Das Mysterium Arbeiterkammer

Das System Arbeiterkammer: Hohe Pensionsrückstellungen, aber keine Angaben über Anspruchsberechtigte.
Das System Arbeiterkammer: Hohe Pensionsrückstellungen, aber keine Angaben über Anspruchsberechtigte. Die Presse/Clemens Fabry
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Interessenvertretung. Die Pensionsrückstellungen in der AK Wien sind in zehn Jahren um 4500 Prozent gestiegen. Die Kontrolle durch den Sozialminister wird offenbar nicht so genau genommen.

Parlamentarische Anfragen haben eine nicht zu unterschätzende Kontrollfunktion in der Politik. Und heimische Abgeordnete machen gern Gebrauch davon: Mittels Anfragen an die fachlich zuständigen Minister können sie auf Missstände, Ungereimtheiten oder handfeste Skandale aufmerksam machen. Vor allem für kleine Oppositionsparteien ist das das Salz in der Suppe.

Für die Neos zum Beispiel. Die junge Partei, seit 2013 im Nationalrat, ist immer wieder für parlamentarische Anfragen gut. Eines ihrer Leibthemen: die Sozialpartnerschaft – sprich: die Kammern. 2008 hievte die rot-schwarze Koalition alle 14 Kammern in den Verfassungsrang, Zwangsmitgliedschaft inklusive. Ein gefundenes Fressen für die Neos. Jährlich quälen sie also diverse Minister mit lästigen Fragen über die Kammern. Der Abgeordnete Sepp Schellhorn beispielsweise begehrte unlängst vom zuständigen ÖVP-Wirtschaftsminister, Reinhold Mitterlehner, Auskunft darüber, wie denn die Vermögenssituation der Wirtschaftskammer aussehe. Dessen Antwort: Die Interessenvertretung der Wirtschaft hortet mehr als eine Milliarde Euro.

Darüber kann man sich als regelmäßig zahlendes Pflichtmitglied aufregen. Oder auch nicht. Tatsache ist: Die allgemeine Empörung hielt sich, von den Neos abgesehen, in sehr engen Grenzen. Ob Schellhorns Kollege Gerald Loacker da mehr Fortüne hat? Der macht regelmäßig parlamentarische Anfragen zur Arbeiterkammer. Heuer waren es gleich zwei. Und auch die haben es in sich.

Anfang des Jahres wollte Loacker vom zuständigen SPÖ-Sozialminister, Alois Stöger, wissen, wie es denn um die personalabhängigen Rückstellungen der Arbeiterkammer bestellt ist. Das sind vereinfacht gesagt jene finanziellen Mittel, die angesichts dräuender Personalausgaben (etwa für Pensionen oder Abfertigungen) als Sicherheitspolster gehortet werden müssen. Es war beileibe keine ungebührliche Frage Loackers: Die zwangsweise eingehobenen Mitgliedsbeiträge zur Arbeiterkammer sind an die Entwicklung der Löhne und Gehälter gekoppelt. Eine munter sprudelnde Geldquelle also. „Daher ist zu vermuten“, so Loacker in seiner Anfrage, „dass die Arbeiterkammer über weit mehr finanzielle Mittel verfügt, als zur Erfüllung ihrer Aufgaben tatsächlich notwendig wären.“

Sagen wir es so: Loackers Argwohn war nicht ganz unbegründet. Trotzdem war Minister Stögers Antwort verblüffend. Er tat kund, dass die Rückstellungen in der Wiener Arbeiterkammer binnen zehn Jahren einen Sprung von 1183 Prozent gemacht haben. Sie lagen zuletzt bei 68,3 Millionen Euro. Es gab Schlagzeilen, aber herzlich wenig Aufregung. Offenbar haben sich Österreichs Arbeitnehmer, die zwangsweise bei der Arbeiterkammer Mitglieder sind, mit ihrem Schicksal abgefunden.

