Die Schleusenwärter der Gesetzesflut

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Wenn die Regierung wirklich Entbürokratisierung will, dann kann sie gleich bei sich selbst anfangen: Die wuchernde Bürokratie beginnt ja mit einer ungebändigten Gesetzesflut.

Österreichische Unternehmen geben als Grund für ihre schlechte Investitionslaune häufig zwei Hauptbremsen an: lähmende Bürokratie und schlechter werdenden Zugang zu Investitionsfinanzierungen. Beides hat mit immer stärker zunehmender Regulierungswut zu tun.
Insofern ist die Akzentsetzung der neuen Regierung Kern, zuerst neben einer Sozialversicherungsreform einmal die Bürokratie anzugehen, richtig. Zumal man damit ja sozusagen im eigenen Haus aufzuräumen beginnen muss. Die Überbürokratisierung, unter der das Land immer stärker leidet, hat nämlich eine klare Ursache: die Gesetzesflut, die über das Land schon seit einiger Zeit hinwegschwappt.
Für diesen Zusammenhang fehlt sowohl in der Regierung wie auch im Parlament offenbar jedes Verständnis. Wie denn auch, sind doch Vertreter der Bürokratie, die damit befeuert wird, in beiden Institutionen drastisch überrepräsentiert. Nach Angaben auf der Parlaments-Website beispielsweise kommen 6,6 Prozent der Nationalratsabgeordneten aus dem Sektor Industrie und produzierendes Gewerbe. Aber 31,2 Prozent aus den Sektoren öffentlicher Dienst, Sozialversicherungen, politische Parteien, Interessenvertretungen. Also aus Institutionen, deren Core Business die Regulierung des produktiven Rests ist. Je größer die Seitenanzahl der Bundesgesetzblätter, desto größer die Bedeutung derer, die das dann exekutieren.
Die Einstellung hat sich sehr schön beim letzten Ministerrat des vorigen Jahres gezeigt, als die Regierungsspitzen stolz verkündeten, sie hätten ihre Leistung im Jahr 2015 um 35 Prozent auf 107 Regierungsvorlagen für Gesetze gesteigert. Das wäre, kurz nachgerechnet, alle dreieinhalb Tage ein Gesetz.
Reife Leistung. Blöd nur, dass die meisten davon das Leben außerhalb des Verwaltungsbereichs verkomplizieren. Am Beispiel der Lohnverrechnung, die zu einer selbst von vielen kleinen und mittleren Unternehmen nicht mehr zu durchschauenden Geheimwissenschaft geworden ist: Seit dem Beginn dieses Jahrtausends haben knapp 430 Änderungen von Steuergesetzen den Nationalrat passiert. Also ungefähr jede zweite Woche eine. Ergebnis: Der „Kodex Steuergesetze 2016“ umfasst stolze 1572 Seiten und ist fast doppelt so dick wie jener aus dem Jahr 2000.
Schön für das Geschäft der Steuerberater, schlecht für Unternehmen, in denen immer größere Ressourcen für die simple Berechnung der Löhne gebunden sind.
Die versprochene Bürokratiereform wird also nur machbar sein, wenn die gut geölte Gesetzes- und Verordnungsmaschinerie deutlich zurückgefahren wird. Da sind langjährige Beobachter freilich skeptisch. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl hat das jüngst so dargestellt: „Wenn man einer Hydra drei Köpfe abschlägt, wachsen zwölf nach.“ Es würde aber schon reichen, die Anwendbarkeit der Gesetze zu ändern. Etwa die im gleichen Ausmaß zunehmende Zahl der strafenverhängenden Kontrolleure einzudämmen.
Wie auch immer: Auf eine große Bürokratiereform sollte niemand so schnell Hoffnungen setzen. Erstens wird die Gesetzesmaschinerie nicht zum Stillstand kommen, und zweitens erfordert eine umfassende Entbürokratisierung auch tiefe Einschnitte in den österreichischen Föderalismus. Und gegen die Landesfürstentümer wird die Bundesregierung, selbst wenn sie wirklich will, nicht so bald ankommen, so realistisch muss man die heimische Realverfassung schon sehen.
Wenn man die unter progressivem Bürokratismus leidende Wirtschaft wirklich kurzfristig ankurbeln will, dann reichen für einen ersten Impuls aber schon punktuelle Maßnahmen. Die vielfach angekündigten, aber noch immer nicht wirklich umgesetzten Vereinfachungen von Unternehmensgründungen etwa. Rasches Ausmisten der viel zu kompliziert und langwierig gewordenen Genehmigungsverfahren. Ein Steuer-Entrümpelungsgesetz, das die Lohnverrechnung auch für Leute, die sich nicht fünf Tage die Woche mit Steuergesetzen beschäftigen können, handhabbar macht. All das könnte schon einmal Kapazitäten für Unternehmen freimachen.

Und dann wäre da natürlich noch die Finanzierung. Auch die wird durch Regulierungswut immer stärker behindert beziehungsweise, besonders für kleine Unternehmen, verunmöglicht. Hier sind freilich internationale Regulierer am Werk, die das Pendel nach der Finanzkrise in die andere Richtung ausschlagen lassen – und dabei ausgerechnet jene seriösen Unternehmen treffen, die für die Finanzkrise beim besten Willen nicht verantwortlich waren.
Hier sind die Banken in ihrem Korsett gefangen. Und die Wege außerhalb der Geldinstitute sind extrem verlegt, weil in diesem Land direkte Unternehmensfinanzierung noch immer als üble Spekulation abgetan wird. Dabei könnte man durch eine Forcierung des Crowdfundings und – für mittelgroße Unternehmen – durch eine starke Anhebung der Prospekt-Pflicht-Grenzen bei Emissionen schon sehr viel Potenzial freimachen.
Hoffen wir, dass in diesen Punkten angesetzt wird – und dass der verbale Schwung nicht, wie bisher üblich, in unproduktive Kommissionen abgeleitet wird.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

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