Schein statt Sein: Wie Banken Gewinne schönrechnen

(c) Erwin Wodicka
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Würde Griechenland wie eine Großbank bilanzieren, hätte es einen hohen Budgetüberschuss. So viel zur Aussagekraft von Bankbilanzen. Aber Hauptsache, die Boni fließen.

Schon lange vor dem seltsamen „Bilanzputz“ der „Ersten“ war hier zu lesen, dass Anleger die Finger von Bankaktien lassen sollten: Der Spielraum, den die Bilanzierungsregeln den Geldinstituten lassen, sei einfach zu groß, um aus Bilanzen noch irgendetwas über den wahren Zustand der Bank herauslesen zu können. Die Banken werden schon wissen, wieso sie einander so misstrauen und ihr Geld über Nacht lieber niedrigst verzinst bei der EZB bunkern, als es einander zu leihen. Obwohl die meisten von ihnen doch im dritten Quartal so satte Gewinne ausgewiesen haben.

Die schweizerische UBS beispielsweise, erst 2008 vor der Pleite gerettet, ist wieder dick im Geschäft: Eine Milliarde Franken Gewinn hat das Institut kürzlich für das dritte Quartal berichtet, obwohl ein UBS-Händler in London gerade erst an die zwei Milliarden Fränkli verzockt hatte. Beeindruckend.

Seriöserweise sagt die Bank auch dazu, dass zu diesem Gewinn eine „Neubewertung der eigenen Verbindlichkeiten nach dem Fair-Value-Prinzip“ knapp 1,8 Mrd. Franken beigetragen hat. Die internationalen Bilanzierungsregeln lassen es zu, bei Bedarf zu dieser „Fair-Value-Option“ zu greifen. Man muss aber nicht. Wie man es eben gerade braucht.


Neubewertung der eigenen Verbindlichkeiten“ klingt harmlos, ist aber ein unglaublicher Verlustverschleierungstrick. Und der geht so: Die Bank schaut sich beispielsweise die von ihr begebenen Anleihen an und sieht, dass diese auf dem Markt– etwa weil sich die Bonität des Instituts verschlechtert hat– unter 100 notieren. Sie bewertet diese Anleihen in der Bilanz also nur mit deren aktuellem Marktwert (obwohl sie diese am Ende der Laufzeit natürlich zu 100 zurückzahlen wird müssen) – und steht plötzlich mit weniger Verbindlichkeiten da. Nur auf dem Papier, klarerweise. Aber der dadurch entstandene Scheinertrag (in der Realität sind die Verbindlichkeiten ja nicht gesunken) geht als Gewinn voll in die Gewinn- und Verlustrechnung ein.

Auf obiges Beispiel bezogen: Die UBS hat einen durch Neubewertung eigener Schulden erzielten Scheingewinn von 1,8 Milliarden benötigt, um eine Milliarde Gewinn auszuweisen. Man liegt also nicht daneben, wenn man sagt: In der Realität war das ein Verlust in dreistelliger Millionenhöhe. Für die Berechnung der Managerboni zählt freilich der legal herbeigetrickste Scheingewinn.

Die UBS dient hier aber nur als aktuelles Beispiel: Praktisch alle Banken nutzen diese Methode, um ihre Bilanzen schönzurechnen. Die US-Großbanken Merrill Lynch, Morgan Stanley und Citigroup haben ihre Quartalsbilanzen mit diesem Trick um jeweils mehrere Milliarden Dollar aufgepeppt. Die Deutsche Bank war etwas zurückhaltender: Sie hätte theoretisch mehr als fünf Mrd. Euro an solchen Scheingewinnen in ihren Bilanzgewinn einfließen lassen können, hat sich aber mit 400 Millionen beschieden.

Allein aus diesem Punkt (der bei Weitem nicht der einzige Schönrechentrick ist) lässt sich ermessen, dass die schönen Großbankengewinne überwiegend nur auf dem Papier bestehen, viele internationale Großinstitute in Wirklichkeit jedoch Verluste machen. Aber Hauptsache, die Boni fließen.

Um zu sehen, wie schwachsinnig diese Fair-Value-Methode ist, muss man sich vor Augen halten, dass der Gewinnbeitrag aus der Neubewertung umso höher ist, je schlechter es dem Institut geht. Der höchste Gewinn daraus lässt sich dann knapp vor der Insolvenz generieren.

Ein Wunder, dass das noch niemand Herrn Sarkozy und Frau Merkel gesteckt hat. An dieser Art von Bankenwesen könnte nämlich die Eurozone genesen: Griechenland könnte beispielsweise seine Schulden zum „Fair Value“, also derzeit zu rund 40 Prozent des Nominalwerts, bewerten. Die offiziell ausgewiesene Staatsschuldenquote würde dann, ohne dass ein Euro bewegt wird, schlagartig unter 100 Prozent sinken. Und aus dem riesigen Budgetdefizit würde heuer ein gigantischer Überschuss werden: Aus der Neubewertung der Staatsschuld würden nämlich rund 190 Mrd. Euro für die Defizitberechnung „frei“.

Problem gelöst. Dass Griechenland seine Rechnungen trotz dieser plötzlich wunderschönen Budget-„Bilanz“ weiterhin nicht bezahlen könnte, steht auf einem anderen Blatt.

Aber auch die Banken können sich um die Neubewertung ihrer eigenen Schulden nichts kaufen. Weil jetzt so viel von Transparenz die Rede ist: Nach der hoffentlich erfolgreichen Eurorettung hat die Stabilisierung des trotz herumgereichter Gewinnbilanzen ziemlich wackelnden Bankensektors zu stehen. Dazu braucht man eine intelligente und vorsichtige Regulierung des aus dem Ruder gelaufenen Sektors und eine grundlegende Änderung der Bilanzierungsregeln. Mit den jetzt angewandten Methoden wird das verlorene Vertrauen nicht zurückzugewinnen sein. Konkret: Wenn der ausgewiesene Milliardengewinn genau so gut ein Milliardenverlust sein könnte (je nachdem, was die Bank gerade für opportun hält), dann kann man sich mehrhundertseitige Geschäftsberichte ruhig sparen. Dann reicht zur Bilanzpräsentation ein Zettel mit der Aufschrift „Schmecks“.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2011)

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