Der seltsame Fall des Werner Böhm

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Elf Jahre nach der Yline-Pleite ist die Anklage gegen zwölf Protagonisten des Internethauses fertig. Im Mittelpunkt steht Yline-Gründer Werner Böhm. Ein Mann, der beinahe FPÖ-Minister geworden wäre.

Zyniker sprechen von einem Weihnachtswunder: Die Ermittlungen zur Pleite des Internethauses Yline sind abgeschlossen. Nach elf Jahren. Ganze 113 Seiten zählt die druckfrische Anklageschrift der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – Staatsanwalt Alexander Marchart fährt ja auch mit schweren Geschützen auf: Er führt zwölf Beschuldigte an, 47 Zeugen sollen beim Prozess, der nächstes Jahr starten wird, aussagen. Es wird also ein Monsterprozess.

Wohlgemerkt: ein Monsterprozess, der durchaus Kurioses zutage fördern wird. Denn seltsam war die Yline-Story immer schon. Und das ist sie heute noch, dank Unternehmensgründer und Hauptbeschuldigtem Werner Böhm. Er, ein begnadeter Selbstdarsteller, hat nämlich einen neuen Blog (www.ylinestory.com). Und dort ätzt er tagtäglich in Richtung Justiz. Etwa so: „Tatsächlich läuft das Yline-Verfahren jetzt über ein Jahrzehnt, was zur Konsequenz hat, dass sich kaum jemand an die Sache bzw. das Unternehmen erinnern kann.“ Yline sei, so schreibt er, offenbar ein „unglaublicher Extremfall, vergleichbar mit der Wahrscheinlichkeit eines Meteoriteneinschlages auf der Erde.“ Kein Zweifel: Der Prozess wird irgendwie schräg.

Das passt aber eh, denn schon das Unternehmen selbst gab seinerzeit ordentlich Rätsel auf. Aber in den Neunzigerjahren, als der „New economy“-Hype am Höhepunkt war, stellte keiner groß Fragen: Die US-Investmentbank Lehman Brothers hatte einen Narren an der Firma, die an der Brüsseler Easdaq notierte, gefressen und ihr ein Kursziel von 400 Euro verpasst – womit Yline stolze 990 Millionen Euro wert gewesen wäre. Die Firma machte zwar satte Verluste, aber egal. Die Frage, womit Yline genau Geschäfte macht, wurde als kleinkariert abgetan. Gewusst hat es keiner wirklich. In der nun fertigen Anklageschrift heißt es: Yline sei eine Aktiengesellschaft gewesen, „die sich damit beschäftigen sollte, im wesentlichen Internetdienstleistungen zur Verfügung zu stellen, tatsächlich aber im Verhältnis zur Unternehmensgröße kaum reale Umsätze erzielte“.

Im September 2001 schlitterte Yline in den Konkurs. Und wurde somit ein Fall für die Justiz. Doch auch dort ging es gar ungewöhnlich zu. Böse Zungen behaupten, die Causa Yline sei ein „Lehrlingsprojekt für die Staatsanwälte“ gewesen. Tatsache ist: Die Ermittlungen wurden von einer unglaublichen Fluktuation bei den Staatsanwälten begleitet. Laut Justiz waren insgesamt vier Staatsanwälte mit der Angelegenheit betraut, Insider meinen, es seien fünf bis sechs gewesen. Sei's drum: Jeder Staatsanwalt muss sich natürlich erst in die Materie einlesen – und so etwas dauert klarerweise.

Auch sonst war offenbar keine große Eile geboten: Im Dezember 2002 wurde mit Thomas Keppert ein gerichtlicher Sachverständiger bestellt, der drei Jahre lang begutachtete. Erst zwei Jahre nach Verfahrenseröffnung wurde Firmengründer Werner Böhm erstmals einvernommen. Zum Gutachten selbst wurde Böhm erst im Sommer 2011 befragt – sechs Jahre nach Fertigstellung des Gutachtens. Und angeblich wurde zwischen 2005 und Anfang 2010 überhaupt nicht ermittelt.

