Bürokratie: Viel geprüftes Österreich

FMA-Chef Helmut Ettl
FMA-Chef Helmut Ettl Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Kompetenzstreit zwischen Finanzmarktaufsicht und Bilanzpolizei eskaliert. Leidtragende sind Konzerne, deren Bilanzen doppelt geprüft werden. Schuld ist ein Machtkampf zwischen Rot und Schwarz.

Politische Scharmützel sind Hans Jörg Schellings Sache nicht. Auf öffentlich abgefeuerte Breitseiten kann der Finanzminister gern verzichten. Das ist sogar beim aktuellen Schauspiel um die (von ihm gewünschte) Öffnung der Bankkonten so: Mögen alle ihre Wortspenden gut und gern zu Protokoll geben – Schelling ist zwar höchst verstimmt, hält sich aber in der Öffentlichkeit vornehm zurück.

Umso erstaunlicher sein Auftritt vergangene Woche bei der Verleihung des Börsenpreises: „Es kann nicht sein“, tönte da Schelling, „dass erfolgreiche Unternehmen durch vielleicht schikanöse Vorgangsweisen behindert werden.“ Das sei jedenfalls „nicht akzeptabel“. Und: „Bringt's das sofort in Ordnung, sonst werde ich eingreifen.“

Gemeint hat er den Streit zwischen Finanzmarktaufsicht (FMA) und der jungen Prüfstelle für Rechnungslegung – der Bilanzpolizei. Ein typisch österreichischer Streit, wohlgemerkt: Seit rund einem Jahr ist die Bilanzpolizei tätig. Fünfeinhalb Mann hoch bilden die privatrechtliche Organisation. Und sie hat per Gesetz die Aufgabe, jährlich die Bilanzen von 30 börsenotierten Unternehmen, die per Zufallsgenerator ermittelt werden, auf Herz und Nieren zu prüfen. Nur: Die FMA fühlt sich damit offenbar auf den Schlips getreten.

Die Folge: Jedes Unternehmen, das von der Bilanzpolizei unter die Lupe genommen wird, muss sich in der Folge auch mit einer Prüfung durch die FMA herumschlagen. Die betroffenen Konzerne sind fuchsteufelswild und beklagen die durch den Streit verursachte überbordende Bürokratie. Man hat ja schließlich auch anderes zu tun.

Gewiefte Kenner des Landes haben das Ganze natürlich schon kommen sehen: Die Verhandlungen über das entsprechende Gesetz waren ja schon langwierig genug. Jahrelang wurde um das gerungen, was eigentlich eh per EU-Richtlinie vorgeschrieben ist.

Doch in Österreich ist so etwas dann trotzdem immer recht kompliziert – weil politische Machtspiele ja auch noch ihren Platz haben müssen. Und so kam es, dass sich der rote FMA-Chef Helmut Ettl in den Verhandlungen wortgewaltig für ein sogenanntes einstufiges System starkmachte. Sprich: Alles sollte bei der FMA konzentriert werden. Die ÖVP hingegen favorisierte das deutsche, zweistufige Modell: eine Finanzaufsicht und eine eigene Prüfstelle, die Bilanzpolizei.

Es waren langwierige, harte Verhandlungen, erzählen Teilnehmer. Dass von ÖVP-Seite insgesamt drei Finanzminister (Wilhelm Molterer, Josef Pröll, Maria Fekter) mit der Sache befasst waren, machte das Unterfangen auch nicht einfacher.

Österreich drohte nach all den Jahren ein EU-Vertragsverletzungsverfahren – doch Mitte 2013 konnte endlich das Rechnungslegungskontrollgesetz in Kraft treten. Was an den politischen Machtspielen nicht sonderlich viel ändert: FMA-Vorstand Ettl will das Gesetz offenbar nicht zur Kenntnis nehmen, weil es angeblich nicht klar formuliert sei – und erntet dafür in der SPÖ durchaus Sympathien. Weil sie das Gesetz in der Form ja ohnehin nicht wollte.

Dafür rumort es in der ÖVP: In der FMA regiert nämlich, eh klar, der Proporz. Und so hat Ettl einen schwarzen Ko-Vorstandskollegen, Klaus Kumpfmüller.

Der wiederum bietet Ettl nicht Paroli, heißt es, und das verärgert die größtenteils schwarzen Finanzvorstände der (leid)geprüften Konzerne über alle Maßen. Was naturgemäß der Volkspartei so überhaupt nicht recht sein kann.

