Punktesieg für Goliath

Leitner, CEO of Austrian machinery maker Andritz, addresses a news conference in Vienna
Leitner, CEO of Austrian machinery maker Andritz, addresses a news conference in ViennaREUTERS
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  Eine kleine Firma schlitterte in die Pleite – auch weil der Andritz-Konzern Millionenforderungen nicht bezahlte. Jetzt hat Andritz es auch geschafft, das Schiedsverfahren zu verhindern.

Das Schreiben ist mit 5. Oktober datiert. Es ist ein Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt. Mit zwei schlanken Zeilen wird darin ein Angebot des börsenotierten Anlagenbauers Andritz „insolvenzrechtlich genehmigt“. Gleich vorweg: Der Beschluss kann taxfrei als großer Erfolg des Andritz-Konzerns verbucht werden. Als Sieg gegen ein vergleichsweise kleines Kärntner Unternehmen, das Ende Juli in die Insolvenz geschlittert ist.

Um die Brisanz des druckfrischen Beschlusses verstehen zu können, muss allerdings die Geschichte von Anfang an erzählt werden. Und die geht so: Ende Juli mussten 237 Mitarbeiter der Firma Kresta erfahren, dass ihr Arbeitgeber pleite ist. Das 1986 gegründete Unternehmen mit Sitz in St. Andrä im Lavanttal hatte Passiva in Höhe von 100 Millionen Euro, bei einem Jahresumsatz von rund 50 Millionen. Da war nichts mehr zu machen. So weit, so traurig – aber nicht unbedingt ungewöhnlich.

Die Hintergründe der Insolvenz sind freilich nicht so alltäglich: Kresta war nämlich Sublieferant des Andritz-Konzerns – zunächst für den Bau eines Zellstoffwerks im Südwesten Uruguays. Dort war Andritz als Generalunternehmer zuständig. Ein Umstand, der dem Konzern viel Kopfzerbrechen bereitete: Immer wieder streikten die dortigen Bauarbeiter, es kam zu Verzögerungen bei der Fertigstellung. Eigentlich hätte das Werk im ersten Halbjahr 2013 in Betrieb gehen sollen, die Arbeiten haben sich um rund ein Jahr verzögert. 750 Millionen Euro hatte das Auftragsvolumen ausgemacht, doch die Österreicher mussten Mehrkosten von rund 120 Millionen Euro verdauen. In der Andritz-Bilanz wurden Millionen-Rückstellungen erforderlich.

Das war der Zeitpunkt, zu dem Andritz seinen Sublieferanten Kresta wissen ließ, dass die von Kresta gestellten Forderungen mit Sicherheit nicht vollständig beglichen würden. Aber: Kresta wurde die Möglichkeit gegeben, bei einem weiteren Andritz-Projekt in Chile als Sublieferant tätig werden zu können, auch hier ging es um den Bau eines Kraftwerkes. Doch auch in Chile soll es zu Verzögerungen gekommen sein, die letztlich Kresta angelastet wurden.

Im Frühjahr 2016 stand Kresta-Chef Franz Kreuzer jedenfalls vor einem veritablen Scherbenhaufen: Andritz verweigerte Zahlungen für beide Projekte, Kresta saß auf Forderungen von 38,5 Millionen Euro. Die Lage wurde brenzlig. Doch sie war, so befand Kreuzer, nicht aussichtslos. Mit seinen Banken erreichte er eine Standstill-Vereinbarung. Heißt: Die Banken erklärten sich bereit, keinesfalls die Reißleine zu ziehen. Es galt das Prinzip Hoffnung.

Nicht von ungefähr. Immerhin weiß man in Österreich, dass es aufgrund guter Beziehungen immer Möglichkeiten gibt. Und da tat sich in der leidigen Angelegenheit tatsächlich ein Fenster auf: An der Kresta war zu dem Zeitpunkt nämlich niemand geringerer als der langjährige Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, Jochen Pildner-Steinburg, beteiligt – und der hatte zu dem Zeitpunkt immerhin einen Kapitalzuschuss von zwei Millionen Euro geleistet, um das Stillhalteabkommen mit den Banken zu ermöglichen.

Und, wie es der Zufall so will: Der Firmensitz des international tätigen Andritz-Konzerns ist in Graz. Was lag also näher, als die beiden Industriellen – nämlich Pildner-Steinburg und Andritz-Chef Wolfgang Leitner – an einen Verhandlungstisch zu setzen? Ein Gespräch der beiden Herren „auf Augenhöhe“ sollte doch, so das Kalkül, ein „vernünftiges Ergebnis“ ermöglichen.

Das Gespräch fand am 25. April statt. Durchaus freundlich im Ton soll es gewesen sein – trotzdem endete es ohne Einigung. Jedenfalls, was eine für beide Seiten akzeptable Lösung betrifft. Eine Einigung gab es hingegen darüber, dass man ein internationales Schiedsgericht anrufen werde.

So weit, so gut. Doch eine Woche später bekam Andritz offenbar kalte Füße und zog eine Bankgarantie in Höhe von neun Millionen Euro. Kresta wurde somit Liquidität entzogen, das Standstill-Abkommen mit den Banken war Schall und Rauch. Es kam zur Insolvenz.

Trägt Andritz also die Hauptschuld an der Pleite des Kärntner Unternehmens? Der Konzern streitet das jedenfalls ab: Andritz habe „keine Kenntnis“ von einem Standstill-Agreement gehabt, heißt es gegenüber der „Presse“. Die Bankgarantie sei „nach monatelangen, ergebnislosen Vergleichgesprächen“ gezogen worden, „da aus Sicht von Andritz keine Aussicht auf Einbringlichkeit der damit besicherten Forderungen bestand“. Es wird also betont, dass Andritz „auch beträchtliche Gegenforderungen gegenüber Kresta“ habe, da Andritz die Bezahlung von Kresta-Lieferanten vorfinanziert habe. Und: Kresta sei bereits zum 30. Juni 2016 buchmäßig überschuldet gewesen. Die Forderungen gegenüber Andritz seien „zwar nicht unerheblich, dürften aber wohl höchstens rund 20 Prozent der angemeldeten Forderungen ausmachen.“

Auch egal. Denn mittlerweile hat sich Andritz des Problems der Kresta-Ansprüche elegant entledigt. Mit Schreiben vom 25. September war nämlich Kresta-Insolvenzverwalter Gerhard Brandl ein Angebot unterbreitet worden, das nunmehr – siehe den eingangs erwähnten Gerichtsbeschluss – genehmigt wurde. Demnach wird jetzt Folgendes passieren: Laut Andritz-Angebot wird eine Firma Newco gegründet werden, die 100 Prozent der Anteile an den Kresta-Tochtergesellschaften in Uruguay und in Chile aus der Masse kaufen wird. Um eine Million Euro. Heißt: Um eine Million Euro hat Andritz das 38,5-Millionen-Euro-Problem gelöst. Wie heißt es in dem Andritz-Angebot so schön? „Die Masse Kresta zediert (. . .) an Newco sämtliche (. . .) Forderungen und Ansprüche“. Also auch jene gegenüber Andritz. Fazit: Es wird kein Schiedsverfahren geben, weil alles gleichsam in einer Hand ist. Ende der Geschichte.

Und Franz Kreuzer? Der hat vor wenigen Wochen einen Neustart gewagt. Vor rund zwei Monaten hat er die Firma K-Industries gegründet, 135 Kresta-Mitarbeiter umgemeldet und 68 laufende Kresta-Aufträge aus der Masse übernommen. Er fängt also quasi wieder von vorn an.

Allerdings mit reichlich Erfahrungsschatz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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