorjahr ist die Transportleistung auf der Straße schneller gestiegen als die auf der Schiene. Und das, obwohl die Bahn seit vielen Jahren mehr in den Schienenausbau investiert, als sie Marktumsatz erzielt.

Offenbar ist der Infrastrukturausbau – so wichtig er sein mag, wenn er intelligent und mit Augenmaß vorgenommen wird – nicht die einzige „Killerapplikation“ für die Verlagerung des Verkehrs.

Deutlich wichtiger scheint die internationale Organisation des Schienenverkehrs zu sein. Und da hapert es leider. Der Personenfernverkehr etwa braucht schnelle Verbindungen zwischen Ballungsräumen im Umkreis bis 1000 Kilometer, die dem Flugzeug Konkurrenz machen und das Auto alt aussehen lassen. Da haben die ÖBB beispielsweise auf der Weststrecke nach München ziemlich gut ausgesehen, als diese noch grenzüberschreitend befahrbar war. Die stark gestiegenen Passagierzahlen sprechen für sich. Sobald aber andere Grenzen, etwa die nach Italien, im Spiel sind, hilft die innerösterreichisch nicht so schlechte ÖBB-Performance nicht mehr viel.

Im Güterverkehr wiederum zählt nicht Tempo, sondern Terminverlässlichkeit und Flexibilität. Und beides schafft die Bahn nach übereinstimmenden Aussagen von Versendern nicht in ausreichender Qualität, sobald eine Grenze überschritten wird.

Am Beispiel der neuen Tunnelstrecken: Für den innerösterreichischen Verkehr sind sie wohl dramatisch überdimensioniert. Der emeritierte TU-Professor Hermann Knoflacher hat neulich vorgerechnet, dass beispielsweise die (inkl. Finanzierung) mindestens elf Mrd. Euro teure Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt täglich 30.000 Passagiere bräuchte, um nur die Betriebskosten zu decken. Derzeit hat das ÖBB-Personenaufkommen zwischen den beiden Städten allerdings in sieben ÖBB-Intercity-Bussen Platz, die flott auf der Autobahn hin- und herpendeln.

Um die mehr als 20 Mrd. Euro, die in den großzügigen Ausbau der Südstrecke gesteckt werden, hereinzuspielen, wird der Inlandsverkehr also wohl nicht reichen. Es muss dann die derzeit reichlich fiktive baltisch-adriatische Achse her. Blöd nur: Die umfasst im Norden die nicht gerade eisenbahnaffinen ehemaligen Oststaaten, wo sich der Bahn-Güterverkehr sehr schwach entwickelt. Und im Süden Italien mit seiner eisenbahnerischen Verstaatlichten-Mentalität, die sich besonders im Personenverkehr negativ bemerkbar macht.

Sollte beispielsweise jemand auf die verrückte Idee kommen, baltisch-adriatisch von Warschau nach Venedig mit der Bahn fahren zu wollen, dann muss er sich derzeit für die rund 1200 Kilometer auf 17 bis 23 Stunden Fahrzeit einstellen. Mit mehreren Milliarden erkaufte Fahrzeitverkürzungen um bis zu eineinhalb Stunden in Österreich machen diese Reise jetzt inwiefern attraktiver?

Kurzum: Wachstumspotenziale, die große Investitionen rechtfertigen könnten, liegen im internationalen Verkehr. In weiten Teilen Europas ist die grenzüberschreitende Organisation des Eisenbahnverkehrs aber tiefstes 19. Jahrhundert, mit Kleinstaaterei, die teilweise noch immer zu sinnlosen Aufenthalten wegen Lok- und Personalwechsel führt.

Solange hier kein wirklich liberalisierter europäischer Markt geschaffen wird, der im Übrigen auch die Abspaltung der Infrastrukturverantwortlichkeit von den staatlichen Eisenbahnen beinhaltet, sind die Milliardenausgaben Investitionen in ein Verkehrssystem aus vergangenen Jahrhunderten.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2015)

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