Kann man sanieren, ohne zu reformieren?

(c) EPA (ALEJANDRO ERNESTO)
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Der Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse ist noch zu schwach, um die Reformresistenz der Regierung zu brechen. Wenn die Wähler eine Verwaltungsreform nicht erzwingen, werden die Steuerzahler übrig bleiben.

Weder kann noch soll unser Staat weiter Firmen mit derartig aufgeblähter Belegschaft aufrechterhalten“: Nein, das ist nicht die jüngste Expertise des ÖVP-Generalsekretärs Lopatka zur Bundesbahn (auch wenn er damit nicht ganz unrecht hätte). Sondern eine Feststellung des kubanischen Staatspräsidenten Raúl Castro, mit der dieser die Absicht begründete, bis März 2011 eine halbe Million Staatsdiener „in die Selbstständigkeit zu entlassen“. Das Ganze erfolgte nach der ernüchternden (später freilich wieder dementierten) Feststellung des Altmeisters Fidel, das kubanische Wirtschaftsmodell funktioniere nicht einmal mehr in Kuba.

Mucha suerte, camarada Raúl! Die Steinzeitkommunisten in Havanna zeigen also so etwas wie Reformwillen. Zwar unter dem Druck der endgültig drohenden Staatspleite, aber immerhin.

Was man bei uns derzeit eher nicht sagen kann: Bundeskanzler Werner Faymann sprach sich gestern beim Wiener SPÖ-Parteitag gegen eine Verwaltungsreform mit „Massenjobabbau“ aus. Wenn man drei Milliarden Euro einsparen wolle, koste das 60.000 Beschäftigte – und er sei strikt „gegen die heimliche Lust“, tausende Beschäftigte loszuwerden. Das klingt ein bisschen so, als wäre die dringend notwendige Bundesstaatsreform endgültig abgesagt.

Um böswilligen Missverständnissen vorzubeugen: Hier soll nicht eine völlig heruntergewirtschaftete kommunistische Steinzeitdiktatur als Vorbild für einen vergleichsweise sehr gut verwalteten, reichen und demokratischen Industriestaat hingestellt werden. Hier geht es vielmehr um das hier wie dort festzustellende Phänomen, dass gefestigte Machteliten nur dann zu einschneidenderen Reformen bereit sind, wenn der Hut lichterloh in Flammen steht.

In Österreich sind wir ganz offensichtlich noch nicht so weit.

Man kann also davon ausgehen, dass es demnächst zu heftigen Steuererhöhungen kommen wird. Und dass die Strukturen, in denen diese Erhöhungen wieder ohne besonderen Effekt versickern werden, unangetastet bleiben.

Was das bedeutet, hat man in den vergangenen Monaten deutlich sehen können: Die Machtzentren der Republik liegen ja eindeutig nicht auf dem Ballhausplatz und in der Hinteren Zollamtsstraße, wo der Finanzminister und Vizekanzler residiert, sondern auf dem Wiener Rathausplatz und in St. Pölten. Dort, wo die politisch Verantwortlichen für das Skylink-Desaster sitzen. Dort, wo es – wie in Niederösterreich – dem Landesvolk als „erfolgreiche Veranlagung“ verklickert werden kann, wenn aus Forderungen aus Wohnbaudarlehen im Nominalvolumen von 6,3 Mrd. Euro binnen weniger Jahre ein Guthaben von 3,8 Mrd. Euro wird.

Dorthin (und in die sieben anderen Landeshauptstädte) werden die Zusatzeinnahmen fließen. Und wenn jemand – wie zuletzt die Unterrichtsministerin – Kontrolle über die vom Bund überwiesenen Gelder verlangt, dann wird derjenige wahrscheinlich so wie die Unterrichtsministerin zuletzt abgeschasselt werden.

Dabei leuchtet es jedem, der sich auch nur rudimentär mit der Sache befasst, ein, dass es niemals funktionieren kann, wenn einer zahlt und der andere ausgibt. Ausgangspunkt aller bundesstaatlichen Sanierungsbemühungen müsste also eine klare Neudefinition der föderalen Struktur sein: entweder (was in einem so kleinen Land wie Österreich vernünftig wäre) eine Konzentration der Kompetenzen beim Bund oder eine Abgabe von Kompetenzen an die Länder samt der (von den Landesfürsten gefürchteten) Abgabe einer Teilsteuerhoheit. Im Klartext: Die Länder sollen dann Landessteuern einheben – und damit auch auskommen. Das würde schnell zeigen, wo die Schwächen liegen.

Viele der Probleme – von der aberwitzigen Schulorganisation bis zum zersplitterten Gesundheitswesen – würden sich dann fast von selbst lösen. Aber natürlich ist es komfortabler, wenn derjenige, der am lautesten schreit, das meiste Geld bekommt.

Wie wir immer deutlicher sehen, wird es dazu nicht kommen. Wozu auch, solange die Steuerbürger Abgabenerhöhungen, die dann in ineffizienten Strukturen versickern, klaglos akzeptieren. Wenn hier etwas geändert werden soll, dann reicht der Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse (noch) nicht aus. Dann muss der Druck von unten kommen. Es hat schon wegen nichtigerer Anlässe Volksbegehren gegeben.

Druck könnte gleich einmal bei einer finanziellen Großbaustelle gemacht werden: Wieso können die Regierungsparteien die Sanierung der ÖBB nicht gemeinsam angehen, statt einander ständig parteipolitische Nettigkeiten an den Kopf zu werfen? Sie haben den Pallawatsch ja auch gemeinsam verursacht. Die SPÖ mehr, aber der finanzielle Misseffekt der schwarzblauen „Bahnreform“ war ja auch nicht ganz ohne.

Der neue Bahn-Chef hat die Lage des Unternehmens bemerkenswert offen dargelegt. Er kann eine Sanierung ohne politischen Rückhalt aber nicht schaffen. Wäre das nicht einmal ein Ansatz, bei dem die Koalition so etwas wie Reformbereitschaft signalisieren könnte? Oder geht es gar nicht um den Staat und seine Finanzen, sondern nur um politisches Kleingeld?


josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2010)

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