Bilanz: Ein krummes Ding am Semmering

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Österreich kann es finanziell noch nicht so schlecht gehen: Beim Semmering-Basistunnel wurde die teuerste Variante gewählt. Es ginge auch um eine Milliarde günstiger.

Ganz Europa ist derzeit auf der Suche nach Sparpotenzialen, um die Budgets wieder ins Lot zu bringen und nebenher noch ein bisschen Geld für einen „Wachstumspakt“ aufzustellen. Österreich hat diese Sorgen offenbar nicht. Denn hierzulande glaubt die Regierung, ein bisschen über eine (völlig unrealistische) Finanztransaktionssteuer zu reden, mache schon den Versuch überflüssig, die von Wifo, IHS und Rechnungshof mit mindestens 20 Mrd. Euro bezifferten Effizienzpotenziale in Verwaltung und Gesundheitswesen zu heben.

Auch sonst dürfte es an Geld nicht mangeln. Der Münchener Bauexperte Rupert Springenschmid etwa macht uns darauf aufmerksam, dass der soeben „spatengestochene“ Semmering-Basistunnel um eine Mrd. Euro billiger gebaut werden könnte. Einfach dadurch, dass man die kürzestmögliche Verbindung zwischen den beiden Tunnelportalen wählt. Und nicht die jetzt geplante Riesenschleife mit mindestens 8,3 Kilometer Umweg, die den Tunnel solcherart um gut ein Drittel verlängert. Eine Milliarde ist heutzutage zwar nicht mehr wirklich viel, man kann damit nicht einmal mehr eine mittelgroße österreichische Bank retten. Aber es ist wahrscheinlich mehr, als Herr Faymann jemals mit seiner geliebten Transaktionssteuer einnehmen wird. Und es sind immerhin knapp 120 Euro pro Österreicher.

Springenschmid ist nicht irgendwer: Er ist emeritierter Ordinarius für Baustoffkunde und Werkstoffprüfung an der Technischen Uni München und er war international gefragter Gutachter – auch bei Tunnelprojekten.

Und er ist kein Eisenbahngegner: Er hält einen Eisenbahntunnel zwischen Niederösterreich und der Steiermark im Sinne einer Attraktivitätssteigerung der Südbahn für notwendig.

Um so mehr wundert es ihn, dass der Tunnel nicht, wie bei solchen Verbindungen „seit Menschengedenken“ üblich, die kürzeste Verbindung sucht, sondern unterirdisch 8,3 Kilometer Umweg (siehe Grafik) macht. Das sei „weltweit ein Novum“ und löse „bei Fachleuten im Ausland Kopfschütteln aus“.

Schön für die Bauindustrie allerdings, die 16,6 Kilometer (der Tunnel ist ja zweiröhrig) länger bohren darf, schlecht für die Fahrgäste, deren Fahrzeit wieder um vier bis sechs Minuten zunimmt.

Die Frage ist, wieso dieses krumme Ding so geplant wurde. Technische Gründe seien es nicht, sagt der Experte. Und Umweltgründe seien höchstens vorgeschoben. Was also ist es dann?

Dazu muss man ein bisschen ins Detail gehen: Will man eine „Flachbahn“ bauen (und nur so macht der Tunnel Sinn), dann darf die Steigung nur maximal 8,5 Promille (8,5 Meter auf einen Kilometer) betragen. Das Mürztal liegt deutlich höher als der Ausgangspunkt im niederösterreichischen Gloggnitz. Würde man den Tunnel also halbwegs „gerade“ machen (etwa die Variante Ochsnerhöhe), würde er bei Hönigsberg aus dem Berg kommen.

„Na und?“, fragen Sie. „Mürzzuschlag!“, sage ich.

Mürzzuschlag ist mit seinen 8697 Einwohnern zwar nicht gerade eine vibrierende Weltmetropole. Aber ein Eisenbahnerzentrum mit der – wie Hubertus Godeysen in seinem jüngst erschienenen Buch „ÖBB – Schwarze Löcher, rote Zahlen“ feststellt – höchsten Eisenbahnerdichte des Landes. Und dieses Mürzzuschlag würde nicht mehr an der Südbahn liegen, seine überdurchschnittlich häufig bei der ÖBB beschäftigten Einwohner müssten vier Kilometer auf einer dann zur Nebenbahn degradierten Strecke zum Schnellzug anreisen.

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Ein Blick auf die Grafik mit den Planungsvarianten zeigt: Die längste, umständlichste und teuerste Variante ist die einzige, die vor Mürzzuschlag das Licht der Steiermark erblickt. Und sie ist die, die verwirklicht wird.

Wie viele andere schließt auch Springenschmid nicht aus, dass das „mit der Tüchtigkeit der Mürzzuschlager Eisenbahnergewerkschaft“ zu tun haben könnte. Bei der Bahn tut man solche Gerüchte natürlich als „Bledsinn“ ab. Ein starkes Indiz dafür gibt es aber: Bei der im vorigen Jahrzehnt geplanten (und unterdessen wieder verworfenen) Tunnelvariante, die genau unter Mürzzuschlag im Berg verlaufen wäre, hatte der SP-Bürgermeister mehrfach gemotzt, dass es nicht anginge, sein Eisenbahnzentrum einfach zu „umfahren“. Woraufhin selbst die damals schwarz-blaue Regierung Pläne für einen 70 Meter unter der Erde liegenden Bahnhof gewälzt hatte.

Schon spannend, wie bei uns weitreichende Investitionsentscheidungen zustande kommen können. Aber selbst wenn die Grundlage für die Letztentscheidung eine ganz andere war: Ein Staat, der bei einer Investitionsentscheidung ohne Not die teuerste Variante wählt – der muss finanziell wohl noch ordentliche Reserven haben. So große jedenfalls, dass er uns nicht ständig mit Steuererhöhungsplänen belästigen sollte.


E-Mails: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2012)

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