Die Stimmungskanonen und der Neustart

New Austrian Chancellor Christian Kern Addresses Parliament
New Austrian Chancellor Christian Kern Addresses Parliament(c) Bloomberg (Lisi Niesner)
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Nicht schlechte Stimmung bremst die Wirtschaft, sondern eine schlechte Politik, die immer mehr Menschen verdrossen macht. Wir brauchen jetzt also nicht mehr Polit-Entertainment, sondern eine Regierung, die wirklich anpackt.

Seit Christian Kern als Chef am Ballhausplatz sitzt, weht dort ein völlig ungewohnter Wind durch die Gänge: Dass der Regierungschef selbst von Stillstand spricht, der überwunden werden müsse, dass er jahrelang weggeschobene Probleme plötzlich und ohne PR-Verzierungen klar adressiert, haben wir schon länger nicht mehr erlebt.

Kern hat in seinen ersten Statements allerdings auch etwas Denkwürdiges gesagt: Die größte Wachstumsbremse für das Land sei die herrschende schlechte Laune. Das ist ein gefährlicher Satz, weil er Ursache und Wirkung vertauscht und Glauben machen könnte, der Karren sei mit ein bisschen Frohsinn und Polit-Entertainment wieder flottzubekommen.

Dürfen wir zurechtrücken: Nicht die schlechte Stimmung von ein paar „mieselsüchtigen Koffern“ (© M. Häupl) bremst Wirtschaft und Gesellschaft, sondern die Stimmung ist schlecht, weil die Wirtschaft durch die unsägliche Politik der vergangenen Jahre gebremst wurde. Um das herauszufinden, muss man sich nur ein bisschen umhören:
• Die Industriellen granteln, weil sie als umweltverschmutzende Gierschlünde dastehen und bei Investitionen von einer ausufernden Bürokratie bis aufs Blut karnifelt werden. Regierungsmitglieder sollten öfter einmal beispielsweise mit dem Voestalpine-Chef darüber plaudern, was ihm bei der Ankündigung einer neuen Investition in den USA passiert (Blumenmädchen, Dixie-Band, roter Teppich, Auftritt des Gouverneurs) und womit er in Österreich rechnet (drei von Oppositionspolitikern unterstützte taferlschwingende Protestgruppen). Und ja: Blumenmädchen versus faule Eier kann bei einer Investitionsentscheidung durchaus mitentscheidend sein.
• Die klein- und mittelständischen Unternehmer kochen vor Wut, weil sie das Gefühl haben, dass sie mit der Steuerkeule erschlagen und mit der Registrierkasse verfolgt werden, während die Finanz bei den steuerschonenden Oasenkonstruktionen der Großen durchaus großzügig Verständnis zeigt.
• Die Arbeitnehmer werden mieselsüchtig, wenn sie bemerken, dass ihre Reallohnverluste nicht nur gefühlt, sondern echt sind. Sie beginnen zu sehen, dass daran in sehr hohem Maß die Gebühren- und Steuerorgien der Gebietskörperschaften schuld sind. Und sie sind auch die Ersten, die spüren, dass die ungeregelte Open-Border-Politik der vergangenen Monate nicht die von manchen Ökonomen herbeifantasierten Traumrenditen bringt, sondern ihr soziales Gefüge und im unteren Segment auch ihre Arbeitsplätze bedroht.
• Generell regt sich an den Stammtischen auch beträchtlicher Unmut über den grassierenden Klientelismus, mit dessen Hilfe sich ein paar gut vernetzte Gruppen gleicher als gleich gemacht haben. Und der immer mehr um sich greifende Mandatsnepotismus in den Parteien trägt auch nicht gerade zur Beruhigung bei. In Wien sehr schön zu beobachten, wo die Akteure der Landespolitik in unglaublich hohem Ausmaß untereinander verwandt, verschwägert, verpartnert, verschwistert oder zumindest gemeinsam in der Schulbank gesessen sind.

Herrn Kern ist das alles bewusst, und er hat einiges davon auch schon mehrfach in großer Klarheit angesprochen. Aber mit Stimmungsaufhellung allein wird das nicht zu ändern sein. Anders gesagt: Was wir jetzt brauchen, sind nicht begnadete Polit-Entertainer, sondern Anpacker. Denn die Probleme sind – von der Bildung bis zum Arbeitsmarkt – in acht Jahren Stillstand in der Zwischenzeit zu groß geworden, um sie noch isoliert beziehungsweise auf die traditionelle Art (etwa mit einem simplen weiteren schuldenfinanzierten Bauprogramm zur Arbeitsbeschaffung) lösen zu können.

Und da muss jetzt durchaus auch eine neue politische Kultur her. Denn der Umbau, der Österreich vom Pannenstreifen wieder auf die Fahrspur bringen könnte, ist zu groß, um von einer Koalition, die derzeit keine Bevölkerungsmehrheit mehr hinter sich hat, allein bewältigt zu werden. Da wird auch die eine oder andere Oppositionspartei mitmachen müssen. Schon deshalb, weil die anstehenden schmerzhaften Reformen ohne Eingriff in den Föderalismus nicht gehen und dies Eingriffe in die Verfassung erfordern wird.


Wir haben in diesem Punkt in den vergangenen Tagen einige sehr ermutigende Dinge erlebt. Etwa die zumindest verbale Übereinstimmung von SPÖ- und ÖVP-Spitzen in Sachen Notwendigkeit eines wirklich umfassenden Neustarts.

Wir haben aber auch gesehen, dass altes Denken auch in den Top-Etagen noch grassiert. Wenn der ÖGB-Chef etwa meint, Kern solle in Brüssel für eine Aufweichung der Defizitgrenze eintreten, damit Österreich mehr schuldenfinanzierte Arbeitsbeschaffungsprogramme durchziehen könne, oder wenn der neue Infrastrukturminister seinen ersten öffentlichen Auftritt mit dem Verlangen nach einer neuen Abgabe beginnt, dann ist das wieder weniger ermutigend.

Wie auch immer: Diese Regierung muss jetzt ein überzeugendes Reformprogramm vorlegen und dann sofort und konsequent mit dessen Abarbeitung beginnen. Dann wird die Stimmung im Lande ganz von selbst steigen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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