Geld allein macht noch keine Konjunktur

IWF-Vize David Lipton (im Bild neben IWF-Chefin Lagarde): Ohne Strukturreformen kommt die Konjunktur nicht auf die Beine.
IWF-Vize David Lipton (im Bild neben IWF-Chefin Lagarde): Ohne Strukturreformen kommt die Konjunktur nicht auf die Beine.(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/ALEX WONG (ALEX WONG)
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Jetzt meint auch der IWF, dass Geldschwemme allein noch kein Konjunkturstimulans ist.

Die amerikanische Federal Reserve tut es, die Europäische Zentralbank macht es seit einiger Zeit, die japanische Notenbank versucht es seit mehr als einem Vierteljahrhundert und gestern ist angesichts der konjunkturellen Folgen des Brexit-Votums auch noch die Bank of England auf den Zug aufgesprungen. Die Rede ist vom Versuch, mittels drastischer Zinssenkungen und Geldflutung der Finanzmärkte die reichlich lahmende Konjunktur in Gang zu bringen.

Aber reicht das? Gut, in den USA hat der Nullzins-Impuls einen sachten Aufschwung ausgelöst, der aber nach der ersten kleinen Zinserhöhung schon wieder reichlich ins Stocken geraten ist. In der Eurozone aber hat die EZB mit ihrer Flutungspolitik trotz permanenter Dosiserhöhung bisher kein einziges der mit ihrer Nullzinspolitik verbundenen Ziele auch nur annähernd erreicht. Und in Japan müht man sich mit Quantitative Easing wie gesagt schon seit einem Vierteljahrhundert vergeblich ab. Das Einzige, das dort verlässlich steigt, ist die Staatsschuld.

Ist die Nullzinspolitik also gescheitert? Experten vermuten schon lange, dass Zinssenkungen zwar ein sehr effizientes Akut-Medikament im Falle von ökonomischen Schocks sind, in der Langzeittherapie aber ziemlich wenig Effekt bei ziemlich riskanten Nebenwirkungen erzielen.

Aber was ist die Lösung? Die ehrlichste Antwort darauf hat der stellvertretende Chef des IWF, David Lipton, beim jüngsten Jahrestreffen des Bretton Woods Committee in Washington gegeben: „Wir müssen zugeben, dass da einige ökonomische Kräfte mitspielen, die wir noch nicht ganz verstehen“, sagte Lipton. Und: „Wir können einige wichtige Fragen nicht zufriedenstellend beantworten.“ Zum Beispiel die, ob wir es derzeit mit einer „secular stagnation“ (die, sehr vereinfacht gesagt, entsteht, wenn zu viel gespart und zu wenig investiert wird) zu tun haben. Eine solche müsste massiv bekämpft werden, weil sie normalerweise in einer Abwärtsspirale endet, die sowohl Investitionen als auch Ersparnisse in Mitleidenschaft zieht. Oder die Frage, ob der Trend zu fallenden bis verschwindenden Zinsen nicht eher nur ein „Austrocknen der Investmentmöglichkeiten“ in den vergangenen Jahrzehnten widerspiegelt.

Eine definitive Antwort darauf hat der IWF, wie gesagt, auch nicht. Aber er hat neuerdings ein ganzes Maßnahmenbündel parat, das durchaus interessant ist, weil es einen deutlichen Sinneswandel in der bisher doch eher eingleisigen IWF-Politik signalisiert.

Vizechef Lipton selbst hat das in einem Ende Juli auf der IWF-Website veröffentlichten Blogeintrag („Getting into Higher Gear: Why Structural Reforms Are Critical for Revving Up Global Growth“) schön zusammengefasst.

Die Conclusio: Die ultralockere Geldpolitik hilft allein gar nichts, sie kann höchstens die Basis für weiterführende Maßnahmen bilden. Wichtig seien jetzt, besonders in den entwickelten Industriestaaten, kurzfristig kräftige Investitionen in die Infrastruktur (wobei hier Deutschland namentlich genannt wird). Das würde den lang gesuchten konjunkturellen Impuls geben. Und dieser müsste dann mittelfristig durch einschneidende Strukturreformen abgesichert werden.

Denn kurzfristige Impulse durch schuldenfinanzierte Infrastrukturinvestitionen allein helfen noch gar nichts, wie man in Japan, das solche Programme regelmäßig durchzieht, gut beobachten kann.

Und, was der IWF nicht dazusagt: Das gesamte Konzept funktioniert nur, wenn diese Investitionen auch wirtschaftlich Sinn ergeben und so die Basis für weitergehende Konjunkturaufschwünge bilden. Ein Geisterflughafen oder eine Superschnellzugstrecke, die mangels Passagierinteresse wieder eingestellt werden muss, wie das Spanien praktiziert hat, sind volkswirtschaftlich sinnlose Staatsschuldenfallen mit nur sehr kurzzeitigen leichten Effekten für die Baukonjunktur.

In die Kategorie „kurzfristiges Baubeschäftigungsprogramm“ fallen angesichts der internationalen Entwicklung des Bahnverkehrs wohl auch Teile der Investitionen in den inklusive Finanzierungskosten rund 60 Mrd. Euro teuren Ausbau der heimischen Bahn-Südachse.

Aber wie auch immer: Dem kurzfristigen Konjunkturimpuls aus der Investitionsoffensive muss zwingend die mittelfristige Absicherung durch Strukturreformen folgen. Da sagen die Experten des Währungsfonds freilich nichts Neues. Die Vorschläge, von Effizienzsteigerungen in der Verwaltung über Flexibilisierung der Arbeitsgesetze bis hin zur steuerlichen Entlastung der Arbeit und zur Stärkung des Wettbewerbs in den Märkten werden in ganz Europa seit Jahren diskutiert. Auch hierzulande.

Aber eben nur diskutiert. Der IWF formuliert das in einem Arbeitspapier so: „Während die G20-Länder (das sind die 20 größten Industrienationen, Anm.) beeindruckende Fortschritte bei der Identifizierung von strukturellen Reformen gemacht haben, hat sich deren Umsetzung als schwierig erwiesen. Aus politischen wie aus wirtschaftlichen Gründen.“

Das kann man wohl sagen. Auch hierzulande sind ja die Regierungsprogramme voll von wunderschönen Reformkatalogen, die sich beeindruckend anhören, die aber leider nicht umgesetzt werden können. Am Ende bleibt als Konjunkturprogramm dann doch wieder nur das Bohren von Löchern mit zweifelhaftem volkswirtschaftlichen Nutzen durch Berge übrig. Das nennt sich dann „Konjunkturprogramm“ – und alle wundern sich, wieso trotz der schönen Konjunkturprogramme konjunkturell so wenig weitergeht.

Auch wenn selbst der IWF die ökonomischen Kräfte, die für die weltwirtschaftliche Dauerflaute sorgen, nicht vollständig versteht: Das Rezept, die für sich allein nutzlose Geldschwemme jetzt mit flankierenden Reformmaßnahmen zu unterstützen, könnte man wenigstens einmal probieren.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2016)

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