Trotzdem legte Loacker unlängst nach. Heißt: Es gab eine neuerliche parlamentarische Anfrage an Stöger. Diesmal wollte der Abgeordnete es genauer wissen: Er grenzte ein und erfragte die genaue Höhe der Pensionsrückstellungen der Arbeiterkammer. Da wurde es abermals mysteriös. Sie betragen nämlich 52,7 Millionen Euro. Im besagten Zeitraum sind sie in Wien um 4481,51 Prozent gestiegen. Kein Tippfehler. Zum Vergleich: Im Durchschnitt aller Arbeiterkammern der Bundesländer gab es ein Plus von 105,52 Prozent. Auch nicht schlecht. Aber nichts gegen Wien. Jetzt ist es natürlich so, dass die Wiener Arbeiterkammer die größte ist und überdies auch quasi die Funktion der Bundes-Arbeiterkammer übernimmt. Aber ein Plus von fast 4500 Prozent?

Da drängt sich die Frage auf: Hat das mit der Pensionierung von AK-Präsident Herbert Tumpel 2013 zu tun? Oder mit Werner Muhm? Der einstige Berater von Kanzler Werner Faymann tritt ja auch gerade den Ruhestand an.

AK-Sprecher Wolfgang Mitterlehner findet Fragen dieser Art „eine Gemeinheit“. Die phänomenal angestiegenen Rückstellungen hätten „natürlich nichts“ mit den beiden zu tun. Womit also? Die AK Wien habe über die Jahre schlicht und einfach das System der Bildung von Rückstellungen geändert. „Wir halten uns jetzt an das Unternehmensgesetz, weil uns das von Wirtschaftsprüfern auch so empfohlen wurde“, sagt Mitterlehner. Womit wir beim eigentlichen Kern des Problems wären: Das Arbeiterkammersystem ist reichlich intransparent.

Die Rahmen-Haushaltsordnung schreibt vor, dass die Arbeiterkammern nur Rückstellungen für mindestens drei Jahre bilden müssen. Die meisten begnügen sich damit, andere (wie die Wiener) bilden üppigere Rückstellungen – wie Unternehmen das auch tun müssen. „Ein Vergleich der Zahlen der Arbeiterkammern ist damit nicht möglich“, sagt Loacker. Bestes Indiz dafür: Die Pensionsrückstellungen der Arbeiterkammern Niederösterreichs und jener Vorarlbergs sind mit jeweils rund acht Millionen Euro gleich hoch – doch die AK NÖ ist viel größer, hat also deutlich mehr Mitarbeiter.

Ein heilloses Tohuwabohu. Im Endeffekt handelt jede Arbeiterkammer nach eigenem Gutdünken. Das sei haarsträubend, findet Loacker: „Rückstellungen für drei Jahre sind grundsätzlich viel zu wenig. Aber offenbar machen sich die Arbeiterkammern darüber keine Sorgen, weil eh reichlich Umlagen von den Arbeitnehmern fließen.“

Klar ist also, dass nichts klar ist – und das ist wohl auch beabsichtigt. Die Frage der Neos nach der genauen Zahl der Pensionsbezieher und Anwartschaftsberechtigten der Arbeiterkammern blieb von Alois Stöger unbeantwortet. Auch AK-Sprecher Mitterlehner muss bei der entsprechenden Frage der „Presse“ passen. Der interessierte Beobachter bleibt somit im Dunklen: Bilden manche Arbeiterkammern zu viel Rückstellungen, zu wenig?

Vor allem aber: Wer hat ein Auge darauf? Die Kontrolle würde eigentlich laut Arbeiterkammergesetz dem Sozialminister obliegen. Das betont Alois Stöger auch in seiner Anfragebeantwortung. Aber: Diese Kontrolle beschränke sich nur darauf, „zu prüfen, ob die Voranschläge und Rechnungsabschlüsse der Arbeiterkammern unter Einhaltung der Grundsätze der Rahmen-Haushaltsordnung erstellt worden sind“. Das war's. Konkrete Zahlen, geschweige denn Daten über Pensionsbezieher seien „nicht Gegenstand der Aufsicht“. Was bleibt, ist grenzenlose Verwirrung über die Gebarung der Arbeiterkammern. Und das Wissen, dass es mit der Kontrolle nicht so genau genommen wird. Ob all das diesmal Stoff für Aufregung hergibt?

(Print-Ausgabe, 02.07.2016)

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