War es das jetzt mit der Globalisierung?

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Weltweit schleicht sich wieder Protektionismus in den wirtschaftspolitischen Mainstream. Eine Erfolgsgeschichte, die Hunderten Millionen Menschen Wohlstand beschert hat, steht damit ernsthaft auf dem Spiel.

Vor wenigen Tagen wurde die Containerschifffahrt von einem schweren Seebeben erschüttert: Hinjan Shipping, die siebentgrößte Reederei der Welt, musste, geschäftlich leckgeschlagen, Insolvenz anmelden. Es gibt nicht wenige Beobachter, die darin den „Lehman-Moment für die Globalisierung“ sehen. Denn die riesigen Containerschiffe, die Konsumgüter überwiegend von den nach Südostasien ausgelagerten Fabriken in die Industriestaaten bringen, gelten als Symbol des unbeschränkten Welthandels. Und sie haben Schlagseite bekommen, seit dieser Welthandel vor ein paar Jahren seine Dynamik verloren und in den vergangenen beiden Jahren in Stagnation übergegangen ist.

Zur gleichen Zeit kündigte US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump an, Amerika im Fall seiner Wahl mit protektionistischen Schranken gegen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt abschotten zu wollen, der US-Kongress ist gerade dabei, das transpazifische Freihandelsabkommen TTP zu Grabe zu tragen und in Europa formiert sich unter wachsender öffentlicher Zustimmung immer heftigerer Populistenwiderstand gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, dem kaum noch ernsthafte Überlebenschancen gegeben werden.

Überall in der industrialisierten Welt macht sich neuer Nationalismus breit, die Handelshemmnisse, die lange Zeit Schritt für Schritt abgebaut wurden, kommen langsam wieder zurück. Als Tüpfelchen auf dem i verlangt nun der Club of Rome Handelsbeschränkungen, um seiner Antiwachstumsideologie zum Durchbruch zu verhelfen.

Es sieht so aus, als wäre die Globalisierung in eine sehr ernste Krise gerutscht. Und als würde der Freihandel jetzt in eine Situation kommen, in die die globale Finanzwirtschaft 2007/2008 geraten ist.

Als unbestritten gilt, dass die Globalisierung einer der wesentlichen Wachstumstreiber der vergangenen drei Jahrzehnte war und aus globaler Sicht den Wohlstand wesentlich angeschoben hat. Als unbestritten gilt aber auch, dass die Wohlstandsgewinne der Globalisierung sehr ungleich verteilt waren.

• Große Gewinner waren die Länder Südostasiens, die sich am stärksten der Globalisierung geöffnet hatten. In dieser Region wurde durch die Verlagerung von Produktionen aus den Industrieländern mehr als eine Milliarde Menschen aus bitterer Armut in eine Art neuen Mittelstand geholt. Wie stark die Bereitschaft zur Öffnung auf den Weltmarkt den Wohlstand eines Landes beeinflussen kann, sieht man an Südkorea: Das Land lag beim BIP pro Kopf zu Beginn der Sechzigerjahre gleichauf mit Ägypten. Jetzt ist dessen Wirtschaftsleistung pro Einwohner ziemlich genau zehnmal so hoch wie jene des nordafrikanischen Dauerkrisenstaats.

• Durchwachsener ist die Erfolgsbilanz in den Industriestaaten. Zwar gibt es auch hier einen gewaltigen Wohlstandsschub durch die billigen Importe, aber dieser Schub hat nicht alle gleichermaßen erreicht. Klarer Verlierer sind beispielsweise niedrig qualifizierte Arbeiter in den USA, deren Jobs nach China gewandert sind. Das ist das Potenzial, in dem jetzt Donald Trump aus dem Vollen schöpft. Aber auch die erodierende Mittelschicht ist in den USA unter die Räder gekommen.

Besser sieht es in Europa aus. Allerdings hat auch hier die Mittelschicht nicht wirklich profitiert. Zumindest nicht relativ zu den starken Einkommenssteigerungen, die die Globalisierung den obersten Einkommensprozenten in den Industrieländern beschert hat. Diese Ungleichverteilung innerhalb der Industriestaaten (nicht die sehr starken Einkommenszuwächse in den Schwellenländern) sorgt für böses Blut und diskreditiert die Globalisierung in der öffentlichen Meinung zusehends. Ein Gewässer, in dem rechte und linke Populisten erfolgreich fischen.

Und die Abkehr von der globalen Handelsausrichtung schleicht sich zusehends in den wirtschaftspolitischen Mainstream. Während in den Nullerjahren dieses Jahrtausends die Marktöffnung überwog, sei seit dem Ausbruch der Finanzkrise ein neuer Protektionismus zu bemerken, zitiert etwa „Die Welt“ den Wirtschaftswissenschaftler Simon Everett von der Universität St. Gallen. Seit dem Lehman-Crash sei „kaum ein Tag vergangen, ohne dass ein Land Maßnahmen ergriff, um heimische Unternehmen zu schützen und ausländischen die Geschäfte zu erschweren“. Dabei gehe es um offene und verdeckte Subventionen, Exportzölle und Regeln gegen die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland. An diesem neuen Protektionismus seien auch alle jüngeren Versuche gescheitert, Handelsabkommen zu schließen. TTIP ist da keine Ausnahme.

Zudem läuft die technische Entwicklung in Richtung Renationalisierung: Weil Roboter unabhängig von ihrem Standort die gleichen Arbeitskosten verursachen, wird es immer stärker möglich, verlagerte Produktionen wieder in die USA oder nach Europa zurückzuholen. Ein spektakuläres Beispiel dafür liefert der Sportartikelhersteller Adidas, der vor Kurzem angekündigt hat, künftig wieder in Deutschland Sportschuhe produzieren zu wollen. Bisher wegen der Arbeitskostenunterschiede zu Südostasien undenkbar.

So unumkehrbar, wie viele glauben, ist die Globalisierung also nicht. Und das ist durchaus keine gute Nachricht. Nicht nur, weil damit ein Wohlstandsturbo für Schwellenländer wegfällt (seit ein paar Jahren ist übrigens global die Zahl der Menschen, die an Übergewicht leiden, deutlich größer als die Zahl der chronisch Hungernden). Sondern weil eine starke Handelsverflechtung auch ein Friedensgarant ist. Neulich hat ein renommierter Ökonom gemeint, die Situation erinnere stark an die letzten Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, als die erste große Globalisierungswelle zusammenbrach – und in Jahrzehnte des Nationalismus und des Krieges überging. Da würde es sich schon lohnen, für den Freihandel zu kämpfen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2016)

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