Reformen auf der langen Bank

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Themenbild(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Die jüngsten parlamentarischen Diskussionen haben zweierlei gezeigt: Die heimische Form des Föderalismus ist zur sündteuren Reformbremse geworden. Und: Diese Regierung wird daran nichts mehr ändern.

Vor ein paar Tagen hat sich der Rechnungshofausschuss des Parlaments mit der, wie es die Rechnungsprüfer euphemistisch ausdrücken, „komplexen“ Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bei den Landesschulräten und mit dem neuen Lehrerdienstrecht befasst. Das ist insofern interessant, als der Bildungssektor eines der schönsten Beispiele dafür ist, wieso der heimische Gamsbartföderalismus so gar nicht mehr funktioniert und sich zu einem der größten Bremsklötze dieser Republik entwickelt hat.

Die Berichte, die da diskutiert wurden, zeichnen ja das Bild einer Verwaltung, das ein mit österreichischen Verhältnissen nicht Vertrauter wohl mit den Worten „völlige Fehlkonstruktion“ bezeichnen würde. Die Prüfer hatten in ihrem schon 2015 öffentlich gewordenen Bericht auf die „einzigartige Konstruktion“ der Landesschulräte hingewiesen: Eine Bundesbehörde, deren Chef aber der jeweilige Landeshauptmann ist und dessen Kollegium auf Basis der politischen Kräfteverhältnisse im Land proporzmäßig zusammengesetzt wird.

Das ergibt, wir zitieren jetzt Rechnungshof-Chefin Margit Kraker, eine „komplexe Situation zwischen der politischen Ebene des Kollegiums auf der einen und der Behördenstruktur zwischen Bund und Ländern auf der anderen Seite“. Etwas weniger fein gesagt: An der Spitze der Landesschulverwaltungen existiert ein undurchsichtiger, gegenseitige Blockaden geradezu herausfordernder Bund-Länder-Parteienpallawatsch, bei dem es offenbar um vieles geht, nur nicht um Bildung. Bevor wir es vergessen: In fünf Ländern gibt es auch noch einen politisch bestellten Vizepräsidenten des Landesschulrats. Der aber glücklicherweise im Regelfall ohnehin nichts darf, außer sein fettes Gehalt kassieren. Dass das relativ teure heimische Bildungssystem unter diesen Umständen bei internationalen Vergleichstests immerhin noch im Mittelfeld landet, gehört zu den kleinen Mirakeln dieses Landes.

Wir haben hier alles, was den Föderalismus ausmacht, in einem Bereich zusammengefasst: überschneidende, intransparente, unlogische Kompetenzstrukturen, die zu Blockaden führen. Und daraus folgende intransparente Finanzströme. Der passende Satz aus dem diskutierten Rechnungshofbericht: „Die Schulbehörden führten ihre Aufgaben mit deutlich höherem Personaleinsatz und höheren Personalausgaben durch als im Personalplan und im finanzgesetzlichen Ansatz/Detailbudget ausgewiesen; die Budgetwahrheit fehlte.“

Also nicht nur intransparent, ineffizient, sondern auch noch teurer. Wobei Geld ohnehin keine Rolle spielt: Allein durch in die Lehrerdienstrechtsreform hineinreklamierte Verzögerungen, die die Reform erst 2060(!) voll wirksam werden lassen, bringt diese laut Rechnungshof um 1,07 Mrd. Euro weniger Einsparungen als möglich.

Dieses Dokument des Verwaltungsversagens wurde im Parlament auf gut österreichisch abgehandelt: Die zuständige Ministerin meinte, es gebe ohnehin schon Reformpapiere, etwa über die Bildung von Bildungsdirektionen, aber das dauere halt. Man werde die Anregungen „zum gegebenen Zeitpunkt für Veränderungen nutzen“. Der Nationalrat nahm den katastrophalen Rechnungshofbericht danach „einstimmig zur Kenntnis“.

Womit die Anregungen jetzt auf des österreichischen Politikers liebstem Möbelstück liegen: der langen Bank.


Dort wahrscheinlich gleich neben den Überbleibseln der jüngsten Finanzausgleichsverhandlungen. Die wollte Finanzminister Schelling ja für einen vorsichtigen Umstieg in Richtung Zusammenlegung der Einnahmen- und Ausgabenverantwortung und Wirkungsorientierung nutzen. Soll heißen: Wer Geld ausgibt, soll das auch vorher einnehmen. Und wer Geld vom Bund bekommt, soll damit das Erreichen vorher definierter Ziele finanzieren.

Das Ergebnis des Matches Bund gegen Länder ist bekannt: 0:9. Die Länder bekommen 300 Millionen mehr, müssen darüber aber nicht groß Rechenschaft ablegen. Und die Wünsche des Bundes finden sich gut abgelegt auf der langen Bank: Um die Bundesstaatsreform, die Voraussetzung für ein geordneteres Bund-Länder-Verhältnis wäre, kümmert sich eine neu einzusetzende Arbeitsgruppe, die bis 2018 ihre Vorstellungen präsentieren soll. Und die Aufgabenorientierung soll ab 2021 gelten. Für „noch zu vereinbarende Bereiche“. Kurzum: Diese Regierung wird den Ländern mit einer Föderalismusreform keinen Stress mehr machen.

Das ist insofern fatal, als die Kompetenz- und Finanzstromentflechtung zwischen Bund und Ländern die Voraussetzung für praktisch alle anderen Reformen – von der Gesundheit über die Verwaltung bis hin zu den Pensionen – wäre. Die aus den Fugen geratenen inneren Machtverhältnisse in dieser Republik sind damit zur stärksten Erneuerungsbremse des Landes geworden.

Und daran wird sich so bald nichts ändern. Vielleicht mit der nächsten Landeshauptleutegeneration. Derzeit sind beide vernünftigen Lösungen unmöglich: Weitgehende Autonomie auch im Steuerbereich wollen die Länder selbst nicht. Und der – in diesem Fall sinnvollen – Degradierung zu bloßen Verwaltungseinheiten stehen die realen politischen Machtverhältnisse entgegen. Dass man mit einem fast hundert Jahre alten Föderalismuskonzept heute keinen Staat mehr machen kann, interessiert niemanden.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)

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