Yline - ein Fall von bemerkenswertem Phlegma

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Die "Causa Yline" ist schon seit zehn Jahren ein Fall für die Justiz. Aber immerhin, es geht was weiter: Jetzt wurden etliche Beschuldigte vom Staatsanwalt einvernommen - erstmals.

Das Kleinod wurde im Zeitungsarchiv entdeckt: „Yline-Skandal ist anklagereif“, lautet der Titel eines zweiseitigen Magazinberichts. Geschrieben wurde er im Jänner 2006.

Der Journalist – übrigens war es der „Aufdecker der Nation“, Alfred Worm – hatte gewohnt akribisch recherchiert: Wenige Wochen zuvor war eine 728 Seiten starke Expertise von Gutachter Thomas Keppert fertiggestellt worden. Und damit schien die große Hürde in der Aufklärung einer spektakulären Pleite genommen zu sein: Das Internethaus Yline war im September 2001 mit Schulden in Höhe von 26 Millionen Euro kollabiert – nur drei Jahre nach seiner Gründung durch den ehemaligen IBM-Manager Werner Böhm.

Wenige Monate nach der Pleite nahm sich die Staatsanwaltschaft der Sache an. Ihr Verdacht: Yline war nichts als eine große Blase, eine „virtuelle Geisterbahn“, wie eine Zeitung damals schrieb. Und das Keppert-Gutachten untermauerte diese These: Yline habe, so lautete der Befund des Experten, nichts als Luft produziert, dafür aber jede Menge Geld kassiert. Vor allem von ahnungslosen Anlegern: Als Yline im März 2000 an die Börse ging, wurde der Börsenwert mit 785 Millionen Euro angegeben. In Wahrheit sei das Unternehmen damals schon nichts mehr wert gewesen. Und die „objektive Zahlungsunfähigkeit“ sei bereits Ende 2000, Anfang 2001 gegeben gewesen.

Ein glasklarer Fall, so schien es damals. Der Verdacht auf Betrug und Untreue stand im Raum. Und Journalist Worm folgerte: In wenigen Monaten werde es zur Anklage kommen.

Heute, fast sechs Jahre nach Erscheinen des Berichts und nahezu zehn Jahre nach der Pleite, ist die Justiz nicht wirklich weitergekommen. Vor wenigen Wochen hat die Staatsanwaltschaft zwar einen sogenannten Vorhabensbericht an das Justizministerium übermittelt. Das klingt allerdings spektakulärer, als es wirklich ist: In Fällen von öffentlichem Interesse begehrt das Ministerium grundsätzlich Informationen. Also muss die Staatsanwaltschaft schlicht und einfach ihre Vorgehensweise erläutern.

Was in dem Vorhabensbericht steht, ist natürlich streng geheim. Steht etwa eine Anklage bevor? Der Schluss liegt nahe, doch die Staatsanwaltschaft schweigt eisern.

Was allerdings dagegen spricht: Die rund zwölf Beschuldigten wurden und werden dieser Tage vom zuständigen Staatsanwalt einvernommen. Und besonders erstaunlich: Die Einvernahmen erfolgen zum ersten Mal. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: In den gesamten zehnjährigen „Ermittlungen“ zur Causa Yline mussten die Beschuldigten noch nie bei der Staatsanwaltschaft vorstellig werden.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Thomas Vecsey, findet nichts dabei: „Es hat Einvernahmen durch die Wirtschaftspolizei gegeben, und darüber gibt es Protokolle“, sagt er. Stimmt. Aber ein bisschen seltsam mutet es schon an, dass sich der Staatsanwalt bislang noch kein eigenes Bild von der Sache machte – zumal er laut Strafprozessordnung vom Jahre 2008 als „Herr des Vorverfahrens“ gilt.

Es scheint sich zu bestätigen, was seit Jahren vermutet wird: dass die Causa Yline nämlich in der Justiz keine sonderlich hohe Priorität genießt. Liegt es, wie oft vermutet wird, an der seinerzeit unverkennbaren Nähe des Unternehmens zur FPÖ? Immerhin war der Industrielle Ernst Hofmann, ein persönlicher Freund und enger Vertrauter von Jörg Haider, Präsident des Aufsichtsrates. Yline wurde von der FPÖ beauftragt, den Internetauftritt der Partei zu gestalten. Etliche FPÖler waren im Unternehmen investiert.

Tatsache ist, dass die Causa unter den Staatsanwälten wie eine heiße Kartoffel herumgereicht wird. Derzeit ist mit Alexander Marchart Staatsanwalt Numero vier am Ruder. Und bei jedem Wechsel hieß es selbstverständlich: „Der neue Staatsanwalt muss sich erst einlesen.“ Das dauert natürlich.

Aber wenigstens hat Marchart jetzt die Einvernahmen in die Wege geleitet. Ehemalige Aufsichtsräte und Vorstände des Unternehmens wurden jeweils rund einen Tag lang befragt. Am Montag dieser Woche war Exvorstand Peter Hrdlicka dran. Am Dienstag Exchef Werner Böhm. Am Mittwoch Exvorstand Joachim Kalcher. Ihre ehemalige Kollegin, Finanzvorstand Petra Wohlfahrt,kann nicht mehr befragt werden: Sie hat sich vor wenigen Jahren das Leben genommen. Weil sie den psychischen Druck der jahrelang dauernden „Ermittlungen“ nicht verkraftet habe, wie Freunde erzählen.

Einer der Einvernommenen, der aus naheliegenden Gründen anonym bleiben möchte, erzählt von seiner Begegnung mit dem Staatsanwalt: „Er macht einen durchaus kompetenten Eindruck“, sagt er. Was ihn allerdings gewundert habe, war die Fragestellung: Der ursprüngliche Vorwurf, wonach Yline lediglich eine Luftblase war, sei kein Thema gewesen. „Es wird offenbar vor allem dem Verdacht des Insiderhandels nachgegangen“, erzählt der Einvernommene. Einige Fragen habe es auch zu Bilanzierungspraktiken und der Höhe der Gehälter gegeben. Interesse gab es auch an den sogenannten „Friday-Brunches“ im Unternehmen. Die fanden ein Jahr lang einmal im Monat statt. Serviert wurden Brote mit Aufstrichen. Kostenpunkt: 150.000 Schilling. Insgesamt.

Das klingt, mit Verlaub, nicht nach einer wirklich dicken Suppe. Weil nichts dran ist? Oder weil man nichts dran finden will?

Man wird sehen. Fest steht aber jetzt schon, dass Yline eine Causa der Superlative ist. Teuer ist die Angelegenheit allemal: Das Konkursverfahren wurde erst jetzt von Masseverwalter Christof Stapf abgeschlossen – zur Abwicklung der Masse wurden vom Handelsgericht Wien kürzlich Kosten in Höhe von rund 607.000 Euro bewilligt.

Gutachter Keppert hat Branchenschätzungen zufolge gut 300.000 Euro bekommen. Und vor allem: Kein Fall hat die Justiz jemals so lange beschäftigt – ohne dass es irgendwelche brauchbaren Ergebnisse gäbe. Aber das kann sich ja noch ändern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2011)

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