Jetzt dampft uns Italien mit der Bahn davon

VATICAN TOURISM
VATICAN TOURISMAPA/EPA/ANGELO CARCONI
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Italien privatisiert seine Eisenbahn und überholt auch in diesem Punkt Österreich. Für einen liberalisierten Bahnmarkt braucht es allerdings mehr als nur neue Miteigentümer.

Die italienische Eisenbahn gilt nicht gerade als Musterbeispiel für Effizienz und Marktoffenheit. Aber in einem Punkt ist sie gerade dabei, der heimischen Bahn davonzudampfen: Sie steht unmittelbar vor der Teilprivatisierung. Ausgerechnet der Mitte links angesiedelte Premierminister, Matteo Renzi, wird also den Albtraum aller Linken einleiten: die Weggabe der Bahn aus staatlicher Obhut.

Nicht ganz freiwillig zwar, denn die EU macht dem hoch verschuldeten Italien gehörigen Stress in Sachen Haushaltssanierung. Und Geldbeschaffung geht nun einmal mit Privatisierung am schnellsten. Aber Renzi hat ja mit seinen anderen Reformen unter anderem der Verwaltung und der Schulen schon gezeigt, dass er in diesem Punkt mehr auf dem Kasten hat als unsere Reformstau-Wärter vom Wiener Ballhausplatz.

Die italienische Bahn wird also demnächst zu 40 Prozent in Privathand sein. Aber wird sie dadurch auch besser? Bahnprivatisierungen sind ja eine reichlich ambivalente Angelegenheit. Es gibt sehr gelungene Beispiele, etwa die japanische Bahn. Und es gibt katastrophal danebengegangene Entstaatlichungen wie etwa John Majors Privatisierung der British Rail.

Es kommt ganz einfach darauf an, wie es gemacht wird. Die EU-Kommission hat davon relativ klare Vorstellungen: Infrastrukturgesellschaften stellen ein Schienennetz zur Verfügung und sorgen für dessen Instandhaltung. Private Güter- und Personenbeförderer nutzen dieses Netz gegen Entgelt (Schienenmaut), das im Idealfall kostendeckend ist. So lässt sich ein liberalisiertes Verkehrsnetz aufziehen, in dem Wettbewerb zum Wohl des Konsumenten herrscht.

Auch zum Wohl des Steuerzahlers. Denn in der Regel nicht kostendeckende Verkehrsleistungen, etwa der Personennahverkehr oder Nebenbahnen, werden in einem derartigen System europaweit ausgeschrieben und an den Bestbieter vergeben. Das bringt staatliche Zuschüsse zur Eisenbahn zwar nicht zum Verschwinden (die nicht kostendeckenden Verkehrsleistungen müssen ja von der öffentlichen Hand bestellt und bezahlt werden), begrenzt aber doch deren Volumen. Wettbewerb eben.

Ja, so könnte es gehen. Ein durch und durch vernünftiges Konzept. Sogar die unternehmensrechtlichen Voraussetzungen sind bei den meisten Eisenbahnen schon geschaffen: Fast alle, darunter die ÖBB, haben Infrastruktur, Güterverkehr und Personenverkehr unternehmensrechtlich getrennt. Nur halt unter einem gemeinsamen Holdingdach und mit einem gemeinsamen Eigentümer, dem Staat.

Das Problem: Viele europäische Bahnen wollen die Infrastruktur nicht aus der Hand geben, was wohl der Grund dafür ist, dass die EU bisher nur eine Trennung der Rechnungskreise durchgesetzt hat. Und selbst das wird immer wieder unterlaufen und durch Intransparenz verschleiert, wie die Kommission regelmäßig klagt. Die Bahnen setzen nämlich weiter auf das Konzept der integrierten Bahn, das Verkehrsunternehmen und Netzbetreiber zusammenfasst. Die ÖBB und die Deutsche Bahn sind besonders intensive Verfechter dieses Prinzips.

Ein Prinzip, mit dem echter Wettbewerb wohl nicht möglich ist: Wenn der mit Abstand größte Marktteilnehmer auch die Infrastruktur und damit den Zugang zum Netz beherrscht, dann hat er einen Wettbewerbsvorteil, der jede Konkurrenz erdrückt. Ganz abgesehen davon, dass mit integrierten Eisenbahnkonzernen in jedem Land kein wirklicher europäischer Eisenbahn-Binnenmarkt entstehen kann.

Negativbeispiele für die herrschende Nationalstaaterei gibt es genug: Dass beispielsweise viel mehr Bahn-Busse als Züge von Österreich nach Venedig fahren, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die staatliche italienische Bahn und deren Gewerkschaft internationale Verkehre blockieren, wo sie nur können.

Ob sich das mit der Bahnteilprivatisierung in Italien ändert, ist allerdings noch ungewiss. Denn es ist noch nicht klar, wie diese Privatisierung im Detail ablaufen wird. Wenn Renzi einfach einen Anteil am integrierten Eisenbahnkonzern verkaufen lässt, dann wird sich wohl wenig tun.

Europafit würde die Bahn erst, wenn die Infrastrukturgesellschaft aus dem integrierten Konzern herausgelöst wird. Und beim Staat bleibt. Denn ein Eisenbahnnetz ist ein natürliches Monopol. Schließlich kann ja nicht jede Eisenbahngesellschaft ihre eigenen Schienen parallel zu bereits vorhandenen legen. Und ein staatliches Monopol durch ein privates zu ersetzen, ergibt keinen Sinn. Die Eisenbahnprivatisierung in Großbritannien ist ja nicht zuletzt durch die Privatisierung des Netzbetreibers so voll danebengegangen.

Wenn es freilich zu einer Trennung der Netze von den eigentlichen Verkehrsbetrieben kommt, dann noch ein auf europäischer Ebene angesiedelter Regulator dafür sorgt, dass auf diesen Netzen wirklich fairer Wettbewerb herrscht, dann könnte das schon funktionieren. Dann wäre auch eine politisch ohnehin nur sehr schwer durchsetzbare Privatisierung der ÖBB oder der DB nicht mehr wichtig.

Denn in einem Wettbewerbsmarkt spielt der Eigentümer keine Rolle. Auch die staatlichen Betreiber müssen sich dem Wettbewerb anpassen und ihre Kostenstrukturen auf Vordermann bringen – oder es gibt sie nach einiger Zeit nicht mehr.

Das ist allerdings ein Punkt, der sehr dagegen spricht, dass sich die EU-Kommission mit ihren Liberalisierungsbestrebungen so bald durchsetzt. Denn die staatlichen Eisenbahnen sind fast überall in Europa durchpolitisiert bis ins Letzte – und Bastionen der Gewerkschaften. Die würden durch die Schaffung eines wirklich liberalisierten europäischen Eisenbahnsystems dramatisch an Einfluss verlieren. Und müssten wegen der nötigen Kostenanpassungen für ihre Mitglieder natürlich Verschlechterungen akzeptieren, wenn sich die Staatsbahnen in einem liberalisierten Markt behaupten wollten. Das wäre ungefähr so, als würde man der Landwirtschaftskammer vorschlagen, die Agrarsubventionen abzuschaffen und den Markt wirken zu lassen.

Unter diesen Voraussetzungen ist leider zu fürchten, dass Renzis große Bahnteilprivatisierung doch nur das wird, als das es ursächlich gedacht war: eine staatliche Geldbeschaffungsaktion, die am Hauptproblem des europäischen Eisenbahnwesens – Zersplitterung und Abschottung durch integrierte nationale Bahngesellschaften – nichts ändert.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)

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