Schluss mit dem Schuldenverstecken!

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Die wahre Staatsschuldenquote geht auf 100 Prozent des BIPs zu. Mit einer Staatsreform ließe sich viel Geld freilegen. Es wird Zeit, die eingerissenen Tricksereien durch schonungslose Budgetwahrheit zu ersetzen.

Neuerdings hört man Politiker aller Regierungsparteien jammern: Die von der EU verlangte Einrechnung bestimmter „ausgelagerter“ österreichischer Schulden ins Budget (etwa Verbindlichkeiten der Landeskrankenanstalten oder der ÖBB) werde den Schuldenstand des Staates erhöhen, die Staatsschuldenquote von derzeit 70 auf bis zu 80 Prozent hochtreiben und damit den budgetären „Konsolidierungspfad“ gefährden.

Nicht böse sein: Das ist dreifacher hanebüchener Unsinn. Die realen Staatsschulden werden durch die Einrechnung nicht steigen, sie sind ja – wenn auch gut versteckt – schon da. Auch die Staatsschuldenquote wird dadurch natürlich nicht wirklich, sondern nur „optisch“ zunehmen und ein etwas realistischeres Bild wiedergeben – wenn auch bei Weitem nicht die ganze Wahrheit.

Und was in der heimischen Regierung euphemistisch „budgetärer Konsolidierungspfad“ genannt wird, ist ohnehin keiner – sondern nur eine substanzlose, nach Brüssel gemeldete Schönrechnerei beinahe griechischen Ausmaßes.

Was das statistische Amt der EU da erzwingt, ist die längst fällige Konfrontation mit der Realität. Hoffentlich führt sie zu einer echten Umkehr, und nicht zur intensiven Suche nach neuen Möglichkeiten zum Schuldenverstecken.

Österreich gehört ja zu den besonders kreativen Tricksern. Das hat sich gerade wieder im Burgenland gezeigt, wo das Land Forderungen über 400 Mio. Euro aus Wohnbaudarlehen an eine landeseigene Gesellschaft (also de facto an sich selbst) verkauft hat. Diese landeseigene Gesellschaft hat die Wohnbaudarlehen des eigenen Eigentümers mit (de facto vom Eigentümer garantierten) Anleihen finanziert – was einer simplen Kreditaufnahme durch das Land entspricht. Mit dem feinen Unterschied, dass die 400 Millionen in keinem Budget aufscheinen.

Solange solche, von Bund, Ländern und Gemeinden geübte Schwindelpraktiken nicht abgestellt sind, gibt es keine Budgetwahrheit – und damit auch keine ernsthafte Budgetkonsolidierung.

Am Beginn des Weges zur Budgetwahrheit steht eine schonungslose Inventur. Die ist schwierig, weil nicht einmal der Chef des Staatsschuldenausschusses einen genauen Überblick über die Tricksereien vor allem der Länder und Gemeinden hat. Man kann also nur eine Annäherung versuchen. Die sieht so aus:
•Derzeit steht der „Staat“ (Bund, Länder und Gemeinden) mit rund 200 Mrd. Euro in der Kreide, das sind annähernd 70Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
•Dazu kommen in ÖBB, Asfinag und BIG (Bundesimmobiliengesellschaft) ausgelagerte Verbindlichkeiten über aktuell rund 35 Mrd. Euro (die in den nächsten Jahren auf 46 Mrd. Euro steigen werden). Das erhöht die Gesamtverschuldung auf 82Prozent.
•Über die ausgelagerten Verbindlichkeiten der Länder und Gemeinden gibt es keinen exakten Überblick, aber von zehn bis 15 Mrd. kann man schon ausgehen. Damit wären wir bei bis zu 87Prozent. Manche Experten halten 90 Prozent und mehr für realistisch.
•Es gibt aber noch weitere Bedrohungspotenziale: Bund, Länder und Gemeinden haben Haftungen über 187 Mrd. Euro abgegeben. Dazu kommen 25 Mrd. Euro Verbindlichkeiten der notverstaatlichten Hypo Alpe Adria und ein paar Milliarden, die die „Abwicklung“ der Bad Bank der Kommunalkredit kosten könnte, wenn es blöd läuft. Das „Drohpotenzial“ macht also noch einmal rund 80Prozent des BIPs aus. Selbst wenn nur zehn Prozent davon schlagend werden, sind wir mit der echten Staatsschuldenquote bald in der Gegend von 100Prozent des BIPs.

So schaut's aus. Man kann also wohl verlangen, dass das Schönreden ein Ende hat und echter Konsolidierung Platz macht.

Leider ist davon in der politischen Diskussion nichts zu bemerken. Stattdessen werden locker 12,8 Milliarden für zwei von wild gewordenen Landeshauptleuten durchgedrückte Tunnelprojekte an der Koralm und am Brenner freigegeben. Tunnels, die nicht einmal die Bahn selbst will: Sie lässt sich zu deren Bau per schriftlicher Weisung des Eigentümers zwingen.

Das ist aber nur einer der großen Brocken. Von einer Staatsreform wollen wir ja gar nicht mehr reden, das schafft diese Regierung ohnehin nicht. Wenden wir uns also wieder den wirklichen Anliegen dieser Republik zu.

Beispielsweise der gerade heiß diskutierten Frage, wie man die Agrarsubventionen versteckt noch ein bisschen steigern könnte, indem man umweltschädlichen Agrosprit (E10) per Bioschmäh massiv in den Markt drückt.


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2011)

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