Arbeitsmarkt: Ein Fall von besonders dummer Politik

(c) Clemens Fabry
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Die viel beschworene Demografielücke auf dem europäischen Arbeitsmarkt gibt es noch lang nicht. Dafür aber eine Qualifizierungslücke und eine enorme Intelligenzlücke in der Zuwanderungspolitik.

In Deutschland ist die Diskussion um die gewaltige Migrationswelle nun endgültig in der Ökonomie angekommen: Vorgestern haben sechs deutsche Spitzenökonomen in der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin ziemlich offen über „Kosten und Nutzen der Zuwanderung“ diskutiert. Das „Handelsblatt“ hat das Ergebnis mit der griffigen Schlagzeile zusammengefasst, man brauche „nicht mehr Menschen, sondern Beitragszahler“.

Das ist dort, wo echte Asylgründe vorliegen, natürlich zynisch: Wer vor Verfolgung flüchtet, dem ist Schutz zu gewähren, ohne zuvor eine Kosten-Nutzen-Rechnung anzustellen. Allerdings hat sich nicht nur in Deutschland, sondern auch bei uns zuletzt schon bis in den hintersten Winkel (offenbar sogar bis auf den Wiener Ballhausplatz) herumgesprochen, dass ein nicht geringer Teil der aktuellen Massenimmigration in Deutschland und Österreich (die anderen im Herbst betroffenen Länder haben ja schon weitgehend zugemacht) wirtschaftliche Gründe hat.

Damit ist die Frage nach den Beitragszahlern wieder legitim. Gilt es doch, wie Ökonomen immer wieder warnen, eine Demografielücke zu schließen, die in einer zunehmend überalternden Gesellschaft die Wirtschaft und die Sozialsysteme bedroht.
Allerdings werden wir diese Lücke nicht so bald zu Gesicht bekommen. Schon gar nicht auf dem Arbeitsmarkt. In der Eurozone gibt es bei 3,5 Millionen offenen Stellen, zurzeit 22,5 Millionen Arbeitslose. Davon sind fünf Millionen jünger als 25 Jahre, die Arbeitslosenrate in diesem Segment liegt bei 22 Prozent. In der ganzen großen Union gibt es eigentlich nur ein Land, das arbeitsmarktmäßig bald ein Demografieproblem bekommen könnte: Deutschland hat eine ausgeprägt niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Auch in Österreich liegt die Jugendarbeitslosenrate im unteren Bereich der Eurozone, hier wächst sie aber im Gegensatz zu den anderen Euroländern stark.

Es gibt also ein riesiges brachliegendes Potenzial an junger Arbeitskraft in der Eurozone. Und der Bevölkerungsrückgang ist auch gestoppt: Durch die starke Zuwanderung der jüngsten Zeit wächst die Bevölkerung in Deutschland, Österreich, aber beispielsweise auch in Holland bereits recht flott.
Der Arbeitsmarkt der Eurozone hat damit längst kein Demografieproblem mehr. Sehr wohl aber ein gewaltiges Qualifizierungsproblem und ein ebenso großes Mobilitätsproblem, die beide dazu führen, dass bei sehr hohen Arbeitslosenraten viele Stellen frei bleiben. Konkret: Viele der jungen europäischen Arbeitslosen haben zu geringe oder – aus Arbeitsmarktsicht – falsche Qualifikationen; und Sprachbarrieren verhindern auch innerhalb der Eurozone, dass sie dort beschäftigt werden können, wo es Arbeitsplätze für sie gäbe.

Diese Beschreibung trifft eigentlich perfekt auch auf die jetzige Migrationswelle zu. Nur noch in viel extremerem Ausmaß. Denn die durchschnittliche arbeitsmarktbezogene Qualifikation eines spanischen oder griechischen Jugendlichen liegt – auch wenn bei AMS-Propagandaauftritten gelegentlich anderes behauptet wurde – immer noch um Lichtjahre über jenen von Afghanen oder Irakern mit vergleichbarem Bildungsverlauf.

Die „FAZ“ hat gestern eine eher deprimierende (allerdings ebenso wie die heimische AMS-Erhebung nicht repräsentative) Untersuchung des Berliner Bundesamts für Migration veröffentlicht. Die Deutschen schätzen demnach nur zehn Prozent der Flüchtlinge (die in früheren Flüchtlingswellen gekommen sind und bereits Asylstatus besitzen) als höher qualifiziert ein, worunter sie Matura oder zumindest ein angefangenes Hochschulstudium verstehen. 13 Prozent hätten nicht einmal eine Schule besucht, Berufsqualifikationen nach europäischen Standards hätte so gut wie niemand. Das Ergebnis: Von den zwischen 2008 und 2012 Zugewanderten aus Afghanistan, Irak und Syrien (den derzeitigen Hauptherkunftsländern) hätte nur ein Drittel Beschäftigung gefunden. Die meisten in Berufen wie Küchenhilfe, Lagerarbeiter, Bote oder Pizzabäcker.

Was aber gravierender ist: Die deutsche Bundesagentur für Migration konstatiert, dass das Interesse an Aus- und Weiterbildung außerordentlich niedrig sei. Die meisten wollten lediglich „schnell Geld verdienen“.

Auf diese Weise wird die Zuwanderung wohl die demografische Lücke schließen, aber die Probleme der Sozialsysteme nicht lösen, sondern eher dramatisch verschärfen. Denn die Sozialsysteme benötigen, wie der Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaft (ZEW) beim eingangs erwähnten Ökonomengespräch gesagt hat, junge Beitragszahler, nicht neue Konsumenten von Sozialleistungen. Der scheidende Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hat das auf den Punkt gebracht: „Wir brauchen sehr viel mehr Migration, aber die müssen wir uns aussuchen.“

Immigration aus wirtschaftlichen Gründen ist zumindest in Mitteleuropa also sehr wohl erwünscht, aber sie kann nicht darin bestehen, unkontrolliert Menschen, denen kein Asyl zusteht, ins Sozialsystem einwandern zu lassen. Das wird die Sozialsysteme nämlich sehr schnell überstrapazieren.

Bei jenen, die schon da sind, müssen jetzt allerdings wirklich alle Anstrengungen unternommen werden, sie zu qualifizieren und besser als bisher in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Da geschieht – finanziell und administrativ – schon ungeheuer viel. Auch wenn beispielsweise die deutsche Arbeitsministerin, Andrea Nahles (SPD), von Mal zu Mal pessimistischer klingt und nur noch von „Arbeitskräften für übermorgen“ spricht. Die finanziellen und administrativen Anstrengungen zeigen freilich, was geht, wenn man will. Und da muss man jetzt schon die Frage stellen, wieso das bei den Millionen von arbeitslosen Jugendlichen etwa in Spanien und Griechenland nicht möglich sein soll. Wieso wird da nicht so massiv in Sprachkurse, Umschulung, Mobilitätshilfen etc. investiert? Da wäre der von der Wirtschaft angepeilte Effekt wohl zu einem Bruchteil der jetzigen Ausgaben für die ungesteuerte Immigration zu erzielen. Noch dazu ohne die dazugehörigen Kulturschocks.

Man hat den Verdacht, dass hier auf europäischer Ebene eine besonders dumme Politik betrieben wird: die eigenen Arbeitslosen beiseiteschieben, weitere potenzielle Arbeitslose in großem Stil ins Land holen, die Sozialsysteme ruinieren und den Fachkräftemangel trotzdem nicht beseitigen – das ist wirklich ein bisschen viel auf einmal.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2016)

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