Eine neue „Hartwährungspolitik“ für Europa

(c) AP (Michael Probst)
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Im Euroraum steht die Entscheidung an, ob man wirtschaftspolitische Kompetenzen stärker zentralisiert oder die Gemeinschaftswährung auflöst. Das praktizierte Durchwursteln funktioniert nämlich nicht mehr lange.

Die Krise ist so gut wie vorbei, wird jetzt allenthalben getrommelt. Was den Euro und die Eurozone betrifft, ist das freilich glatter Unsinn: Dass man sich mit dem Griechenland-Haircut jetzt ein paar Wochen Nachdenkpause erkauft hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass kein einziges der grundlegenden Probleme auch nur in die Nähe einer Lösung gekommen ist.

Wie denn auch: Versuchen sich die Eurozonen-Politiker doch mit einem immer teurer werdenden „muddling through“ (Durchwursteln) durch die Krise zu schwindeln, statt den grundlegenden Konstruktionsfehler der Gemeinschaftswährung wenigstens offiziell anzusprechen. Und dieser lautet: Es hat noch nie in der Geschichte eine Währungsunion ohne halbwegs konsistente gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik funktioniert.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, eine solche konsistente Wirtschaftspolitik zu erreichen: Entweder die Teilnehmer am gemeinsamen Wirtschaftsraum verpflichten sich freiwillig, gewisse wirtschaftliche Eckdaten einzuhalten und ziehen das dann eisern und diszipliniert durch. Oder sie geben umfassende Kompetenzen an eine übergeordnete politische Instanz ab. Beides bedeutet Zentralisierung und ist in der europäischen Öffentlichkeit derzeit extrem unpopulär. Weshalb es in der politischen Diskussion auch weitgehend ausgeklammert wird.

Ein gefährliches Verhalten, das direkt in die Katastrophe führt. Denn natürlich wissen die politischen Eliten des Kontinents, dass es nur zwei Wege aus der grundlegenden Krise des Eurosystems gibt: Entweder man geht zumindest wirtschaftspolitisch beherzt in Richtung der verpönten „Vereinigten Staaten von Europa“. Oder man versucht, die Währungsunion möglichst unfallfrei wieder aufzulösen (was in dieser Phase der Krise aber schon sehr teuer kommen könnte).

Der dritte, derzeit praktizierte Weg, die Probleme mit immer mehr frisch gedrucktem Geld zuzuschütten und deren Lösung so lange hinauszuschieben, bis die Zeit reif für die Schaffung der notwendigen politischen Strukturen ist, führt leider geradewegs ins Desaster.

Wir wissen ja alle, wie die Malaise entstanden ist: Die Gemeinschaftswährung wurde in der Hoffnung eingeführt, dass die notwendigen politischen Strukturen ein paar Jahre später nachgereicht beziehungsweise den Bevölkerungen der Länder aufgedrückt werden können. Dass der Versuch, einer Gemeinschaft halbwegs demokratisch organisierter Staaten ein solches „Europa der Eliten“ drüberzustülpen, am Widerstand der sich übertölpelt fühlenden Bürger scheitern musste, war eigentlich keine so riesige Überraschung.

Als Ergebnis dieses politischen Versagens haben wir jetzt eine Währungsunion ohne den nötigen politischen Unterbau. Das führt zu extremen Spannungen. Denn dass eine gemeinsame Zentralbank als Klammer schon genügt – das hat sich als Irrtum herausgestellt.


In der Eurozone kann das live besichtigt werden: Der einheitliche EZB-Zinssatz führt offenbar dazu, dass sich die sonst souveränen Mitgliedsländer noch schneller voneinander entfernen. Der Zinssatz ist nämlich für eine prosperierende Wirtschaft wie Deutschland viel zu niedrig (und löst dort eine Sonderkonjunktur aus), während er für die schwachen Euroländer im Süden offenbar noch zu hoch ist. Die solcherart schnell weiter auseinanderdriftende Wettbewerbsfähigkeit mit kompetitiven Abwertungen wieder anzugleichen geht in einer Währungsunion nicht. Bleiben radikale Staats- und Marktreformen, die von nationalen Regierungen aber selten mit dem nötigen Nachdruck durchgezogen werden.

Natürlich ist das kein Naturgesetz. Österreich selbst hat die Variante der freiwilligen Währungsunion mit seiner vom damaligen SP-Finanzminister Hannes Androsch und dem VP-Notenbankpräsidenten Stephan Koren in den Siebzigerjahren auf Schiene gebrachten Hartwährungspolitik sehr erfolgreich schon durchgespielt: Der Schilling wurde fix an die D-Mark gebunden. Damit war (was den meisten Österreichern freilich nicht klar war) die zins- und wirtschaftspolitische Souveränität weitgehend nach Frankfurt und Bonn transferiert, die Landeswährung war zur D-Mark, auf der „Schilling“ stand, mutiert. Statt sich mit den damals überall üblichen kompetitiven Abwertungen im Spiel zu halten, bekam die Wirtschaft die „Produktivitätspeitsche“ zu spüren (weshalb die Industrie anfangs zu den größten Gegnern der Hartwährungspolitik zählte). Die ersten Jahre waren hart, aber der dadurch ausgelöste Produktivitätsschub machte die österreichische Wirtschaft zu einer der wettbewerbsfähigsten in Europa.

So hätte die Eurozone auch funktionieren können – wenn alle ernsthaft gewollt hätten. Wenn aber die Maastricht-Kriterien, die eine halbwegs konsistente Finanzpolitik hätten gewährleisten sollen, selbst von Deutschland und Frankreich ignoriert wurden und sonst jedes Euroland für sich nach eigenem Gusto dahinwirtschaftete und Schulden machte – dann war das Fiasko vorgezeichnet.

Das wird sich durch den jetzt abgeschlossenen Fiskalpakt, der die Mitgliedsländer zu mehr Budgetdisziplin zwingen soll, nicht wesentlich ändern. Die Eurozone funktioniert, wie das kürzlich ein deutscher Ökonom sarkastisch ausgedrückt hat, weiter so, dass „die Südeuropäer Geld drucken und die Deutschen dafür die Haftung übernehmen“.

Schwer vorstellbar, dass die führende Wirtschaftsnation der Eurozone das auf Dauer akzeptieren kann. Wenngleich die Motivation, den Euro zu verlassen, in Berlin auch enden wollend sein dürfte, wäre Deutschland (wegen der hohen Haftungen und seiner auf mehr als 500 Mrd. Euro angewachsenen „Target 2“-Forderungen gegenüber der EZB) der bei Weitem größte Zahler eines Eurokrachs.

Man wird also wohl versuchen müssen, Strukturen für eine funktionierende Währungsgemeinschaft aufzubauen. Aber diesmal, wenn es geht, unter Einbeziehung der Bevölkerung in den 17 Mitgliedsländern. Denn ein zweites „Europa der Eliten“-Desaster kann sich die Eurozone wohl nicht mehr leisten.

E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2012)

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