ÖBB: Bahnbrechende Erkenntnisse

(c) APA (Georg Hochmuth)
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Der Kauf der ungarischen MÁV Cargo durch die ÖBB Anfang 2008 erfolgte unter reichlich dubiosen Umständen. Jahrelang versuchte die Regierung, Gras darüber wachsen zu lassen. Doch jetzt kommt Bewegung rein.

Jänner 2008: Die Sektkorken knallen. Gustav Poschalko, Vorstand der ÖBB-Güterverkehrstochter Rail Cargo, stößt mit seinem ungarischen Kollegen István Heinczinger an. Poschalko strahlt über das ganze Gesicht. Die Österreicher haben gerade einen Vertrag unterzeichnet, der ihnen eine hoch begehrte Akquisition ermöglicht: den Kauf des ungarischen Güterverkehrsunternehmens MÁV Cargo.

Mai 2012: Die polizeilichen Ermittlungen sind abgeschlossen. Der große Bahn-„Deal“ ist nämlich längst zur „Causa“ geworden. Kommende Woche erwartet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft den abschließenden Bericht des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung, sagt Sprecher Martin Ulrich.

Vermutlich ist schon demnächst mit einer Anklageerhebung zu rechnen. Im Visier der Justiz: Gustav Poschalko. Er will der „Presse“ gegenüber keine Stellungnahme abgeben, „weil es sich um ein schwebendes Verfahren handelt“. Für ihn gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.

Klar, dass Poschalko dennoch irritiert ist – und dies auch nur schwer verhehlen kann. Ein „schwebendes Verfahren“? Damit hat lange Zeit niemand gerechnet. Vielmehr hatte es den Anschein, als hätten hierzulande die wenigsten Interesse daran, die seltsamen Vorkommnisse rund um die Transaktion aufzuklären.

Dabei waren schon wenige Monate nach der ÖBB-Auslandsexpansion erste Ungereimtheiten publik geworden: So soll die ungarische Regierung mit einem Preis von 250 Millionen Euro für die MÁV Cargo gerechnet haben. Die Österreicher blätterten generös rund 400 Millionen hin. Mehr noch: Es wurden zusätzlich rund 100 Millionen Euro an langfristigen Verbindlichkeiten übernommen, es gab Investitionszusagen in Höhe von 35 Millionen, es wurden Arbeitsplatzgarantien gemacht. Und kurze Zeit später schlugen noch sogenannte Traktionskosten mit rund 70 Millionen Euro zu Buche – die Preise für Transportleistungen durch die Ungarn waren vertraglich nicht geregelt worden.

Gut 600 Millionen Euro also. Dafür bekamen die ÖBB ein Unternehmen, dessen Waggons sich zu einem Gutteil als schrottreif entpuppten.

Aber es war halt ein Objekt der Begierde gewesen. So sehr, dass 2007 sogar ein ungarisches Lobbyingunternehmen namens Geuronet engagiert worden war. Das Unternehmen bestand freilich bloß aus einem sogenannten Lobbyisten: András Gulya hieß der Mann der Stunde. Ein bis dahin völlig unbekannter „Lobbyist“, der aber immerhin rund sieben Millionen Euro von den ÖBB kassierte. Dafür, dass er die Berichterstattung in ungarischen Medien aufmerksam verfolgen und die Österreicher bei logistischen Angelegenheiten unterstützen sollte.

Wenige Monate später brachte die grüne Verkehrssprecherin Gabriela Moser eine parlamentarische Anfrage zum merkwürdigen und teuren Geuronet-Engagement ein. Ein Jahr später tat es BZÖ-Abgeordneter Gerald Grosz ebenso.

Es folgten jeweils ein paar spärliche Medienberichte. Das war's aber dann auch. In den Regierungsparteien interessierte die Sache genau niemanden.

