Die Milch der marktfernen Denkungsart

Kühe machen Mühe – und wenn sie ordentlich Milch geben, verfällt der Weltmarktpreis. Ein Systemfehler ist daran schuld.
Kühe machen Mühe – und wenn sie ordentlich Milch geben, verfällt der Weltmarktpreis. Ein Systemfehler ist daran schuld.(c) Bloomberg (Brent Lewin)
  • Drucken

Misswirtschaft. Wenn man sich auf dem Weltmarkt tummeln will, muss man auch dessen Gesetze akzeptieren. Dort regelt der Preis die Produktionsmenge, und die Rechnung für Ineffizienz und Strukturschwäche müssen nicht Dritte bezahlen.

Gestern haben demonstrierende Milchbauern Teile der Wiener Ringstraße lahmgelegt. Ihr Zorn ist verständlich: Weil die Weltmarktpreise verfallen, können viele von ihnen nicht mehr kostendeckend produzieren. Und warum fallen die Weltmarktpreise? Ganz einfach: Weil es eine enorme globale Überproduktion gibt. Besonders krass ist die nach Aufhebung der Milchquoten in der EU. Der Überschuss wird mithilfe aller möglichen versteckten (und teilweise auch immer noch offenen) Subventionen in den Weltmarkt gedrückt. Wodurch die Preise dort noch stärker verfallen. Was die EU-Milchbauern dazu veranlasst, ihre Produktion zum Ausgleich noch mehr hochzufahren, was wiederum den Preis . . .

Ein wenig erfolgversprechendes Spiel in der nach unten gerichteten Endlosschleife. Kein Wunder, dass die protestierenden „Milchrebellen“ gestern eine „bedarfsorientierte Mengenbegrenzung“ verlangten.
Dafür kennt die Marktwirtschaft übrigens ein ganz einfaches, aber sehr verlässliches Instrument: den Preis. Der gibt Rückmeldung darüber, ob die Nachfrage nach dem erzeugten Produkt noch stimmt. Dieser Rückkoppelungsmechanismus sorgt auf der einen Seite für Effizienzdruck und regelt auf der anderen Seite die Produktionsmenge ganz automatisch.

Marktwirtschaft ist aber, das wissen wir, auf dem höchstsubventionierten und durch Interventionen auf allen Produktionsebenen schwer verzerrten Agrarmarkt ein Werk des Teufels. Und so sieht er auch aus, der Agrarsektor. Bei der Milch ist die Sache so: Es gibt de facto eine Abnahmegarantie durch die Molkereien. Das Einzige, das dem Produzenten passieren kann, ist eine Art Strafabschlag, den ihm einige, aber nicht alle Molkereien bei grober Überlieferung abziehen. Nicht garantiert ist allerdings der Preis.

Bei fallenden Preisen ist es für den Bauern also durchaus sinnvoll, die Liefermenge zu erhöhen, damit der Betrag der Überweisung von der Molkerei wieder stimmt. Und genau das geschieht auch massiv. Ein System, das fast so kontraproduktiv wirkt wie das der Strom-Landwirtschaft vulgo Ökostrom. Dort kommt zur garantierten Abnahmemenge auch noch ein garantierter marktunabhängiger Preis dazu, der dazu führt, dass teuer abgenommene Strommengen mangels aktueller Nachfrage auf Konsumentenkosten verschenkt werden müssen. Und dann hören wir die Ökostromerzeuger jammern, dass bei diesen von ihnen selbst gedrückten Strompreisen eine Stromproduktion ohne Subvention nicht möglich sei.

Wir bewegen uns hier eben in der wunderbaren Welt der Interventions-Misswirtschaft, die nur deshalb läuft, weil die verursachten Mehrkosten von Dritten – Stromkonsumenten und Steuerzahlern – getragen werden. Dass das nur in Nischen funktionieren kann und ein ziemlicher Anachronismus in einer globalisierten Welt ist, dürfte außerhalb dieser beiden Biotope wohl den meisten klar sein.

Die Agrarier sollten jetzt also nicht jammern, sondern ihre schizophrene Haltung zum Markt überdenken. Wenn man auf einem liberalisierten Weltmarkt mitspielen will, dann muss man auch die dort vorherrschenden Spielregeln akzeptieren. Wenn man das nicht kann oder will, dann muss man sich eben auf regionale Nischen beschränken, die es ja reichlich gibt und die von geschickten Landwirten auch sehr gut genutzt und besetzt werden. Dabei könnte man endlich auch einmal das ideologische Blendwerk beseitigen, mit dem man den wirtschaftlich nicht haltbaren Strukturkonservativismus kaschiert: Trinkmilch, bei der man mit Regionalität und Qualität punkten kann, macht nicht einmal ein Drittel der EU-Milchmenge aus. Der Rest (also praktisch die gesamte in Drittländer exportierte Menge) ist ein industrieller Rohstoff und unterliegt dessen Gesetzen auf dem Weltmarkt. Wenn man hier (zu Recht) stolz auf Exporterfolge ist, dann muss man andererseits auch mit den Folgen leben.

Statt jetzt zu lamentieren und Steuerzahlergeld in neue Marktinterventionen zu stecken, könnte man einmal Geld in die Hand nehmen, um Investitionen in die Strukturverbesserung, die Effizienzsteigerung und in besseres Marketing zu stecken. Das gilt übrigens auch für die dem Agrarsektor relativ ähnliche Strombranche: Großzügige Investitionsförderung, aber keine Subventionen über Abnahmegarantien, die den Markt verzerren und das Problem nur größer werden lassen. Noch einmal: Das beste und effizienteste Mengensteuerungsinstrument ist der Marktpreis. Alle anderen Eingriffe verschlimmern das Problem nur. Das hat selbst die mächtige Opec zur Kenntnis nehmen müssen, die in den vergangenen Jahren akzeptieren musste, dass Mengenabsprachen nur dann funktionieren, wenn man sie eigentlich nicht braucht.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2016)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.