Der unaufhaltsame Zug zur Macht

Voegel auf einer Stromleitung
Voegel auf einer Stromleitungwww.BilderBox.com
  • Drucken

Warum die Wirtschaftskammer immer wieder versucht, die Stromunternehmen als Zwangsmitglieder zu verpflichten. Und warum dabei auch ein Machtkampf in der Kammer eine wesentliche Rolle spielt.

Beharrlich ist sie – das muss man der Wirtschaftskammer lassen. An dem Projekt arbeitet sie schon viele Jahre. Immer wieder, unermüdlich.

Es geht ja auch um viel. Es geht um die Einverleibung der österreichischen Elektrizitätsunternehmen als Zwangsmitglieder der Wirtschaftskammer. Es geht um Jahresbeiträge von rund 20 Millionen Euro. Und es geht um Machtspiele in der Wirtschaftskammer.

Die Ausgangslage ist unglaublich, aber wahr: Die heimische E-Wirtschaft lebt eine Freiheit, von der andere österreichische Unternehmen nur träumen können – Elektrizitätsversorger müssen nicht Mitglieder der Wirtschaftskammer sein. So steht es auch schwarz auf weiß im Paragraf zwei des Wirtschaftskammergesetzes. Und vorsichtshalber hat sich die Branche vor nunmehr 60 Jahren dieses angenehme Faktum auch höchstgerichtlich bestätigen lassen. Österreichs E-Wirtschaft ist frei, da fährt die Eisenbahn drüber.

Es sei denn, es wird an den Weichen manipuliert. Was für die Wirtschaftskammer schon ziemlich verlockend ist.

Versuche, die E-Wirtschaft ins Boot zu holen, gab es über die Jahre jedenfalls recht häufig. In den Neunzigerjahren zum Beispiel versuchte es Kammer-Boss Leopold Maderthaner. Er hätte es auch fast geschafft: Damals hatte er schon das Okay von Wiens SPÖ-Vizebürgermeister Hans Mayr, immerhin als Stadtrat für die mächtigen Wiener Stadtwerke zuständig. Gescheitert ist das schöne Unterfangen aber dann doch – als die Kammer endlich so weit war, das Wirtschaftskammergesetz zu ändern, hatte es sich die SPÖ wieder anders überlegt. 2008 gab es dann einen neuerlichen Versuch, aber auch der musste erfolglos zu den Akten gelegt werden.

Also schritt Kammer-Chef Christoph Leitl heuer erneut zur Tat. Sehr professionell, wohlgemerkt. Es gab Gespräche mit Wolfgang Anzengruber, Chef des größten Stromversorgers Verbund. Es gab Gespräche mit Peter Layr von der niederösterreichischen EVN. Und auf die Energiesprecher der politischen Parteien wurde selbstredend auch nicht vergessen.

Und Leitl war sogar recht gut unterwegs: Die Vertreter der E-Wirtschaft haben das Ansinnen jedenfalls nicht gleich abgelehnt. Die Gespräche gingen sogar so weit, dass über die Höhe der Kammerbeiträge verhandelt wurde. Insgesamt 20 Millionen Euro pro Jahr – das ist kein Betrag, der den Stromversorgern schlaflose Nächte bereitet. Für Leitl freilich wäre das ein Geldsegen, wie's im Buche steht: Die Wirtschaftskammer leidet seit Beginn der Wirtschaftskrise unter stagnierenden Beiträgen – weil diese sich an den Umsätzen der Mitglieder orientieren. „Wir haben ein ausgeglichenes Budget“, betont Kammer-Finanzreferent Richard Schenz. Aber gegen einen Überschuss wäre wohl auch nichts einzuwenden.

Das Finanzielle war also kein Stolperstein bei den diskreten Gesprächen. Unlösbare Probleme gab es hingegen beim Organisatorischen. Was auf den ersten Blick einigermaßen skurril anmutet, in Wahrheit aber einen beinharten, machtpolitischen Hintergrund hat.

Die E-Wirtschaft wollte in der Kammer in einer eigenen Sparte untergebracht werden, die ausschließlich ihre Interessen vertritt. Sieben solche Sparten gibt es in der Wirtschaftskammer.

Doch die Kammer schmetterte das Ansinnen ab: Dazu gebe es zu wenig Energieversorger, hieß es. Nein, die Kammer-Granden hatten ganz andere Pläne: Die Energieversorger sollten in die Sparte Transport und Verkehr.

Was für einiges Befremden sorgte. „Was haben wir mit Taxiunternehmen zu tun?“, fragt ein einigermaßen entgeisterter Vertreter der Strombranche. Am 19. April schließlich schrieben Vertreter der E-Wirtschaft einen Brief an Kammer-Chef Leitl und dessen Generalsekretärin Anna Maria Hochhauser. Höflich, aber bestimmt wurde den Adressaten mitgeteilt, dass es kein Interesse an einer Kammer-Mitgliedschaft gebe.

Womit eine Frage offen bleibt: Warum war den Kammer-Obersten die Spartenfrage dermaßen wichtig? Kammer-Vizegeneralsekretär Herwig Höllinger rudert zurück: „Es war lediglich ein Vorschlag von uns. Unsere Überlegung war, daraus eine Sparte Infrastruktur zu machen.“

Damit wären wir wohl beim Kern der Sache. Zu dieser Sparte Infrastruktur wären nämlich auch Gas- und Wärmeunternehmen sowie die Mineralölindustrie hinzugekommen. Und die sind derzeit in der Sparte Industrie daheim.

Fazit, so ein Kammer-Insider: Es ging letztlich auch darum, die Sparte Industrie zu schwächen.

Die Wirtschaftskammer und die Industrie – die beiden haben schon lange ein recht diffiziles Verhältnis: Die Kammer sieht sich in erster Linie als Vertreter der Kleinunternehmen, da ist die Industrie irgendwie ein Fremdkörper. Auf die Beiträge der finanziell potenten Konzerne will man wiederum auch nicht verzichten. Die Industrieunternehmen stellen etwa ein Prozent der Kammermitglieder – zahlen aber weit mehr als die Hälfte der Kammerumlage.

Andererseits sind sie in der Kammer ein klarer Störfaktor: Oft sind sie mit der Industriellenvereinigung auf einer Linie – und nicht mit der Kammer. Von ihr fühlen sie sich jedenfalls schlecht vertreten. Kein Wunder, dass seinerzeit die Rebellen, die gegen Kammerumlage und Zwangsmitgliedschaft antraten, aus der Industrie kamen.

Diese einmalige Gelegenheit – nämlich die Industrie zu schwächen und die Stromversorger ins Boot zu holen– wollte sich Christoph Leitl offenbar nicht entgehen lassen. Ablehnender Brief hin oder her: Am 8. Mai lud er zur erweiterten Präsidiumssitzung – und dort sollten unter Tagesordnungspunkt vier die Energieversorger „vorbehaltlich weiterer politischer Gespräche“ in die Kammer aufgenommen werden.

Vermutlich wäre das auch sang- und klanglos geglückt, hätte es nicht den Machtkampf mit der Industrie gegeben. Jedenfalls setzte die Industriellenvereinigung alle Hebel in Bewegung und informierte die Sitzungsteilnehmer. Ergebnis: Der Tagesordnungspunkt wurde gestrichen.

Jetzt sollen, wie die Kammer mitteilt, „weitere Gespräche“ geführt werden. Ob sie zielführend sein werden, wird sich angesichts der Vorgeschichte erst weisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.