Reinhold Mitterlehner, unchained

VIZEKANZLER MITTERLEHNER (�VP)
VIZEKANZLER MITTERLEHNER (�VP)(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Reinhold Mitterlehner kritisiert Sozialpartner und Wirtschaftskammerbeiträge. Sein politischer Ziehvater, Kammer-Chef Christoph Leitl, ist empört. Die Geschichte einer Entfremdung.

Django Reinhold Mitterlehner reitet wieder. Der ÖVP-Chef hat durch die Regierungsumbildung offenbar einen Motivationsschub bekommen. Am vergangenen Wochenende forderte Mitterlehner unter großem medialen Getöse eine „Umorientierung“ der Sozialpartner. Am Dienstag legte er gleich nach: Gemeinsam mit dem neuen Bundeskanzler, Christian Kern, kündigte er eine Durchforstung der Gewerbeordnung an. Und dabei gehe es auch, so Mitterlehner verheißungsvoll, um die Wirtschaftskammerbeiträge.

Mitterlehner bricht also mit Tabus der heimischen Wirtschaftsordnung – und erhält dafür auch viel Applaus in seiner Partei. Allerdings nicht von allen: Parteifreund Christoph Leitl ist schlicht entsetzt. Noch am Wochenende reagierte der Wirtschaftskammerpräsident mehr als verschnupft auf Mitterlehners Sozialpartner-Sager. Auf dessen Äußerungen zur Gewerbeordnung hat Leitl dann gar nicht mehr reagiert. Er sei persönlich sehr getroffen, heißt es aus seinem Umfeld.

Dazu muss man wissen: Von der reichlich komplexen Gewerbeordnung profitiert ausschließlich die Wirtschaftskammer. Für so ziemlich jede erdenkliche Tätigkeit ist derzeit ein Gewerbeschein notwendig – und pro Gewerbeschein ist eine Umlage an die Wirtschaftskammer fällig. Wird da entrümpelt, dann trifft das die Wirtschaftskammer finanziell ins Mark.

Aber es sind wohl weniger die finanziellen Sorgen, die Leitl plagen. Es ist vielmehr das Faktum, dass Mitterlehner so direkt auf Konfrontation mit der Wirtschaftskammer geht. Ausgerechnet. Denn die Wirtschaftskammer ist für Mitterlehner so etwas wie eine politische Heimat. Leitl empfindet Mitterlehners Kampfansagen also als persönlichen Affront. Er hat sich immer als politischer Ziehvater des nunmehrigen ÖVP-Chefs verstanden. „Was wir derzeit erleben, ist vergleichbar mit einer tiefen Vater-Sohn-Krise“, meint denn auch ein hochrangiger ÖVPler. Die habe sich aber schon in den vergangenen Jahren abgezeichnet. „Da sind viele gegenseitige Verletzungen passiert“, sagt ein anderer.

Der einhellige Befund: Die Geschichte von Reinhold Mitterlehner und Christoph Leitl sei die einer dramatischen Entfremdung. Und das sei noch höflich formuliert.
Sie beginnt Anfang der Neunzigerjahre, als zwischen den beiden alles noch gut war. Mehr als gut.

Der junge, ehrgeizige Mitterlehner arbeitete damals in der oberösterreichischen Wirtschaftskammer und fiel durch moderne, unkonventionelle Ideen auf. 1992 holte ihn also der damalige Bundeskammer-Chef, Leopold Maderthaner, nach Wien – Mitterlehner wurde Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbundes. Er machte seine Sache offenbar gut, und so kam es, dass er im Jahr 2000 in das Generalsekretariat der Wirtschaftskammer gelangte. Christoph Leitl war da gerade zum Kammerpräsidenten gewählt worden. Er kannte Mitterlehner natürlich aus Oberösterreich – für ihn war es keine Frage, dass Mitterlehner der richtige Mann an seiner Seite war.

Seitdem sieht sich Leitl als politischer Ziehvater Mitterlehners“, sagt ein langjähriger Wegbegleiter. Man war befreundet, es gab sogar regelmäßige Skiurlaube miteinander. Und natürlich jede erdenkliche berufliche Unterstützung: 2008, als eigentlich der Steirer Herbert Paierl Wirtschaftsminister werden sollte, sprach Leitl ein Machtwort beim damaligen ÖVP-Chef Josef Pröll. Wirtschaftsminister wurde Reinhold Mitterlehner.
Rasch kam es zur ersten Entfremdung: In den Medien wurde damals der neue Wirtschaftsminister gleichsam als verlängerter Arm Leitls in der Regierung dargestellt. Mitterlehner war also eifrig darum bemüht, sich zu emanzipieren. Leitls erste Enttäuschung.

Über die Jahre setzte sich der Abnabelungsprozess munter fort und kulminierte in einer offenen Konfrontation. Das war im Sommer 2013. Leitl hatte in Alpbach den Wirtschaftsstandort Österreich als „abgesandelt“ bezeichnet, die Aufregung war groß. Wenige Tage später kritisierte Mitterlehner den Leitl-Sager als „überzogen“.
Was die wenigsten ÖVPler verstanden: „Vor uns lag ein Nationalratswahlkampf“, betont einer von ihnen, „Mitterlehner hätte eigentlich auf den Zug aufspringen und die SPÖ für die wirtschaftliche Misere verantwortlich machen müssen.“ Aber was ist an einem Vater-Sohn-Konflikt schon rational?

Die Rechnung bekam Mitterlehner ein Jahr später präsentiert: Ende August 2014 trat Michael Spindelegger als ÖVP-Chef zurück. Die Parteigranden waren zwar überrascht – die Frage der Nachfolge aber war für sie eindeutig: Mitterlehner sollte übernehmen. Es dauerte aber fast einen Tag, bis es so weit war: Einige Mächtige in der Volkspartei zögerten die Sache hinaus. Das waren Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, Seniorenbund-Obmann Andreas Khol – und Christoph Leitl. Das war Mitterlehners erste Enttäuschung.

Mitterlehner schaffte den Karrieresprung bekanntlich, und dann kam es zum endgültigen Bruch. Er machte Hans Jörg Schelling zum Finanzminister, was für Leitl so etwas wie ein Affront war: Er war in die Entscheidung nämlich nicht eingebunden gewesen. Mit dem Gewohnheitsrecht, wonach der Bauernbund beim Landwirtschaftsminister, der Wirtschaftsbund bei Wirtschafts- und Finanzminister mitredet, war also gebrochen worden.

Im Frühjahr 2015 ging es weiter: Mitterlehner machte sich für ein generelles Rauchverbot in Lokalen stark. Wirte gingen auf die Straße, um ihren Unmut zu bezeugen. Und dies mitten im Wirtschaftskammer-Wahlkampf. „Leitl konnte nicht anders, als das sehr persönlich zu nehmen“, sagt ein Insider.

Der Bruch ist also vollzogen. Christoph Leitl hat schon lang keine Termine mehr bei Mitterlehner. Dies übernimmt sein Generalsekretär im Wirtschaftsbund, Peter Haubner.
Doch der letzte Akt des Dramas steht ohnehin an: Christoph Leitl wird ja in absehbarer Zeit den Ruhestand antreten. Wann genau, lässt er aber offen. Es ist nicht eines seiner Lieblingsthemen, weil es seine Position schwächt. Umso ärgerlicher die regelmäßige Berichterstattung darüber. Doch auch da hat Leitl so seine Vermutungen. Nämlich, dass Mitterlehner im Hintergrund das Thema schürt. Ein Wegbegleiter Leitls bringt es seufzend auf den Punkt: „Es gibt einfach großes Misstrauen.“

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