Das Europa der Eliten ist gescheitert

EU-Kommissionschef Juncker: mit Hinterzimmerpolitik ins PR-Desaster.
EU-Kommissionschef Juncker: mit Hinterzimmerpolitik ins PR-Desaster.(c) APA/AFP/STEPHANE DE SAKUTIN
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Nach dem Brexit steht in der Gemeinschaft wohl ein größerer Umbau an. Leider gibt es dafür aber keinen Plan.

Eigentlich könnte man sich in Brüssel jetzt ja entspannt zurücklehnen und den Briten interessiert bei der innenpolitischen Selbstzerfleischung zuschauen. Stattdessen nutzt der seltsame Herr Juncker an der Spitze der EU-Kommission die Gelegenheit, alle Vorurteile zu bestätigen, die den Brexit mitverursacht und die Fliehkräfte in vielen anderen EU-Ländern gefährlich haben anwachsen lassen.

Sein Versuch, das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta im Windschatten der Brexit-Wirren an den nationalen Parlamenten vorbeizuschummeln, war jedenfalls ein gewaltiger Akt politischer Dummheit. Das ist genau jene Hinterzimmerpolitik, die immer mehr Europäer gegen „die da in Brüssel“ auf die Palme bringt. Und die das Kraftfutter liefert, das europafeindliche Rechtspopulisten – von der britischen UKIP bis zur hiesigen FPÖ – immer stärker werden lässt.

Offenbar hat man in der EU-Zentrale auch nach dem lauten Knall jenseits des Ärmelkanals noch immer nicht verstanden, dass das Europa der Eliten mausetot ist. Es ist nach vielen Fehlschlägen (nicht zuletzt nach dem völligen Versagen in der Immigrationspolitik) vor einer Woche in Großbritannien spektakulär abgewählt worden. Wer immer noch glaubt, arrogant über die dumme Bevölkerung drüberfahren zu können, der wird bald auch in anderen europäischen Ländern sein Farage-Erlebnis haben.

Blöd nur, dass die Union genau auf diesem „Europa der Eliten“-Konzept aufgebaut ist: Eine kleine Gruppe gibt den Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa vor. Und dem großen Rest bleibt nichts anderes übrig, als zu folgen. Dieses Konzept ist beispielsweise daran schuld, dass der Euro verkehrt herum aufgezäumt wurde: Zuerst die Währung, und dann, irgendwann vielleicht, die Union.
Natürlich wusste jeder, dass eine Gemeinschaftswährung ohne halbwegs abgestimmte Fiskalpolitik nicht funktionieren kann. Unausgesprochen stand aber dahinter, dass man, nachdem man sich ein paar Jahre mit den Maastricht-Regeln über die Runden gerettet hat, ganz einfach den zu Beginn nicht durchsetzbaren Euro-Finanzminister installieren werde. Ein Irrtum, wie sich gezeigt hat.

Nach dem Brexit-Unfall auf den britischen Inseln (wie sich herausstellt, haben ja nicht einmal die „Brexiteers“ einen Plan zum Verlassen der Union in der Tasche) und dem Erstarken europafeindlicher Populismus-Strömungen ist dieses Europa-der-Eliten-Konzept Geschichte. Weil die europäische Idee viel zu schade ist, um sie auf dem Altar der Brüsseler Eitelkeiten zu opfern, ist jetzt also wohl ein größerer Umbau angesagt.

Leider gibt es dafür aber keinen Plan, wie der jüngste EU-Gipfel sehr plastisch gezeigt hat. Weitermachen wie bisher, aber Volksabstimmungen vermeiden, wie einige gemeint haben? Das ist der sichere Weg zu weiteren Abgängen aus dem Klub. Die Union schnell „vertiefen“ und so Fakten schaffen? Das ist das soeben gescheiterte Eliten-Konzept. Ein „Europa der vielen Geschwindigkeiten“?

Das wäre genau die Form der Rosinenpickerei, die man den Briten bei den Ausstiegsverhandlungen zu Recht verweigern will. Österreichs Kanzler, Christian Kern, hat gemeint, man müsse nun primär die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Da hat er recht, aber dafür ist die EU nicht geeignet. Das sollte das Ergebnis genau jener nationalen Reformen sein, die viele EU-Länder, darunter auch Österreich, vor sich herschieben. Niemand hindert sie daran, das zu tun.


In Sachen EU sollten sich die verbliebenen 27 eher einmal klar darüber werden, wohin die Reise wirklich gehen soll. Und das dann auch ebenso klar kommunizieren. Denn ohne die Bevölkerung ins Boot zu holen, ist das gemeinsame Europa nicht zu retten.

Nachdem die Vereinigten Staaten von Europa zumindest mittelfristig völlig unrealistisch und undurchsetzbar sind, wird man es wohl mit losen Verträgen (die dann hoffentlich auch eingehalten werden) versuchen müssen. Der deutsche Bundesbank-Chef Weidmann hat da für die Währungsunion schon Vorschläge gemacht. Ebenso wichtig ist die Einigung auf eine vernünftige gemeinsame Immigrationspolitik (deren Fehlen die Brexit-Abstimmung entschieden hat) samt wirksamem Schutz der Außengrenzen. Und natürlich eine vernünftige Institutionenreform. Denn dass die amtierende Kommission das auf die Reihe kriegt, werden wohl nur unverbesserliche Optimisten annehmen.

Bei der Gelegenheit: Vielleicht sollten die EU-Staaten auch die Personalauswahl für die politischen Topjobs in Brüssel ernster nehmen. Ein globaler politischer Player, dessen Toppositionen vielfach nach dem Motto „Hast du einen Opa, schick in nach Europa“ als krönender Abschluss nationaler Politkarrieren besetzt werden, darf sich nicht wundern, wenn er nicht ernst genommen wird.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)


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