Doch jetzt ist es vollbracht: Zwölf Personen werden angeklagt, ehemalige Vorstände, Aufsichtsratsmitglieder und Wirtschaftsprüfer. Ihnen wird Untreue, schwerer gewerbsmäßiger Betrug, grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen oder Insiderhandel vorgeworfen. Und der Justiz kann es plötzlich gar nicht schnell genug gehen. „Die verschicken die Anklageschrift wenige Tage vor Weihnachten“, beschwert sich ein Beschuldigter, „und die Rechtsmittelfrist endet am 2. Jänner. Versuchen Sie einmal, in den Weihnachtsferien einen Rechtsanwalt zu finden.“

Hauptbeschuldigter Böhm (für den die Unschuldsvermutung gilt) hat die Post angeblich überhaupt noch nicht erhalten – weil sie an seine frühere Adresse verschickt wurde. Jedenfalls behauptet das Böhm süffisant in seinem Blog.

Seit der Yline-Pleite hat Böhm zwei Bücher veröffentlicht („Sklaven der Gier“ und „Geld, Ehre, Macht“), und auch der Blog soll später in Buchform erscheinen. Er ist jedenfalls gespickt mit skurrilen Anekdoten. Und durchaus Erhellendem – etwa über die Beziehung Böhms zur FPÖ, über die jahrelang nur gemunkelt worden war.

Diese war, wie Böhm nunmehr offen darlegt, überaus eng. Über seinen Investmentbanker Michael Lielacher und seinen Aufsichtsratsvorsitzenden Ernst Hofmann (eine graue Eminenz in der FPÖ und einer der von der Staatsanwaltschaft Angeklagten) war Böhm seinerzeit „in engere Berührung mit Jörg Haider und seiner ,Partie‘“ gekommen. Böhm schreibt: „Damals, im Jahr 1999, hatten wir eines gemeinsam: Wir hatten gerade einen Sieg über das gerade in Österreich hartnäckig vorhandene Establishment errungen.“ Und weiter: „Yline wie FPÖ hatten im Oktober 1999 ihre Erfolge heimgefahren – hier ein Börsengang und dort ein Wahlsieg.“ Insofern seien das Unternehmen und die Partei „irgendwie Brüder im Geiste“ gewesen. Yline machte die Homepage für die FPÖ, Ex-FPÖ-Geschäftsführer Gernot Rumpold übernahm die Vermarktung von Yline – „die Strategie hat genauso effektiv gewirkt wie seine FPÖ-Kampagne“, schreibt Böhm. Und: „Die Rumpolds haben berechtigt Millionen dafür kassiert.“

Jörg Haider hatte offenbar einen Narren an Werner Böhm gefressen. Was natürlich karrieretechnisch belohnt werden sollte: Im Jahr 2000 trat FPÖ-Infrastrukturminister Michael Schmid wenige Monate nach Beginn der schwarz-blauen Regierung zurück, und die Partei suchte dringend Ersatz. Das Reservoir an Wirtschaftskundigen war überschaubar – rasch fiel der Name Werner Böhm.

Spätabends wurde der Yline-Chef also in die Wohnung von FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer gebeten, wo auch Ernst Hofmann und Haiders rechte Hand Gerry Mikscha anwesend waren. Und Böhm hätte den Job wohl auch bekommen, wäre er nicht gar so ehrlich gewesen: Minister wolle er schon werden, teilte er damals mit, aber mit der Partei wolle er eigentlich nichts zu tun haben. Die Wahl fiel kurze Zeit später auf Monika Forstinger.

„Wenigstens ist dieser Krug an mir vorübergegangen“, schreibt Werner Böhm heute kokett. Er ist wohl nicht der einzige, der so denkt: Ein Ex-Minister Böhm wäre nunmehr ein weiteres ehemaliges Mitglied der Wenderegierung, das auf der Anklagebank Platz nehmen muss.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2012)

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