Schön und gut. Aber wie geht's weiter? Das ist tatsächlich eine überaus spannende Frage.

In der „Kronen Zeitung“ wurde unlängst schon prophezeit, dass die beiden FMA-Vorstände wohl nicht mehr lang auf ihren Chefsesseln sitzen werden. Klingt logisch, ist aber in der Praxis schwer umzusetzen: Schelling kann die Chefs einer weisungsfreien Behörde ja nicht so mir nichts, dir nichts vor die Tür setzen. Die Frage ist überhaupt, ob er es sich mit den beiden, die er für die Heta-Abwicklung braucht, vollends verscherzen will.

Man führe sich nur seinen eingangs erwähnten Rüffel vor Augen: Da hat Schelling beide Streitparteien angesprochen. Motto: Die beiden mögen ihren Streit doch endlich beilegen. Die Finanzmarktaufsicht hat er damit nicht direkt kritisiert. Der Industrielle Norbert Zimmermann, der auch Vereinsvorstand der neuen Prüfstelle ist, ist darüber ziemlich enttäuscht: „Ich würde mich freuen, wenn es ein klares Bekenntnis zum zweistufigen Verfahren gäbe.“ Heißt: Schelling sollte klar zum Ausdruck bringen, dass die Bilanzpolizei erwünscht sei.

Hat er aber nicht. Weil die FMA mit ihren 354 Mitarbeitern mittlerweile eine Macht ist, an der keiner vorbei kann? Auffallend ist jedenfalls, dass auch keiner der viel geprüften Konzerne öffentlich Kritik an der Behörde übt. Die betroffene Telekom Austria etwa lässt über ihren Sprecher lediglich ausrichten: „Uns wäre wichtig, dass es rasch Klarheit und Rechtssicherheit nach einem Prüfverfahren gibt.“

Na ja, die gibt es eigentlich schon. Nur halten sich nicht alle daran. Und so sagt denn auch der Leiter der Bilanzpolizei, Rudolf Jettmar, händeringend: „Ich will ja nur, dass das Gesetz gelebt wird.“ Nämlich, dass die Bilanzpolizei als selbstständige Prüfstelle auch von der FMA akzeptiert wird.

Frommer Wunsch. Die FMA beharrt immer noch darauf, dass sie quasi „Chef spielen“ kann und in sämtliche Prüfungsergebnisse der Bilanzpolizei Einblick bekommt. Beide Streitparteien haben sich mittlerweile mit Gutachten aufmunitioniert. Und treffen einander regelmäßig beim Bundesverwaltungsgericht. Dies deshalb, weil die FMA die Bilanzpolizei regelmäßig per Bescheid mit Prüfungen beauftragt (die dann eh nochmals geprüft werden). Jettmar beschritt den Rechtsweg. Denn: „Da wir per Gesetz selbstständig prüfen, können wir gar nicht beauftragt werden.“

Der echte Showdown steht allerdings zum Jahresende an. Da wird es nämlich – wie im Gesetz vorgesehen – zu einer Evaluierung des Rechnungslegungskontrollgesetzes und also der Tätigkeit der Bilanzpolizei kommen. Jettmar sieht dem „mit Gelassenheit entgegen“, wie er sagt. Die Prüfstelle habe im ersten Jahr ihrer Arbeit eine Fehlerfeststellquote von 40 Prozent, was weit über dem internationalen Durchschnitt sei.

Die Meinung der FMA kann man sich ausmalen. Der Streit geht also in die Verlängerung.

Auf einen Blick

Die Finanzmarktaufsicht wurde 2002 gegründet. Sie zählt 354 Mitarbeiter und zwei Vorstände, die gemäß dem Proporz bestellt wurden. Die FMA ist eine weisungsfreie Behörde zur Aufsicht über Banken, Versicherungen und Pensionskassen sowie der Börse.

Die Bilanzpolizei (Österreichische Prüfstelle für Rechnungslegung) hat vor rund einem Jahr ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist als privatrechtliche Einrichtung ein unabhängiger Verein, der eine Prüfstelle eingerichtet hat. Ihre per Gesetz definierte Aufgabe besteht darin, Unternehmensbilanzen zu prüfen. Auch sie ist weisungsfrei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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