Mit 18 Stundenkilometern durch Europa

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Themenbild(c) Die Presse - Fabry Clemens
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Die Bahn kann sich im Wettbewerb der Güterverkehrsträger nicht behaupten, weil Kleinstaaterei und Konkurrenzverhinderung Zugtransporte unwirtschaftlich machen, sagt der EU-Rechnungshof. Geld allein hilft nicht weiter.

Seit gefühlten 50 Jahren gehört die Verlagerung von Gütertransporten von der Straße auf die umweltfreundlichere Schiene zum Standardrepertoire europäischer Ankündigungsverkehrspolitik. Und ebenso lang läuft es in die andere Richtung: Es wird massiv auf die Straße verlagert. Praktisch der gesamte Zuwachs des Güterverkehrs seit 1960 ist von den Lastwagenflotten aufgesogen worden.

Und die Entwicklung ist noch nicht gestoppt: Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der Schiene am gesamten EU-Binnengüterverkehr von 19,7 auf unter 18 Prozent zurückgegangen (in Österreich liegt der Anteil allerdings über 30 Prozent). Jener der Straße ist dagegen von 73,7 auf 75,4 Prozent gestiegen. Keine gute Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die EU-Kommission 2011 das Ziel festgeschrieben hat, bis 2030 dreißig Prozent und bis 2050 fünfzig Prozent des Güterverkehrs von der Straße wegzubekommen.

Aber woran liegt es, dass die Kluft zwischen politischem Anspruch und Wirklichkeit immer größer wird, obwohl seit vielen Jahren, bezogen auf die Verkehrsleistung, deutlich mehr in die Schiene als in die Straße investiert wird?

Der EU-Rechnungshof hat den EU-Bahngüterverkehr auf Herz und Nieren geprüft und ist in dem vor einigen Wochen veröffentlichten Schlussbericht zu einem (wohl nur für die EU-Bürokraten) verblüffenden Ergebnis gekommen: „Verlader“, heißt es darin wörtlich, „entscheiden sich für eine Beförderungsart anhand betriebswirtschaftlicher Kriterien und nicht mit Blickpunkt auf die politischen Schwerpunkte der EU.“ Ein Problem, weil die Bahn unter diesem Blickpunkt nicht wettbewerbsfähig sei. Das Problem sei nicht so sehr das Geld, als vielmehr „strategische und regulatorische Faktoren“.

„Insgesamt“, so der Rechnungshof, seien „die Bemühungen der EU um Ausweitung des Schienenverkehrs nicht wirksam gewesen“, obwohl die Gemeinschaft im Beobachtungszeitraum (2007 bis 2013) insgesamt 28 Mrd. Euro für die Kofinanzierung von Eisenbahnprojekten ausgegeben habe.

„Dem Schienengüterverkehr ist es in den vergangenen 15 Jahren nicht gelungen, sich im Wettbewerb gegenüber dem Straßenverkehr angemessen zu behaupten“, heißt es. Wie denn auch, wenn bis heute kein vernünftiger europäischer Eisenbahnmarkt zustande gekommen ist. Das äußert sich unter anderem darin, dass international verkehrende Güterzüge laut Rechnungshof in Europa mit heißen 18 Stundenkilometern Durchschnittsgeschwindigkeit unterwegs sind. Das sei auf die „unzulängliche Zusammenarbeit der Infrastrukturbetreiber“ zurückzuführen. Lastwagen bringen es vergleichsweise auf 60 Stundenkilometer Schnitt.

Der Grund ist klar: Es gibt in der EU 26 unterschiedliche Eisenbahnsysteme mit unterschiedlichen Signalsystemen, teilweise sogar unterschiedlichen Spurweiten. Es gibt, anders als im Flugverkehr, keine einheitliche Kommunikationssprache. An Binnengrenzen müssen also umständlich Lokführer, oft auch Loks gewechselt werden. Und die meist staatlichen Ex-Monopolisten tun alles, um das Aufkommen privater Wettbewerber niederzuhalten.

Das ist jetzt keine Polemik, sondern die Zusammenfassung der Erkenntnisse der Rechnungshofprüfer.

Irgendwie blöd, denn ein vernünftiges Verkehrssystem, das die Stärken der einzelnen Verkehrsträger ausspielt, würde der Eisenbahn die Transporte über lange Strecken zuweisen, während der flexiblere Lkw die Verteilung in die Fläche übernimmt. Langstrecke heißt in Europa allerdings Grenzüberschreitung mit allen damit verbundenen administrativen und sonstigen Schikanen.

Dazu kommt noch eine grauenhafte bürokratische Inflexibilität der meist den früheren Monopolisten gehörenden Infrastrukturgesellschaften: Trassen müssen bis zu einem Jahr im Voraus angemeldet werden, bekritteln die Prüfer. Wer kurzfristig Transport benötigt, bekommt Probleme – und nimmt dann eben den Lkw. Zumal er sich damit auch noch den vergleichsweise schlechten Kundendienst erspart, den der Rechnungshof bei der Bahn ebenfalls bemängelt.

Die angepeilte und nie erreichte Transportverlagerung auf die Schiene ist also keine Geld-, sondern eine Organisationsfrage. Noch so viele Investitionsmilliarden in die Infrastruktur nutzen gar nichts, wenn Kleinstaaterei und Schrebergartenmentalität ein vernünftiges europäisches Transportsystem verhindern.

Das ist auch für Österreich interessant, wo derzeit äußerst intensiv in den Streckenausbau investiert wird. Besonders in die sogenannte Baltisch-Adriatische-Verkehrsachse, für die die EU-Rechnungsprüfer eine besonders bedenkliche Entwicklung konstatieren: Nirgendwo in der EU ist in den vergangenen Jahren der Schienentransport so stark geschrumpft wie in Tschechien und in Polen. Also den Räumen, aus denen das große Transitvolumen für diese Achse eigentlich herkommen sollte.

Fazit: Zu glauben, man könnte eine Transportverlagerung auf die Schiene bloß mit finanziellen und regulatorischen Schikanen für den Lkw-Verkehr erreichen, ist ziemlich naiv. Die Verlagerungsbremse ist der erbärmliche Zustand der europäischen Bahnzusammenarbeit. Da sind die Verkehrsminister gefragt, nicht die Steuereintreiber.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2016)

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