Die versteckte Billionen-Staatsschuldenlast

Themenbild
Themenbild(c) AFP (Claudio Almarza)
  • Drucken

Selbst wenn kein einziger Cent neue Schulden mehr gemacht wird, wird die Staatsverschuldung auf fast eine Billion Euro steigen. Schuld daran sind die impliziten Staatsschulden, die in der Diskussion gern ausgeklammert werden.

Der Staatsdampfer steuert mit Volldampf auf einen Eisberg zu, aber die Offiziere auf der Brücke beruhigen einander: „Wegen dieses Eisbergleins werden wir doch nicht den Kurs ändern.“ Dass der größere Teil des Hindernisses unsichtbar unter Wasser liegt, weiß der Kapitän zwar. Aber: Wird schon nichts passieren . . . Das ist kurz zusammengefasst der Stand der Diskussion um die Staatsverschuldung. Wir liegen mit einer Staatsschuldenlast von rund 300 Mrd. Euro, also etwa 86 Prozent des BIPs, zwar weit über der Maastricht-Grenze für die Währungsunion, aber das tun viele andere Eurozonenmitglieder auch. Und: Eine Schuldenquote von rund 86 Prozent des BIPs gilt als noch beherrschbar. Zumal sie ja jetzt leicht zu sinken beginnt.

Was dabei gern verschwiegen wird: Die eigentlichen Verbindlichkeiten des Staates betragen ein Vielfaches davon. Denn der Staat hat eine Reihe von finanziell unbedeckten Zusagen etwa für Investitionen, Pensionen, Flüchtlingsbetreuung etc. gemacht, die er fix einlösen, für die er das notwendige Geld aber erst ausleihen muss. Ökonomen nennen das die implizite Staatsverschuldung. Zusammen mit den bereits gemachten Schulden ergibt das die Nachhaltigkeitslücke. Diese gibt an, wohin die Staatsschulden selbst dann noch steigen werden, wenn kein einziger Euro mehr an Neuschulden aufgenommen wird.

Und diese Nachhaltigkeitslücke sieht beunruhigend aus: Österreich kommt, wie immer man das rechnet, auf eine wahre Staatsverschuldung in der Gegend der Billion. Dem steht auf der Aktivseite der Bilanz laut Statistik Austria ein Staatsvermögen (inklusive Industriebeteiligungen) von knapp 220 Mrd. Euro gegenüber. Das sieht nach schwerer Überschuldung aus. Die Zahlen über die wahre Staatsschuld differieren ein wenig. Der Thinktank Eco Austria ist schon für 2014 auf eine effektive Staatsschuld von 314,7 Prozent des BIPs gekommen. Das wären damals knapp eine Billion (also 1000 Milliarden) Euro gewesen.

(c) Die Presse

Wir nehmen hier wegen der internationalen Vergleichbarkeit die Zahlen der deutschen Stiftung Marktwirtschaft, die sich auf Daten der EU-Kommission stützt und uns eine Nachhaltigkeitslücke von 221 Prozent des BIPs, davon 137 Prozentpunkte implizite Staatsschulden, bescheinigt. Das wären „nur“ rund 750 Mrd. Euro. Allerdings: Was hier noch nicht enthalten ist, sind die impliziten Staatsschulden, die durch die unkontrollierte Migrationsbewegung des Jahres 2015 entstanden ist. Die Stiftung hat das für Deutschland berechnet. Nachdem die Belastungen aber ähnlich gelagert sind, kann man das in groben Zügen ruhig auf Österreich übertragen.

Demnach erhöht die Migrationswelle (Annahmen, nach dem Eins-zu-zehn-Schlüssel auf Österreich heruntergebrochen: 200.000 Migranten zwischen 2015 und 2020, Integration in den Arbeitsmarkt innerhalb von sechs Jahren) die Nachhaltigkeitslücke um rund 30 Prozentpunkte. Das wären etwa 100 Mrd. Euro. Allein um diese Lücke auszugleichen, müssten die Steuern um 1,5 Prozent erhöht werden. Noch einmal 23 Prozentpunkte oder rund 80 Mrd. Euro kommen dazu, falls, wie es die Stiftung formuliert, „die Nachkommen der Zuwanderer nur eingeschränkt integriert werden können“. Damit wären wir für Österreich in Summe wieder knapp unter der Billion.

Das wirklich beunruhigende daran: Mit dieser versteckten Staatsverschuldung fallen wir in Europa keinesfalls negativ auf. Österreich liegt im EU-Nachhaltigkeitsranking auf Rang zehn. Zwar hinter Deutschland, aber noch weit vor großen Volkswirtschaften wie Frankreich (291 Prozent Nachhaltigkeitslücke), Großbritannien (498 Prozent) und Spanien (592 Prozent). Von Irland, dessen wahre Staatsverschuldung 1171 Prozent des BIPs ausmacht, reden wir da noch gar nicht. Die EU liegt insgesamt mit 266 Prozent knapp über dem österreichischen Wert. Etwas plastischer: Die Nachhaltigkeitslücke der EU 28 liegt bei satten 37.000 Mrd. Euro. Übrigens, wenn auch ein schwacher Trost: Die USA bringen es auf eine Nachhaltigkeitslücke, die an jene Irlands heranreicht.

Es sieht also ganz danach aus, als würde die gesamte westliche Welt im Schuldensumpf versinken. Solche implizite Schuldenstände lassen sich mit Sparen oder Steuererhöhen allein nicht mehr einfangen. Zumal ja der überwiegende Teil der versteckten Staatsschulden auf die Finanzierung von Sozialleistungen entfällt, die kein neues „Staatsvermögen“ schaffen. Vielleicht sollte man den im Euroraum wieder laut werdenden Ruf nach einer Lockerung der Defizitregeln auch einmal unter diesem Aspekt betrachten.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

PK ´BERICHT �BER DIE �FFENTLICHEN FINANZEN 2015-17 DES FISKALRATES´: FELDERER
Österreich

Weniger Staatsschulden, Abgabenquote verbessert

Der Fiskalrat stellt Österreich ein recht gutes Zeugnis aus, drängt aber auf eine rasche Reform der Mindestsicherung für Flüchtlinge.
Aelterer Mann wartet auf einer Parkbank
Österreich

Studie: Zeitpunkt für Schuldenabbau ist gekommen

Niedrige Zinsen und die Rückkehr von Wachstum machten die Zeit reif, die angehäuften Schulden wieder zu senken, so der Brüsseler Thinktank Bruegel. Ein großes Problem sei dabei implizite Verschuldung.
Sozialausgaben 2016 im Vergleich
Österreich

OECD: Österreich liegt bei Sozialausgaben vor Schweden

Österreich rangiert bei den Sozialausgaben im Spitzenfeld. Der Anteil für Pensionen ist hierzulande fast doppelt so hoch wie im OECD-Schnitt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.