Kein Spielraum für neue Steuern

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Im Hochsteuerland Österreich wird über die Erhöhung der Grundsteuer ohne gleichzeitige Senkung anderer Abgaben diskutiert. Das nennt man wohl Standortpolitik.

Das komplizierte und von der Lastenverteilung her offenbar nicht mehr zeitgemäße Steuersystem und die Höhe der Steuerbelastung gehören zu den ganz großen Schwächen des hiesigen Wirtschaftsstandorts. Das haben uns gerade wieder einmal internationale Manager im Wettbewerbsfähigkeitsranking des Schweizer Weltwirtschaftsforums bescheinigt.

Die Modernisierung des Steuersystems bei gleichzeitiger Senkung der vergleichsweise sehr hohen Steuer- und Abgabenquote wäre also wohl das beste Konjunkturprogramm, das sich kurzfristig auf die Beine stellen ließe. Leider gibt es keine Hinweise darauf, dass irgendjemand ernsthaft die auch von Wirtschaftsforschern vehement geforderte Steuerstrukturreform auch nur ansatzweise anzupacken gedenkt. Im Gegenteil: Derzeit wird in der Steuerdebatte auf politischer Ebene hauptsächlich darüber geredet, wo es im bestehenden System noch Spielraum für isolierte Steuererhöhungen (also eine weitere Anhebung der drückenden Gesamtsteuerlast) geben könnte.

Die Länder haben solchen Spielraum im Zuge der laufenden Finanzausgleichsverhandlungen gerade wieder bei der Grundsteuer entdeckt: Diese sei im internationalen Vergleich niedrig. Würde man sie auf EU-Durchschnitt anheben, dann könnte man fast eine Milliarde Euro im Jahr mehr an Einnahmen für die finanzklammen Gemeinden, an die diese Steuer geht, lukrieren. Klingt gut, nicht wahr?

Wobei: Auf eine Angleichung der Gesamtsteuerlast auf EU-Durchschnitt kann man sich schon einigen. Das würde insgesamt nämlich bedeuten, dass man die Steuerlast um rund elf Mrd. Euro im Jahr – das entspricht 1375 Euro je Österreicher – senken müsste. Das ist aber offensichtlich nicht gemeint. Angeglichen soll ja nur dort werden, wo Österreich unter dem Schnitt liegt.

Die Grundsteuer ist aber insgesamt ein sehr schönes Beispiel dafür, wie unseriös die Steuerdebatte läuft. Denn eine Grundsteuerreform ohne echte Gesamt-Steuerstrukturreform und ohne Föderalismusreform ergibt überhaupt keinen Sinn. Außer jenen, den Staatsbürgern noch mehr Geld abzunehmen.

Dass sie reformiert gehört, ist allerdings unbestritten: Eine Steuer, deren Berechnungsbasis fiktive, vor mehr als 40 Jahren erhobene „Einheitswerte“ darstellen, ist nicht zeitgemäß. Aber man muss dabei aufpassen, weil diese Form der Vermögensteuer in Wirklichkeit eine klassische Arme-Leute-Steuer ist: Sie trifft überwiegend Häuslbauer, Eigentumswohnungsbesitzer und (über die Betriebskosten) Mieter. Fast 90 Prozent der österreichischen Bodenfläche ist davon ausgenommen, weil es sich dabei entweder um steuerbefreite Verkehrsflächen (Straße, Bahn) oder um landwirtschaftliche Grundstücke handelt, für die es eine eigene, nach ebenso fiktiven „Ertragswerten“ berechnete Grundsteuer A gibt. Und deren Ertrag ist mit freiem Auge kaum sichtbar: Für die 86 Prozent der österreichischen Bodenfläche, die agrarisch genutzt wird, fallen seit Jahrzehnten ziemlich unverändert 26 Mio. Euro an Steuervolumen an. Zum Vergleich: Allein das Aufkommen an Zwangsbeiträgen für die Landwirtschaftskammer ist um gut 50 Prozent höher.

Der kleine, nicht agrarische Rest zahlt dagegen mehr als 600 Millionen. Und dieses Aufkommen geht keineswegs, wie Kommunalpolitiker immer wieder realitätswidrig behaupten, zurück. Die seit den 1970er-Jahren unveränderten Einheitswerte konnten ja per Hebesatz verfünffacht werden. Seit 1995 ist das Grundsteueraufkommen beispielsweise um mehr als 77 Prozent gestiegen. Bei einer gleichzeitigen Verbraucherpreissteigerung um 43 Prozent ergibt das recht ordentliche reale Zuwächse für die Gemeindekassen. Wer darin einen „Rückgang“ erkennt, der hat wohl ein Problem mit Zahlen.

Das spricht natürlich nicht gegen eine grundsätzliche Reform der abenteuerlich realitätsfernen Bemessungsgrundlage (bei gleichzeitiger Adaptierung der Steuersätze klarerweise). Es spricht auch nichts dagegen, die Grundsteuer als Basis zu nehmen, um die herum dann eine stärkere Finanzautonomie der Gebietskörperschaften konstruiert wird. Sinn ergibt das allerdings nur im Rahmen einer Gesamtreform des Steuersystems und des Föderalismus.

Dazu sollte man die Diskussion einmal auf seriöse Beine stellen. Derzeit sind ja nicht wenige ziemlich unsinnige Argumente für eine simple Anhebung in Umlauf.

Eines lautet beispielsweise, man könne über die Grundsteuer eine substanziellere Vermögenssteuer (die Grundsteuer ist ja eine klassische Vermögenssubstanzsteuer) durch die Hintertür einführen. Da könnten die „Schröpft die Reichen“-Schreier freilich leicht eine deprimierende Überraschung erleben: Großgrundbesitz ist überwiegend agrarisch und damit nur der lächerlich niedrigen Grundsteuer A unterworfen. Der zahlenmäßig weitaus größte Teil der echten Grundsteuerzahler setzt sich, wie gesagt, aus mittelständischen Haus- und Wohnungsbesitzern sowie aus Mietern zusammen, denen die Grundsteuer von ihren Hausherren ganz legal über die Betriebskosten weiterverrechnet wird. Und sie belastet Betriebe. Eine klassische Mittelstandssteuer also.

Das andere lautet, man müsse ja die steuerliche Belastung der Arbeit senken und könne das eben mit höheren Grundsteuern kompensieren. Die Sache hat einen kleinen Haken: Grundsteuer ist Gemeindesteuer, Lohnsteuer gehört dem Bund. Das wäre ein Steuertransfer vom Bund in die Gebietskörperschaften, und da sollte man zuerst wohl die undurchschaubaren finanziellen Bund-Länder-Gemeindebeziehungen ordnen.

Wobei: Die Lohnsteuer ist wohl der wirkliche Kern einer Steuerumstellung: Während die Grundsteuer seit 1995 um 77 Prozent gestiegen ist, hat der Finanzminister aus der Lohnsteuer ein Plus von 142 Prozent lukriert. Bei einer Lohnsummensteigerung um 76 Prozent.

Kurzum: Das Lohnsteueraufkommen steigt doppelt so schnell wie die Löhne. Schiefer kann ein Steuersystem nicht mehr gewickelt sein.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2016)

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