Auf dem Weg zum Euro-Trump

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US-REPUBLICAN-PRESIDENTIAL-NOMINEE-DONALD-TRUMP-HOLDS-ELECTION-N(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/JOE RAEDLE
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Schon Adam Smith wusste: Wenn ein großer Teil der Bevölkerung von den Früchten des Wachstums abgeschnitten wird, gibt es politischen Zoff. Ein Lehrstück für elitäre Politiker.

Den „Aufstand der Abgehängten“ hat die „Neue Zürcher“ die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten genannt. Aber warum um Himmels Willen wählen Menschen einen Politiker, der ihnen nebst der Ausschaltung des verhassten „Establishments“ auch noch die Streichung ihrer Sozialversicherung verspricht? Wie tief muss der Frust sitzen, wenn die Devise offenbar „alles ist besser als der Ist-Zustand“ lautet? Und wie kommt es, dass in einem Europa, dessen Wohlstand insgesamt noch nie so hoch war wie heute, Rechtspopulisten (Österreich, Frankreich, Holland, Großbritannien) und Linkspopulisten (Griechenland, Spanien, Italien) solchen Zulauf haben?

Die Wirtschaftswissenschaft hat seit über 200 Jahren eine einleuchtende Erklärung parat. Eine, die empirisch über die Jahrhunderte vielfach nachgewiesen wurde. Und die ebenso lang von der Wirtschaftspolitik beharrlich ignoriert wird. Mit den bekannten Folgen, die in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts sogar in eine Weltkatastrophe mündeten. Aber offenbar werden aus der Geschichte keine Lehren gezogen.

Die These lautet sehr vereinfacht: Gesellschaften, in denen Wirtschaft und Wohlstand wachsen, entwickeln sich in Richtung Liberalität, Globalisierung, Weltoffenheit, Demokratisierung, Diversität. Gesellschaften ohne Wachstum entwickeln sich zurück in Richtung Nationalismus, Anti-Globalisierung, Fremdenfeindlichkeit, Demokratieabbau.

Und zwar unabhängig von der Höhe des erarbeiteten Wohlstands: Der Arbeiter im Schwellenland mit 300 Dollar Monatslohn entwickelt Zukunftsoptimismus angesichts der Aussicht, bald vielleicht schon 350 verdienen zu können. Der topqualifizierte europäische Facharbeiter mit 3000 Euro wird zum engstirnigen Wutbürger, wenn er merkt, dass sein Wohlstand zu erodieren beginnt. Bill Clinton würde sagen: „It's the growth, stupid“.

Die These hat erstmals der große Adam Smith 1776 in seinem „The Wealth of Nations“ aufgestellt. Dort heißt es sinngemäß, die Zufriedenheit der Menschen sei in einer wachsenden Wirtschaft am größten. Die Unzufriedenheit steige in Phasen der Stagnation und werde miserabel, wenn es zur Schrumpfung kommt.

Harvard-Professor Benjamin M. Friedman hat die These von Smith über mehr als 200 Jahre seit dem Erscheinen von „The Wealth of Nations“ abgeklopft, verifiziert und das Ergebnis im 2005 erschienenen, viel beachteten Buch „The Moral Consequences of Economic Growth“ zusammengefasst.


Wer das gelesen hat (Politiker und Politikanalysten waren offenbar nicht darunter), für den war die Trump-Wahl keine sonderliche Überraschung. Friedman hat darin auf Basis seiner These nämlich schon vor elf Jahren die Entwicklung der USA (aber auch anderer Industriestaaten) zur „Demokratie ohne Demokraten“ prophezeit – falls es nicht gelänge, zu Wachstum zurückzukehren.

Unter Wachstum versteht Friedman freilich nicht jenes des Bruttoinlandsprodukts (das für den Einzelnen ja nur sehr abstrakt wahrnehmbar ist), sondern jenes des persönlichen Einkommens. Das Bruttoinlandsprodukt ist in den USA in den vergangenen Jahrzehnten im Schnitt ja recht satt angestiegen.

Ein immer größerer Teil der Amerikaner ist aber von den Früchten dieses Wachstums abgeschnitten worden. Die Einkommen der Arbeiter schrumpfen (mit einer kurzen Unterbrechung im Boom der Neunzigerjahre) seit 30 Jahren. Und in den letzten beiden Jahrzehnten hat es zunehmend auch den Mittelstand erwischt.

Anders gesagt: Ein immer größer Teil der Bevölkerung fühlt sich – nicht ganz zu Unrecht – von den wirtschaftlichen und politischen Eliten um die Früchte des gemeinsam Erarbeiteten betrogen. Und reagiert darauf mit Hinwendung zu vermeintlichen Kämpfern gegen dieses Establishment.

Wie die Reaktionen auch vieler europäischer Politiker auf die Wahl Trumps zeigen, hat die Politik noch immer absolut nichts verstanden. Die These, hier würden nur ungebildete Verlierer populistischen Rattenfängern nachlaufen und es denen da oben einmal so richtig zeigen wollen, ist ebenso verbreitet wie falsch. In den USA hat sich der Frust bereits bis tief in den oberen Mittelstand hineingefressen. Sonst wären Mehrheiten bei demokratischen Wahlen gar nicht möglich.

Kurzum: Es hakt weniger am Wirtschaftswachstum als an der Distribution des gemeinsam erarbeiteten BIPs. Da werden Wirtschaftspolitiker Lösungen finden müssen, wenn sie die gesellschaftliche Explosion verhindern wollen.


Und zwar nicht nur in Amerika. Auch in Westeuropa sieht sich ein immer größerer Teil der Bevölkerung seit Jahren bei steigendem BIP mit schrumpfenden Realeinkommen konfrontiert. Und friedmanlehrbuchgemäß nahmen in dieser Zeit Anti-Internationalisierungsbewegungen, Nationalismus, der Wunsch nach Abschottung und der Zulauf zu linken und rechten populistischen Parteien dramatisch zu. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir den ersten Euro-Trump haben.

Erst in der Vorwoche hat übrigens das Statistische Zentralamt bekannt gegeben, dass die Haushaltseinkommen in Österreich seit ein paar Jahren real zurückgehen. Die Österreicher seien trotzdem „sehr zufrieden“, weil ihr Wohlstand ja hoch sei, hat es geheißen.

Welch ein kapitaler Irrtum: Jeder, der sein Ohr an der Bevölkerung hat, merkt, wie sehr es dort schon brodelt. Es ist eben nicht das Wohlstandsniveau, das die Stimmung bestimmt, sondern die Richtung, in der es weitergeht. Da sollte man jetzt das Steuer schnell herumreißen, statt sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2016)

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