Wie denn auch: Gustav Poschalko galt jahrelang als graue Eminenz der SPÖ, in seinem ÖBB-Bereich konnte er schalten und walten, wie er wollte. Die ÖVP wiederum wollte die Angelegenheit auch nicht unbedingt an die große Glocke hängen: Die Prüfung der MÁV Cargo (Due Diligence) hatte seinerzeit die Raiffeisen Investment AG maßgeblich übernommen. Ein für den Kauf erforderlicher Kredit wurde ebenfalls von Raiffeisen zur Verfügung gestellt. Nur keine Wellen schlagen, lautete also die einträchtige Devise.

Bis zum Herbst 2010. Da hatte sich nämlich die ungarische Justiz der Sache angenommen, und sie wandte sich mit einem Rechtshilfeansuchen an die österreichischen Kollegen. Und dann kam Bewegung rein: Es gab Hausdurchsuchungen bei Poschalko und bei seinem Prokuristen, der seinerzeit den Geuronet-Vertrag mitunterzeichnet hatte – Poschalkos Vorstandskollege Ferdinand Schmidt hatte sich damals ja wohlweislich geweigert, seine Unterschrift unter das Vertragswerk zu setzen.

Mit den Razzien war die Sache jedenfalls (endlich) ein Fall für die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Doch sicher ist sicher: Und so beriefen die Oppositionsparteien Anfang 2011 einen sogenannten kleinen Untersuchungsausschuss zum MÁV-Cargo-Deal ein.

Gut so. Denn am Ende des Ausschusses gab es mehrere Berichte über die dort gewonnenen Erkenntnisse. Und siehe da: Der Ausschussbericht, der von SPÖ und ÖVP abgesegnet wurde, unterscheidet sich maßgeblich von jenen der Oppositionsparteien.

Diese sogenannten „Minderheitsberichte“ sind eine Lektüre wert. Nur dort erfährt man nämlich, dass von der Ladung nicht unwesentlicher Zeugen Abstand genommen wurde: Ein gewisser Werner Faymann beispielsweise, zur Zeit des Deals immerhin Verkehrsminister und damit ÖBB-Eigentümervertreter, musste sich den Fragen des Ausschusses nicht stellen. „Lobbyist“ András Gulya blieb dem Ausschuss ebenfalls fern – weil unauffindbar.

Außerdem erfährt man ausschließlich aus den „Minderheitsberichten“ die obskuren Details des Lobbyistenvertrags: Das Honorar „stand in einer proportionalen Beziehung zum Kaufpreis – je höher dieser, desto höher das Beratungs-/Lobbying-Honorar“. Einzigartig. Jedenfalls wird der spätere Güterverkehrsvorstand Günther Riessland, der aus der Privatwirtschaft zu den ÖBB gekommen war, dahingehend zitiert, „dass er solche Verträge noch nie abgeschlossen habe“.

Einen Leistungsnachweis des Lobbyisten gab es jedenfalls nicht. Warum auch? Immerhin meinte ja auch ÖBB-Aufsichtsratspräsident Horst Pöchhacker in einer Sitzung des Kontrollgremiums im Februar 2008: Es sei „naiv“, Lobbyisten nach deren Leistung zu befragen.

Vermutlich fällt es auch in die Kategorie Naivität, dass in den Oppositionsberichten zum Untersuchungsausschuss vom „Verdacht auf Schmiergeldzahlungen Richtung Ungarn, oder Kick-back-Zahlungen an eine österreichische Partei“ die Schreibe ist.

Gleichzeitig hält der Bericht der Grünen fest, dass im Ausschuss ein ungebetener Gast mithörte: eine Mitarbeiterin von Doris Bures aus deren Zeit als SPÖ-Bundesgeschäftsführerin – womit Bures im Jahre 2008 für die Parteifinanzen zuständig war.

Das Interesse der Mitarbeiterin kann natürlich nur ein Zufall sein. Die nun abgeschlossenen polizeilichen Ermittlungen werden da mit Sicherheit Licht ins Dunkel bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2012)

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