Die angeflunkerte Republik

(c) Clemens Fabry
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"Ausgeglichene" Wiener Budgets, "übrig gebliebene" Millionen aus dem Bankenpaket, Zockerei mit Wohnbaugeldern als "langfristiges Erfolgsmodell" - den Österreichern kann man wirklich alles erzählen.

Vielen werden die Forderungen, die der IWF in seinem am Dienstag veröffentlichten Länderbericht an Österreich gerichtet hat, bekannt vorgekommen sein: Es geht um Föderalismusumbau, Budgetsanierung und Pensionsreform. Das ist auch kein Wunder: Länderberichte von IWF und OECD werden in enger Abstimmung mit österreichischen Institutionen wie Finanzministerium und Nationalbank geschrieben.

Da ist es durchaus üblich, dass beispielsweise der Finanzminister seinen bockigen Parteifreunden, Landeshauptleuten und Wählern über diese internationalen Kanäle das ausrichten lässt, was er ihnen immer schon sagen wollte, aus verschiedenen Gründen aber nicht zu sagen wagte.

Dabei ist diese Form von Feigheit vor dem Feind/Parteifreund/Wähler völlig unbegründet: Den Österreichern kann man alles erzählen. Und sie sind auch bereit, alles zu schlucken. Mit ein wenig Aufmerksamkeit lässt sich das täglich beobachten.

Meine absoluten Favoriten aus den vergangenen Wochen:

• Die Wiener Finanzstadträtin Renate Brauner hat vor Kurzem für ihre Stadt ein „ausgeglichenes Budget“ präsentiert. Eines, das deshalb „ausgeglichen“ war, weil 400 Millionen Euro Neuverschuldung als Einnahmen verbucht sind. In der Wiener Diktion heißt das „ausgeglichenes Budget dank Fremdmittel“.

Es ist nicht überliefert, dass sich irgendjemand bei den entsprechenden Gemeinderatssitzungen und Pressekonferenzen beziehungsvoll an die Stirn getippt hätte. Dabei könnte da selbst der begnadete Nulldefizittrickser Karl-Heinz Grasser (Sie wissen schon, der Ex-Finanzminister, für den in letzter Zeit so oft die Unschuldsvermutung gilt) noch was lernen.

Frau Brauner hätte natürlich auch sagen können: „Blöderweise ist eine Krise ausgebrochen, deshalb mussten wir unglaubliche 400 Mio. Euro neue Schulden aufnehmen. Der Schuldenstand unserer Gemeinde ist dadurch in einem einzigen Jahr um fast ein Viertel hochgeschnalzt. Wir werden uns aber bemühen, diese Katastrophe wieder in den Griff zu bekommen.“ Aber das hätte nicht so „grundsolide“ geklungen, wie die Stadt ihre Finanzen bezeichnet.

Die Idee ist freilich ausbaufähig: Josef Pröll könnte heuer beispielsweise einen „ausgeglichenen Budgetabschluss unter Einschluss von zwölf Milliarden Fremdmitteln“ präsentieren. Die Ära der Defizite wäre damit viel schneller beendet, als sich das der IWF je träumen ließe. Nicht wahr?

• Pröll selbst ist in dieser Disziplin aber auch nicht schlecht: Er ließ am Mittwoch bei der Präsentation der geplanten Verbund-Kapitalerhöhung durchblicken, der Bund werde mit 500 Mio. Euro mitziehen. Das sei kein Problem, weil man ja unter anderem „nicht benötigte Mittel aus dem Bankenpaket“ dafür verwenden könne.

In Internetforen würden an dieser Stelle wahrscheinlich Worte wie „rofl“ oder „schenkelklopf“ stehen, homerisches Gelächter aus dem Publikum bei diesen Aussagen ist aber nicht überliefert. Obwohl den Anwesenden eigentlich bekannt sein sollte, dass das Bankenpaket zu hundert Prozent schuldenfinanziert ist, also tatsächlich nichts „übrig geblieben“ sein konnte. Es ist ganz einfach: 500 Mio. für die Verbund-Kapitalerhöhung erhöhen das Defizit um genau diese 500 Mio. Punkt.

• Ein „langfristiges Erfolgsmodell“ präsentierte gestern der niederösterreichische Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka. Das sieht so aus: Seit 2002 hat Niederösterreich 4,4 Mrd. Euro an Wohnbauförderungsgeldern (zur Erinnerung: Die werden durch den sogenannten Wohnbauförderungsbeitrag aufgebracht, der unter die Kategorie der arbeitsplatzschädlichen Lohnnebenkosten fällt) zweckentfremdet zum Zocken auf den internationalen Märkten abgezweigt, pardon: „angelegt“. Jetzt sind noch 3,8 Mrd. Euro da. Unter anderem deshalb, weil das Land nicht nur die kümmerlichen Erträge fürs Budget abgezweigt, sondern auch noch auf die Substanz zugegriffen hat. Großartiger Erfolg, gratuliere! Aber solange die Landesbürger das problemlos schlucken, wollen wir nicht beckmessern.

• Vom Flughafen, wo Günstlinge der Gemeinde Wien und des Landes Niederösterreich Vorstand spielen, wird auch ein schöner Erfolg gemeldet: Der Kostenrahmen von 830 Millionen für den reichlich verunglückten „Skylink“-Terminalbau „wird halten“, wurde uns kürzlich versichert. Das nehmen wir einmal so zur Kenntnis, wenngleich der ursprüngliche Kostenrahmen nur 400 Mio. Euro war und der Rechnungshof findet, dass die jetzt praktisch akzeptierte Kostenverdoppelung fast ausschließlich auf das Versagen des Vorstandes zurückzuführen sei.

Nett wäre es freilich gewesen, dazuzusagen, dass auch der verdoppelte Kostenrahmen nur deshalb „hält“, weil neuerdings vieles „ausgelagert“ wird. Von 150 Millionen Euro, die sich nicht im offiziellen „Rahmen“ finden, ist unterdessen bereits die Rede. Wissen das die „richtigen“ Aktionäre (immerhin sind 50 Prozent der AG nicht im Besitz von Gemeinde Wien, Land Niederösterreich und Betriebsrat)? Ja? Und es ist ihnen egal? Ja dann...

• Ein Gustostück ist zuletzt auch der Nationalbank gelungen: Sie hat die Ergebnisse ihres Bankenstresstests in „aggregierter“ – also völlig sinnfreier – Form veröffentlicht. Ergebnis: Das österreichische Bankensystem ist insgesamt stabil (was auch niemand bezweifelt hat). So mancher hätte vielleicht gerne gewusst, wer die 20 bis 30 (meist kleineren) Institute sind, die den Test nicht bestanden haben. Aber bitte: Solange man für Studien der Marke „ein Bein auf der Herdplatte und eines in der Tiefkühltruhe ergibt eine recht angenehme Durchschnittstemperatur“ positive Schlagzeilen bekommt, besteht zu echter Information wirklich kein Anlass.

Man sieht: Wenn man es nur dreist genug anlegt, kann man den Österreichern alles erzählen. Es muss angenehm sein, in diesem Land Wirtschaftspolitiker zu sein.


josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2010)


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