Wirtschaftspolitik: Was ist nur mit diesem Land los?

Reformstau am Ballhausplatz: Was haben die Regierungsparteien eigentlich noch zu verlieren?
Reformstau am Ballhausplatz: Was haben die Regierungsparteien eigentlich noch zu verlieren? (c) APA/HELMUT FOHRINGER
  • Drucken

Während wirtschaftliche Alarmmeldungen ziemlich dicht auf uns herniederprasseln, gefällt sich die Politik in Machtspielchen und weicht Reformen aus. Dabei hätte die Regierung ohnehin nicht mehr viel zu verlieren.

Vorab eine kleine, unsortierte Auswahl der wirtschaftspolitischen Schlagzeilen der vergangenen Tage und Wochen ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

► Der Internationale Währungsfonds kürzt die Konjunkturprognose für Österreich um ein sattes Viertel. Das österreichische BIP wird heuer, statt wie bisher angenommen um 1,6 nur um 1,2 Prozent wachsen. Wir werden also nicht, wie erhofft, wieder zum europäischen Durchschnitt aufschließen können.

► Die Arbeitslosigkeit ist erneut gestiegen, die Rekordarbeitslosenrate liegt schon bei 9,4 Prozent. Während sie in den meisten europäischen Ländern sinkt, wird sie in Österreich heuer oder im nächsten Jahr die Zehnprozentmarke knacken.

► Die Zahl der Mindestsicherungsbezieher nimmt sehr stark zu. Im Vorjahr um 16 Prozent. Das Bedenkliche: Dieser Sprung geschah schon, bevor sich die große Migrationswelle des vergangenen Herbstes in der Statistik niederschlagen konnte.

► Die OECD bescheinigt uns eine abenteuerliche Belastung der Arbeitseinkommen mit Steuern und Abgaben. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ohne Kinder schlägt nur Belgien noch härter zu.

► Der Finanzausgleich, mit dem mittlere zweistellige Milliardenbeträge zwischen den Gebietskörperschaften hin und her geschoben werden, ist so kompliziert und intransparent geworden, dass laut Rechnungshof fünf Bundesländer nicht einmal die richtige Berechnung der Überweisungsbeträge an die Gemeinden geschafft haben.

Sieht nicht gut aus. Es könnte sein, dass die Dinge miteinander zu tun haben, dass also unter anderem Höchststeuerbelastung und föderales Finanz-Dilettantentum dafür sorgen, dass hohe Wachstumsraten bei den Arbeitslosen und den Mindestsicherungsbeziehern statt beim BIP auftreten. Das könnte theoretisch politischen Akut-Handlungsbedarf zur Korrektur signalisieren.
Schauen wir uns also an, mit welchen Schlagzeilen (außerhalb des alles dominierenden Asylthemas) die Politik gerade schwerpunktmäßig von sich reden macht.

► Unter anderem mit der Frage, ab der Vizekanzler, wie er selbst meint, Chef der zweitgrößten Regierungspartei ist oder doch nur, wie man ihm aus St. Pölten signalisiert, landesfürstlicher Befehlsempfänger.

► Ob Bundeskanzler Faymann in der größeren Regierungspartei noch das Sagen hat oder ob es, wie seine Wiener Parteifreunde öffentlich meinen, „völlig irrelevant“ ist, ob Faymanns Abgesandte Doris Bures in Wien mitstimmt oder nicht, weil sie sich ihre bundesparteikonformen Vorschläge ohnehin sonst wohin stecken kann.

► Wesentlich ist auch die Frage, welcher Bundespräsidentschaftskandidat welchen präsumtiven Bundeskanzler nicht angeloben würde.

► Und im Hintergrund werden Gerüchte kolportiert, der Finanzminister könnte wackeln, weil er mit seinen Reformansagen weder bei seinem Parteichef noch bei den mächtigen Ländern besondere Begeisterung auslöst. Übrigens das einzige Regierungsmitglied, das Reform nicht nur buchstabieren kann, sondern gelegentlich auch ernsthaft im aktiven Wortschatz führt.

Wenn wir jetzt die politischen neben die wirtschaftlichen Schlagzeilen legen, müssen wir uns ernsthaft die Frage stellen, was in diesem Land eigentlich los ist. Sind das wirklich die Prioritäten, die uns weiterbringen sollen? Und wenn ja, wozu brauchen wir eine Regierung, wenn diese sich ausschließlich auf Macht- und Taktikspielchen konzentriert und die zukunftsgefährdenden Probleme einfach auf des Politikers liebstem Möbelstück, der langen Bank, weiter vor sich herschiebt?

Zugegeben, schmerzhafte Reformen, die langsam nötig werden, sind unter Regierenden zu Recht unbeliebt. Man macht sich damit ja unter denen, die etwas dabei verlieren, wenige Freunde. In der Steiermark beispielsweise sind Rot und Schwarz für ein beeindruckendes Verwaltungsreformprogramm vom Wähler recht ordentlich geohrfeigt worden.

Aber was haben die beiden Regierungsparteien auf Bundesebene, auf der ihnen die Wähler ohnehin schon in Scharen davongelaufen sind, noch zu verlieren? Ist nicht dieser Eindruck einer totalen Hilflosigkeit einer der Gründe dafür, dass mit der FPÖ eine Oppositionspartei auf dem Weg zur Kanzlerschaft ist, die selbst kein schlüssiges Zukunftskonzept hat und dort, wo sie in der Vergangenheit an die Macht kam, eher durch unfassbare Korruption und mäßige Kompetenz aufgefallen ist? So nach dem Motto: „Alles ist besser als der jetzige Stillstand“?

Politikwissenschafter können uns jetzt sicher plausibel erklären, wieso die in die Jahre gekommenen alten Volksparteien links und rechts der Mitte mit ihrem ideologischen Altersstarrsinn nicht nur in Österreich so rasant abschmieren. Das hilft uns aber auch nicht weiter. Wir würden jetzt eine Wirtschaftspolitik benötigen, die das Faktum, dass wir auf eine Wand zurasen, erstens erkennt, zweitens aktiv anspricht und dann drittens ebenso aktiv Bremsmanöver einleitet. Wenn man sich anschaut, womit sich die Regierenden (und ganz nebenbei auch der größte Teil der Opposition) derzeit so den Tag vertreiben, ist das aber leider nicht realistisch. Mit der derzeitigen, in den politischen Verhaltensstrukturen des vorigen Jahrhunderts stecken gebliebenen Politikergeneration wird das wohl nicht mehr zu machen sein.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.