Die Erfindung des Perpetuum mobile

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Investitionen in die ÖBB bringen mehr Steuern, als sie kosten, die Inflation ist weiter niedrig, Geldrückflüsse, so weit das Auge reicht und die Erde ist ein Scheibe: Die wundersame Welt der Voodoo-Mathematik.

Wir lassen heute die Niederungen der Korruptionssümpfe hinter uns und versuchen, die Welt einmal positiv zu sehen: Der Ministerrat hat diese Woche, wie berichtet, eine Investitionssumme von 12,8 Mrd. Euro für die Bahn-Infrastruktur abgesegnet. Das Geld hat die Bahn zwar nicht, aber wofür gibt es staatsgarantierte Anleihen?

Zumal das ja für den Finanzminister – kaum vorstellbar – ein nochbesseres Geschäft als die Bankenrettung zu werden verspricht. Denn, so entnehmen wir mit angemessenem Staunen einer ÖBB-Webseite (www.oebb.at/infrastruktur/de/Servicebox/Konjunkturlok/index.jsp, falls jemand nachlesen will): Infrastrukturinvestitionen haben einen hohen „Multiplikatoreffekt“, jeder investierte Staats-Euro erzeugt da im Schnitt zwei Euro an Wertschöpfung.

Aber das ist noch nicht alles: Bis zu 80 Prozent der investierten Mittel, liest man da, kommen als Steuern und SV-Beiträge wieder zum Staat zurück. Und, halten Sie sich fest: „Bei vielen Neu- und Ausbauprojekten betragen die steuerlichen Rückflüsse sogar 100 Prozent und mehr.“ Ich bitte Sie jetzt, mit mir aufzustehen und das Haupt in Ehrfurcht zu neigen. Sind wir doch soeben Zeugen eines historischen Moments geworden: Der Erfindung des budgetären Perpetuum mobile.

Wenn ein investierter Infrastruktur-Euro mehr als einen Euro an Steuern generiert, dann ist es wohl ziemlich fahrlässig, nur einen Koralm- und einen Brennertunnel zu bohren. Dann könnte man ja locker die heimischen Gebirge auf Pump total durchlöchern. Und am Ende stünden die Bahn schuldenfrei und der Finanzminister mit einem Budgetüberschuss da.

Einen derartigen Unsinn haben sich die Eisenbahner natürlich nicht selbst ausgedacht. Das Ganze basiert auf einer im Auftrag des Infrastrukturministeriums durchgeführten Studie aus dem Vorjahr, in der Wifo, IHS und Joanneum Research den Multiplikatoreffekt von ÖBB-Investitionen mit „bis zu acht“ beziffern und unter anderem dem Semmering-Basistunnel und dem Wiener Hauptbahnhof Steuerrückflüsse von mehr als 100 Prozent der Kosten zubilligen.

Jetzt ist es ja durchaus so, dass öffentliche Investitionen positive wirtschaftliche Effekte haben. Manchmal mehr, manchmal weniger. Manchmal auch nicht: Manche der Tunnelprojekte werden wohl nie so richtig in die Gänge kommen. Aber wenn die beteiligten Wissenschaftler einmal kurz aus den Fenstern ihrer Elfenbeintürme geblickt hätten, hätten sie gesehen, dass die Horrorschulden der ÖBB noch schneller steigen als die des Staates. Dass sich solche Investitionen also eben nicht so gut wie von selbst tragen, die Realität demgemäß mit solchen Multiplikatortheorien irgendwie nicht zusammenpasst. Und dass natürlich auch die Investitionen anderer Branchen Multiplikatoreffekte aufweisen, sodass wir bei konsequenter Verfolgung dieser keynesianischen Voodoo-Mathematik schnell bei einigen hundert Prozent des BIPs sind.

Es gibt gute Gründe, Geld in sinnvolle – die Betonung liegt auf sinnvolle – Infrastrukturprojekte zu stecken. Aber wenn man sie nicht anders begründen kann als mit solchen Berechnungen, dann darf man sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Zahler veräppelt vorkommen.

Apropos Voodoo-Mathematik: Die Inflation steigt wieder. Freilich nicht so stark, wie viele „fühlen“. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die „hedonische“ Berechnungsmethode seit 2003 auch in Österreich Einzug gefunden hat. „Hedonisch“ heißt, dass Qualitätsverbesserungen der tatsächlichen Preissteigerung gegengerechnet werden.

Dankenswerterweise hat die Statistik Austria vor einiger Zeit selbst dargelegt, wie das etwa bei Büchern funktioniert: Da werden Seitenanzahl, Art des Einbandes und Größe (also genau die Kriterien, weswegen man ein Buch kauft, nicht wahr) als „preisbestimmend“ verglichen und einbezogen. Im Jahr der Einführung dieser Methode wären Bücher bei bloßer Preiserhebung mit 5,5Prozent Preissteigerung in die Inflationsrate eingegangen. Unter „hedonischer“ Betrachtung war es dagegen eine Verbilligung um 3,1 Prozent.

Alles klar? Wenn Sie also wieder einmal einen Unterschied zwischen der „gefühlten“ und der veröffentlichten Inflationsrate bemerken: Vertrauen sie vorsichtshalber ihrem Gefühl.


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2011)

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