Wirtschaftskrise: Bankenkasino wieder eröffnet

Wirtschaftskrise Brandstifter Feuerschutz
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Die von den Steuerzahlern geretteten Banken agieren weltweit schon wieder, als wäre nichts geschehen. Es sieht nicht so aus, als hätte irgendjemand aus der Krise gelernt.

Normalerweise fragt man nicht das Hendl nach dem Rezept für die Hühnersuppe“, sagte der Chef des österreichischen Bankenverbandes gestern resignierend auf die Frage, wie denn seine Interessenvertretung in die Diskussion um die Bankensteuer involviert sei.

Ein schönes, logisches Bild. Die EU macht derzeit aber genau das: In den Expertenausschüssen, die in Brüssel die neue Finanzregulierung für Europa ausarbeiten, sitzen zahlreiche hochrangige Vertreter von Goldman Sachs, Deutsche Bank, BNP Paribas und anderen großen Finanzinstituten. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie viel Hühnerfleisch das dort ausgearbeitete Suppenrezept enthalten wird. Es ist, um ein von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl bemühtes Bild zu zitieren, ein wenig so, als würden „die Brandstifter die neuen Brandschutzbestimmungen ausarbeiten“. Schwer vorstellbar, dass da etwas Brauchbares im Sinn des Brandschutzes herauskommt.

Ganz so unlogisch ist es aber auch wieder nicht: Lobbyismus ist – solange er nicht in der mauschelnden Österreich-Variante der Marke Meischberger daherkommt – nichts Schlechtes. Es ist ganz natürlich, dass Interessenvertretungen versuchen, sie betreffende Regelungen zu beeinflussen.

Dazu sind sie ja da. Und es ist ebenso natürlich, dass sich „Regulierer“ den Standpunkt der Betroffenen darlegen lassen. Gerade die Finanzmarktregulierung ist ja ein heikles Thema, bei dem man durch überzogenes Vorgehen auch viel volkswirtschaftlichen Schaden anrichten kann.

Das Problem ist die fehlende Gegenexpertise: 22 Europaabgeordnete haben in dieser Woche Alarm geschlagen und gemeint, sie fühlten sich vom Lobbyismus der Finanzmarktakteure überrollt und würden Gegenvorschläge der „Zivilgesellschaft“ vermissen.

Das ist allerdings ein Armutszeugnis. Expertise kann man sich auch besorgen, man muss nicht unbedingt warten, bis sie von selbst daherkommt. Diese Passivität kann freilich auch damit zu tun haben, dass die Europaabgeordneten den richtigen Umgang mit Lobbyismus noch nicht gelernt haben. Und dass sie generell zu wenig Distanz halten.

Wenn die Parteien, die diese Abgeordneten entsenden, Spenden und andere Zuwendungen von Interessenverbänden aller Art entgegennehmen, wenn die Abgeordneten sich teilweise sogenannte „Personalsubventionen“ (Interessenverbände „leihen“ ihnen Mitarbeiter) in ihre Büros setzen lassen, dann sollten sie sich nicht allzu sehr wundern, wenn diese auch versuchen, Einfluss auszuüben. Ein bisschen blauäugig, wenn man das verdrängt.

Das sind derzeit Realitäten, um die man nicht herumkommt – auch wenn man noch so laut nach einem Greenpeace-Verschnitt namens „Finanzpeace“ als Gegengewicht für den Geldsektor ruft.

Wir werden uns also damit abfinden müssen, dass die (noch nicht ausgestandene) Krise – auch mangels genügend lobbyresistenter Politiker – nicht schwer genug war, um eine neue, stabilere Finanzarchitektur auf die Reihe zu kriegen. Dass, um beim Eingangsbild zu bleiben, die „Hühnersuppe“ so zubereitet sein wird, dass sie den rezeptschreibenden „Hendln“ nicht wehtut.

Wir sehen das ja schon reihum: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy schreiben zwar nette Briefe, in denen radikale internationale Maßnahmen zur Neuordnung des Finanzsektors gefordert werden. Aber beim kommenden G20-Gipfel in Kanada wird noch gar nichts geschehen. Die Diskussion wird dann simpel auf den Herbst vertagt – und danach auf St. Nimmerlein.

Was kommen wird, sind ein paar neue Steuern, die die Banken zwar nicht freuen, die sich aber locker auf die Kunden abwälzen lassen. Was das System wirklich stabilisieren würde, kommt dagegen nicht oder nur verwässert: Nämlich strikte Kapitalunterlegungspflichten für riskante Geschäfte und mehr Transparenz im Handel mit sehr riskanten Derivaten durch die Pflicht, diese nicht „over the counter“ (also „unter der Budel“), sondern über Plattformen zu handeln. Stattdessen wird selbst Basel III schon verwässert.

Die (überwälzbaren) Steuern werden das Staatssäckel füllen und ein paar populistischen Politikern das Selbstlob ermöglichen, sie hätten es den Banken wieder einmal ordentlich gezeigt. Und das war es dann. Zu glauben, dass diese Krise zur Neuordnung genutzt wird, ist einfach naiv.

Alles läuft in diese Richtung: Die von den Steuerzahlern geretteten Banken agieren weltweit schon wieder, als wäre nichts geschehen, und das Kasino ist wieder eröffnet: In den USA sind vor ein paar Tagen Wetten auf künftige Einspielergebnisse von Filmen als börsenfähige Finanzderivate zugelassen worden.

Das sieht nicht so aus, als hätte irgendjemand etwas aus der Krise gelernt.


josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2010)

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