Wir spielen japanisches Roulette

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Themenbild(c) Erwin Wodicka
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Weil Nullzinsen und Gelddrucken weitgehend wirkungslos blieben, probiert Japan jetzt die totale staatliche Manipulation des Zinsmarktes. Ein ziemlich gefährliches Experiment.

Dass die Verschuldung der Industriestaaten auf konventionelle Weise – etwa durch bloßes ausgabenseitiges Sparen – nicht mehr einzufangen ist, gilt unterdessen als gesichert. Dass Staaten zum Zweck des Schuldenabbaus immer stärker auf die Vermögen ihrer Staatsbürger schielen, auch. Was sich ändert, sind die angedachten beziehungsweise angewandten Methoden.

• Begonnen hat es vor ungefähr fünf Jahren mit dem Vorschlag des Internationalen Währungsfonds und des globalen Beratungskonzerns Boston Consulting, die entgleisten Schuldenstände der Industriestaaten mittels einer allgemeinen Vermögensabgabe wieder auf ein tragfähiges Niveau (also ungefähr 60 Prozent des BIPs) zu drücken. Diese Vermögensabgabe hätte beim damaligen Schuldenstand ungefähr 30 Prozent der angehäuften Finanz-, Immobilien- und sonstigen Vermögen ausmachen müssen. Jetzt wäre es natürlich schon deutlich mehr. Eine bestechend einfache (und nach dem Zweiten Weltkrieg in einigen Ländern auch praktizierte) Methode, die in Demokratien in Friedenszeiten aber einen entscheidenden Haken hat: Sie führt wahrscheinlich zum sofortigen Sturz der Regierung.


• Man hat sich also parallel der bewährten Methode entsonnen, die Schulden auf Kosten der Sparer und Anleihenbesitzer wegzuinflationieren. Dazu braucht man aber, wie der Name schon sagt, Inflation. Um die zu erzeugen, gibt es in den USA, Europa und Japan Quantitative-Easing-Programme: Mit Nullzinsen und Geldschwemme mittels Staatsanleihekäufen soll die Geld- und damit Schuldenentwertung in Schwung kommen. Nur: Das funktioniert nicht. Die Amerikaner hüpfen gerade vor, dass sie aus ihrer selbst gebastelten Zinsfalle nicht recht herauskommen, die Europäer schaffen es damit gerade noch, nicht in Deflation zu rutschen, und in Japan, wo das Konzept seit mehr als 20 Jahren erprobt wird, hat es nur dazu geführt, dass die Staatsschulden von etwas mehr als 60 Prozent auf zuletzt 245 Prozent des BIPs explodiert sind. Ohne dass dabei nennenswertes Wachstum entstanden wäre.

• Wie groß die Verzweiflung schon ist, zeigt der jüngste Vorschlag des US-Ökonomen Kenneth S. Rogoff, im Ernstfall bis zu sechs Prozent Minuszinsen einzuführen und das Ganze mittels weitgehenden Bargeldverbots abzusichern. Ein Vorschlag, der die Kreditvergabe wohl zum Erliegen bringen würde.

• Die bisher gefährlichste Waffe hat diese Woche allerdings die japanische Notenbank ausgepackt: Sie will den Zinssatz dauerhaft durch politische Eingriffe auf null manipulieren und gleichzeitig – ebenfalls durch staatliche Engriffe via Notenbank – die Inflation auf „deutlich mehr“ als die bisher angepeilten zwei Prozent treiben.

Das wäre, zu Ende gedacht, eine reale jährliche Vermögensabgabe von mindestens zwei Prozent für Sparer und Anleihehalter (nicht jedoch für Aktionäre und Immobilienbesitzer) – und wohl auch das Ende jeder kapitalgedeckten Altersvorsorge. Das ist aber nicht das Hauptproblem. Dieses ist vielmehr, dass man dafür äußerst riskante Manöver fahren muss. Denn der Versuch, mit Nullzinsen Inflation anzukurbeln, scheitert im Prinzip ja seit Jahrzehnten.

Der Ausweg wurde von den Japanern auch schon diskutiert, diesmal aber noch nicht angewendet. Er heißt direkte Staatsfinanzierung durch die Notenpresse, und nicht wie jetzt über den Umweg von Banken. Das könnte die allgemeine Inflation tatsächlich ankurbeln, wäre aber ein Sündenfall mit unabsehbaren Konsequenzen. Bisher hat so etwas in der Geschichte jedenfalls immer zu unkontrollierter Inflation geführt. „Frisch gedrucktes“ Geld würde dann nämlich unmittelbar im Kreislauf landen, während es derzeit erst in der zweiten Stufe (dem Verkauf der erworbenen Staatsanleihen von den Banken an die Notenbank) zum Einsatz kommt und damit – vergleichsweise harmlos – im Finanzsystem bleibt und nur dort ein paar Blasen (etwa bei Aktien) aufbläst.

Der zweite Knackpunkt: Mit derartigen staatlichen Manipulationen wird der Markt im Zinsbereich dauerhaft vollkommen ausgeschaltet, womit auch die für die Finanzmärkte nicht unwichtige Informationsfunktion des Zinssatzes dauerhaft ausgeknipst wird.

Wir haben es hier also mit einem außerordentlich gefährlichen Experiment zu tun. Dass die fernen Japaner dabei die Labormäuse spielen müssen, ist kein Trost: Die Finanzwelt ist zu vernetzt, als dass Erschütterungen aus solchen Entwicklungen regional begrenzt bleiben könnten. Außerdem schielen die leidgeprüften europäischen Notenbanker ja auch schon sehr interessiert nach Tokio.

Ein deutscher Banker hat die Entscheidung der Japaner gestern als „japanisches Roulette“ bezeichnet. Um beim Bild zu bleiben: Das ist eine Art russisches Roulette – mit fast vollem Magazin.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2016)

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